Wie viel Salzburg verträgt Berlin? Und wie viel Berlin braucht die Kunst? Mit ihrer inzwischen etablierten Reihe „Berlin is not…“ liefern glanz&krawall kluge, kämpferische und immer auch augenzwinkernde Kommentare zur Kulturpolitik der Hauptstadt. Nach „Berlin is not Bayreuth“ und „Berlin is not am Ring“ folgt nun: „Berlin is not Salzburg“. In der ehemaligen Stasizentrale greifen sie Mozarts „Zauberflöte“ auf – und fragen inmitten von Spardruck und Gentrifizierung, ob Berlin gerade dabei ist, sich selbst zu verlieren. Ein Gespräch über Widerstand, Drag, Mozartzitate und die Verteidigung der freien Szene. Die Fragen stellte Barbara Hoppe.
Kulturkritik mit Festivalcharakter
Feuilletonscout: Mit eurer Reihe „Berlin is not…“ seid ihr hoch erfolgreich. Wie kamt ihr nun auf die Idee „Berlin is not Salzburg?“
glanz&krawall: Seit 2019 entwickeln wir mit unserer Reihe auch künstlerische Positionen zum aktuellen Zustand unserer Stadt. Bei der ersten Ausgabe „BERLIN is not BAYREUTH“ konnten wir noch selbstbewusst sagen: Nein, so wie Bayreuth ist Berlin nie und nimmer. Hier gehen wir auch in Jeans und Flipflops in die Oper, ein Kulturbesuch ist keine Frage des Geldbeutels und hochkulturelle Genres wie das Musiktheater dienen nicht dazu, Gräben zwischen verschiedenen sozialen Gruppen und Klassen zu ziehen, sondern vielmehr Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenzubringen. In den vergangenen sechs Jahren hat sich Berlin einmal mehr stark verändert und auch die Kulturpolitik hat zuletzt eine Kehrtwende in ihren förderpolitischen Ansätzen vollzogen. Es wird gespart – leider überproportional bei jenen Akteur:innen, die eben nicht in Institutionen mit großer Strahlkraft organisiert sind, aber die ganz maßgeblich das Bild unserer Stadt geprägt haben, für das so viele Leute hierher kommen. Mit der diesjährigen Ausgabe fragen wir deshalb: Wird Berlin ein neues Salzburg? Also eine museal konservierte Kulisse, ein Kunstkästchen, das für Leuchtturm-Kulturevents herausgeputzt wird, in dem sich aber viele Leute keinen Café- oder Kneipen-Besuch in der Innenstadt mehr leisten können, geschweige denn eine Wohnung. Wir sagen natürlich trotzig: Nein! Gegen die Salzburgisierung unserer Stadt! Auch wenn es gerade etwas düster aussieht.
Zauberflöte trifft Pop und Performancekunst
Feuilletonscout: Um was geht es? Die Salzburger Festspiele, den „Jedermann“… ? Wieder um das Aufeinandertreffen von E- und U-Musik bzw. E- und U-Unterhaltung? Geht es um Provokation? Wollt ihr künstlerische Grenzen überschreiten?
glanz&krawall: Wir arbeiten uns diesmal an der bekanntesten Oper eines berühmten Salzburgers ab: Der „Zauberflöte“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Wie schon bei vorigen Festivalausgaben wird diese Oper wieder ordentlich gegen den Strich gebürstet und in die Jetzt-Zeit geholt von einem tollen Line-up aus Gruppen der Freien Darstellenden Künste und der Popmusik.
Auch Mozart hat sich aufgelehnt gegen die Autoritäten, mit denen er sich zur damaligen Zeit konfrontiert sah. So schrieb er beispielsweise an seinen Vater Leopold: „Ich hoffe nicht dass es nötig ist zu sagen, dass mir an Salzburg sehr wenig und am Erzbischof gar nichts gelegen ist, und ich auf beides scheisse.“ Dem können wir uns nur anschließen, auch im übertragenen Sinne. Insofern wollen wir selbstverständlich überhaupt nicht provozieren, wir halten uns einfach ganz werktreu an Briefe wie obigen, die Mozart uns hinterlassen hat.
Berlin is not Salzburg: Vielfalt auf der Bühne
Feuilletonscout: Wie viele Beteiligte spielen mit?
glanz&krawall: Diesmal haben wir wieder ein wunderbares Lineup zusammen, auf das wir uns sehr freuen: das inklusive Theater Thikwa in Kollaboration mit der Performance-Gruppe hannsjana, das Musiktheater-Performance-Trio Die Schlangenknaben, die Punkbank The toten Crackhuren im Kofferraum, Dragqueen Kaey und Dragking BroKolya, Schüler:innen der Mildred-Harnack-Schule sowie die inklusive Partyreihe Spaceship
Feuilletonscout: Wird es Musik geben. Wenn ja, welche?
glanz&krawall: Wie man dem Lineup entnehmen kann: Ja und viel verschiedene :)
Feuilletonscout: Muss man den Salzburger „Kultur-Zirkus“ kennen, um euer Stück zu verstehen?
glanz&krawall: Überhaupt nicht, wir verstehen den Kultur-Zirkus in Salzburg ja selber nicht.
