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Eine Werkstatt, um die Ohren zu öffnen: Violina Petrychenko und Kai Schumacher beim Eröffnungskonzert im PIANOVUM Wuppertal 

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Eine Werkstatt, um die Ohren zu öffnen: Violina Petrychenko und Kai Schumacher beim Eröffnungskonzert im PIANOVUM Wuppertal Von Stefan Pieper

Es riecht nach Holz und Werkstatt. Viele Flügel stehen im Raum, teilweise komplett, manchmal auch als Torso, da sie gerade aufgearbeitet werden. Auf Arbeitstischen sind zerlegte Elemente der Flügelmechanik zu bewundern. PIANOVUM heißt das kleine, junge Unternehmen, das sich der Aufarbeitung und Veredelung alter und neuerer Flügel und Pianos verschrieben hat. Welche Instrumente den Weg in diese Räume finden, bleibt nicht dem Zufall überlassen: „Instrumente mit Seele müssen es sein“ bekundet Michael Thron, der Klavierbaumeister und Unternehmensleiter, der hier mit wenigen Mitarbeitern, aber umso mehr Idealismus den produktiven Betrieb stemmt.

Wenn hier schon so viele hochwertige Instrumente stehen, die regelmäßig gespielt sein wollen – was liegt hier näher, diesen Ort als reizvolle Off-Spielstätte zu nutzen! Deswegen wird jetzt in Wuppertal an eine bereits in Düsseldorf gut etablierte Reihe angeknüpft. Denn die dortigen Präsentationsräume von PIANOVUM locken schon seit längerem ein Konzertpublikum an.

Violina Petrychenko/© Stefan Pieper

Man schalte die kühle Deckenbeleuchtung aus und dafür einige farbige Spots an – fertig ist das stimmungsvolle Ambiente für ein Musikereignis. Auch die offene Akustik kommt wie gerufen für ein Konzert. Der Raum, der wie ein großes Loft anmutet, hat sogar eine Empore. Dort werden an diesem Abend die Getränke serviert.

Ein ungewöhnlicher Spielort darf, ja sollte sich auch ein unkonventionelles Programmkonzept leisten. Diesem Aspekt trägt die Debutveranstaltung selbstbewusst Rechnung: Da verweigert sich die in Köln lebende gebürtige Ukrainerin Violina Petrychenko jeder wohlfeilen Verführung, die x-te Einspielung bekannter Standardwerke auf den Markt zu werfen. Stattdessen bricht sie eine Lanze für die Kultur ihres Heimatlandes, wo in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder Drangsalierungen durch fremde Mächte Alltag sind.

Die junge Pianistin verschreibt sich in ihrem aktuellen Programm dem Komponisten Vasyl Barvinsky. Dieser leitete langjährig das Lemberger Konservatorium, bevor er von den Sowjet-Machthabern in den Gulag geschickt wurde und dessen Noten öffentlich verbrannt wurden. Barvinksys einziges „Verbrechen“: Er hatte sich zu den eigenen musikalischen Wurzeln seines Heimatlandes bekannt. Man konnte beim Spiel von Violina Petrychenko auf dem sehr orchestral klingenden Ibach-Flügel unweigerlich ins Schwelgen und Träumen geraten. Fühlte sich mitgenommen in eine durchaus introvertierte Ausdruckswelt, in der nichts grell oder zerrissen daher kommt. Stattdessen werden subtile Farben aus einer reichen Palette geschöpft. Viel „Fin de Siecle“ ist im Spiel und es wird auch behutsam in die Moderne geblickt – sowohl in einem tief melancholischen Zyklus über die Liebe, aber auch in Barvinskys Präludien, in denen sich dieser Komponist mannigfaltige Formen für eine stark subjektive Haltung zu Nutze macht. Schließlich bringt Violina Petrychenko in Barvinskys „Ukrainischer Suite“ mehrere Volkslieder zu Gehör, die aber in höchstem satztechnischen Raffinement aufgehen. Spürbar wird, wie tief sich diese Pianistin durch ihr warmes, uneitles Spiel in diese Materie eingefühlt hat. Dass es hier noch mehr zu entdecken gibt, machte Violina Petrychenko in ihrem Zugabenstück deutlich: In einem Stück aus der Karpathian Suite aus dem Jahr 1992 wirbeln die Rhythmen, stürmt ein moderner Gestus voran, werden harsche Schnitte und jähe, zugleich verspielte Impulse gesetzt. Man denkt an wilde, polymetrische Tänze aus fernen östlicher Welten, aber kann auch staunen über die kühne, von Petrychenko mit hautnaher Präzision zelebrierte Modernität in dieser Musik.

Kai Schumacher/© Stefan Pieper

Etwas ganz anderes folgte nach der Pause: Auch Kai Schumacher wählt nicht den Weg des geringsten Widerstandes, sondern macht mit umso mehr Konsequenz sein eigenes Ding. Aktuell hat es ihm der musikalische Minimalismus verschrieben – und hat hier ein starkes Album vorgelegt. Der Titel sagt schon alles „Beauty and Simplicity“. Sein ungemein hypnotisches Konzert in der PIANOVUM-Werkstatt zeigt, dass er ganz tief blickt, um dieses Prinzip in der Musik zu demonstrieren. Da wird man von einem Wim-Mertens-Stück direkt in die Melancholie legendärer Peter-Greenaway-Filme katapultiert. Das alles lebt in Schumachers sehr eigenständiger pianistischer Handschrift. Wer hier tief hinein hört, wird mit reichen faszinierenden Momenten belohnt. Patterns und Loops türmt er in Steve Reichs „Electric Counterpoint“ auf, diesmal im Duo mit einer raffinierten Liveelektronik. Dann folgt ein verblüffender Schnitt: Eine berückend weich atmende Version von Erik Saties „Gnossiene“ transportiert einmal mehr jenes Prinzip, musikalische Aussagen auf ihre radikale Einfachheit zu reduzieren. Und es berührt tief, wie Kai Schumacher mit so viel klanglicher und artikulatorischer Konsequenz den Flügel und manchmal einige technische Hilfsmittel behandelt.

Also hatte an diesem Abend die Werkstattatmosphäre an diesem Ort Ohren und Sinne weit genug für Un-Erhörtes geöffnet. Fortsetzungen sind ausdrücklich erwünscht! An entdeckenswerter Musik und aufgeschlossenem Publikum mangelt es jedenfalls nicht.

 

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