Von Stefan Pieper
Da steht Tobias Schösslers schwarzer Flügel im Wohnzimmer in seinem Haus im beschaulich ostwestfälischen Städtchen Harsewinkel. Warum sich im Trubel der großen Musikmetropolen herumschlagen, wenn doch an diesem Ort so eine produktive Einheit aus Lebensmittelpunkt und künstlerischer Wirkungsstätte besteht?! Manchmal wirkt Reizarmut eben bereichernd…
Diesem Credo folgt der Pianist, der in Osnabrück klassisches Piano studierte, dann jedoch immer mehr die freie Improvisation und auch den Jazz entdeckte und in seinen aktuellen Projekten keine Grenzlinien mehr zwischen den Genres zieht. „Hybridspiele“ brachte es die FAZ auf den Punkt, was Tobias Schössler auf seinem letztem Duo-Album mit Klaus Wallmeier vollführte. In seinen Live-Auftritten – zum Beispiel im letzten Jahr auf dem Nordsternturm – zeigt er sich zudem als hellhöriger, überaus wendiger Duopartner, der die Reibung sucht. Und dafür auch gerne vielen unterschiedlichen Spielpartnern aus improvisierter und komponierter Musik, aus Jazz, Klassik und Neuer Musik begegnet – etwa mit der Blockflötistin Gudula Rosa, dem Cellisten Karl Figueroa oder den Saxofonisten Florian Walter.
Nicht um Reibung im Duo, dafür mehr um Versenkung geht es Schössler bei seinem aktuellen Album „Sections“. Für sein Anliegen findet er Worte, die erst einmal verblüffen: „Ich wollte mal richtig das Klavier aussaugen!“, wie er beim Ortstermin in seinem Wohnzimmer formuliert. Ja, das trifft es. Sections kommt bekanntlich von sezieren! Auch die weiteren Erläuterungen zum kreativen Prozess für dieses Soloalbum zeigen, wie tief er reflektiert, um die Resultate dann in Töne zu fassen: „Hier wurde Musik geboren aus einer bewussten musikalischen Archaik heraus. Mein Anliegen war, formal-kompositorische und pianistische Stilelemente regelrecht im besten Wortsinne zu sezieren.“ Tief verstanden hat Schössler die Ingredienzien seiner Musik allemal.
Vor allem besinnen wir uns bei diesem Nachmittagsbesuch auf die Tugend des gemeinsamen Musikhörens. Das heißt eben nicht, etwas „nebenbei“ zu hören, sondern bewusst zu hören und – ganz wichtig – mal nichts zu sagen. Viel zu oft übertönt doch das eigene Gerede die Musik. Aber das gemeinsame bewusste Hören kann noch viel verbindender wirken. Tobias Schössler kennt dies aus eigener Erfahrung: „Man kommt sich einfach sehr gut unter Menschen nahe, wenn man dies tut“, bekundet er. Also hören wir hinein, aber stoppen regelmäßig die brandneue CD, um Eindrücke auszutauschen. Es beginnt mit einer Moondog-Hommage. „Mich reizt sehr das Spektakulär-Unspektakuläre daran und ich habe es mit dem Eröffnungsstück der CD gewissermaßen beantwortet. Immer wieder transportiert diese Musik eine Art Rotation, die mit kleinen Räumen auskommt, aber zugleich die Tore zu großen Assoziationen öffnet.“ Das funktioniert so gut, weil Schösslers Anschlagsfinesse an den vielen subtilen Feinheiten barocker, klassischer oder moderner Klaviermusik bestens geschult ist. Auf Nachfrage liefert Schössler eine weitere logisch erscheinende Erklärung: Natürlich ist er ein leidenschaftlicher Debussy-Interpret. Ebenso sei Bach ganz besonders wichtig, und im Moment hat es ihm die französische Barockmusik sehr angetan. Sagt er und setzt sich an den Steinway, um eines seiner momentanen Lieblingsstücke von Rameau vorzuspielen.
Wir lassen auf diese Weise die weiteren Stücke auf uns wirken. So sehr dies verbindet, so unterschiedlich ist der Hör-Hintergrund im Moment: „Ich höre diese Stücke auf einmal viel selbstkritischer. Sind sie wirklich so gut?“ fragt mich der Pianist, der sich wochenlang, tagelang an ihnen und ihrem Aufnahmeprozess abgearbeitet hat. Die ursprünglichen Ideen reiften schon sehr lange ihn ihm. Ich kann ihn in diesem Moment beruhigen – und habe nach dem gemeinsamen, intensiven Anhör-Prozess noch einen deutlich tieferen Zugang gefunden.
Die Spiellänge der neuen Platte ist denkbar kurz ausgefallen. Schössler steht dazu: „Ich wollte es einfach mal kurz machen!“ Die Dinge auf den Punkt bringen – wo andere schon weitschweifig und geschwätzig genug sind! Die Arbeit mit dem Tonmeister im Fattoria Musica Studio von Osnabrück ging ähnlich fokussiert vonstatten. Tobias Schössler hatte im Zuge dessen seinen Tonmeister gefragt, ob es noch etwas hinzuzufügen gäbe. Klare Rückmeldung: Nein, es ist alles gesagt. Stattdessen bekam er den Rat, die Pausen lieber etwas zu verlängern. Je kürzer die Stücke, desto zeit-loser scheint es. Pausen sind wichtig und vor allem auf diesem Tonträger eine Aufforderung zur Kontemplation. Zum Verweilen und zum „Einmal-Nichts-Sagen.“
Tobias Schösslers selbst produziertes Album „Sections“ ist am 27. 10. 2017 erschienen.
Label/Musikverlag
wwrecords Berlin/freiband music publishing Hamburg
CD, LP (limited edition) und download
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