Stasi-Zentrale als Spielort: Geschichte trifft Kritik
Feuilletonscout: Wie kam es dazu, dass ihr mit dem Stück in der ehemaligen Stasizentrale spielt?
glanz&krawall: Wir haben nach einem Ort gesucht, der etwas mit Berlins Geschichte zu tun hat und gleichzeitig möglichst wenig mit Salzburg. Da schien uns die ehemalige Stasi-Zentrale passend. Auch inhaltlich gibt es Überschneidungen zur Zauberflöte: In der Stasi-Zentrale arbeiteten fast ausschließlich Männer; in Mozarts Oper ist es Sarastros dubioser Männer-Orden, der dem Königreich der Königin der Nacht den Kampf ansagt und mit absurden Ritualen und Prüfungen versucht, Kontrolle über die bestehende Gesellschaftsordnung zu erlangen. Da sehen wir viele Anknüpfungspunkte zum Spielort, die die beteiligten Künstler:innen in ihre Arbeiten einfließen lassen können.
Feuilletonscout: Gibt an diesem Spielort besondere Herausforderungen?
glanz&krawall:Auf die werden wir sicherlich stoßen, sobald wir dort arbeiten :)
Feuilletonscout: Wie habt ihr euch persönlich dort gefühlt?
glanz&krawall: Es ist auf jeden Fall ein Ort, der in dem ihn umgebenden Kiez seltsam entrückt wirkt. Als würde man den Hof betreten und auf eine Zeitreise gehen. Wobei die Reisebusse, die die Schulklassen zum Museum bringen, dieses Gefühl auch schnell wieder zerstören.
Kulturelle Vielfalt statt Leuchtturmprojekte
Feuilletonscout: Welche Botschaft habt ihr für das Publikum?
glanz&krawall: Wir haben keine einheitliche Botschaft, dafür wirken bei BERLIN is not SALZBURG viel zu viele verschiedene Künstler:innen mit und das wäre uns auch viel zu eindimensional. Was wir als künstlerische Leitung dieses Festivals aber sehr wohl artikulieren möchten: Wir machen uns große Sorgen um die Berliner Kulturszene in ihrer Vielschichtigkeit und wir hoffen sehr, dass sich Mittel und Wege finden werden, einen weiteren Kahlschlag zu verhindern und die bereits beschlossenen Kürzungen aufzufangen. Nicht alle Werte lassen sich in Zahlen messen.
Zauberflöte: Festival für alle
Feuilletonscout: Welches Feedback wünscht ihr euch?
glanz&krawall: Wir freuen uns, wenn wir wieder ein Publikum aus vielen verschiedenen Menschen bei unserem Festival begrüßen dürfen – so richtig schön ist es doch erst, wenn ganz unterschiedliche Leute für ein Festival zusammenkommen und gemeinsam eine gute Zeit haben.
Die Antworten für glanz&krawall gaben Marielle Sterra und Denis Depta. Vielen Dank!
BERLIN is not SALZBURG
vom 11.-13. Juli 2025
Tickets und weitere Informationen hier
Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.
Magic Flute radical: ‘BERLIN is not SALZBURG’
With Berlin is not Salzburg, the collective glanz&krawall once again questions what culture means in a changing city. Their starting point is Mozart’s Magic Flute, radically reimagined by Theater Thikwa, Die Schlangenknaben, punk band The toten Crackhuren im Kofferraum, drag artists, and school students. The venue: the former Stasi headquarters – a space that mirrors Sarastro’s male order through power, control, and ritual.
Since 2019, the Berlin is not… series has offered sharp cultural commentary on Berlin’s political climate. Once, it was clear: Berlin is not Bayreuth. But today, cuts hit especially the independent scene. Is Berlin becoming like Salzburg – a cultural showcase for major events only?
glanz&krawall respond through art: with diversity, irony, and conviction. After all, Mozart himself was no fan of Salzburg. They don’t aim to deliver a single message, but they do want to take a stand – for an open and vibrant cultural landscape.








Wäre schon sehr neugierig gewesen auf dieses Stück, leider hab ich’s gerade erst gelesen.
Herzlichen Gruß aus Bayern
Hanni