Von Stefan Pieper
Wer ständig als Musikrezensent aktiv ist, leidet sicherlich keinen Mangel an neuen CDs, die fast täglich immer wieder neu im Postkasten landen. Zahllose fabelhafte Künstlerinnen und Künstler sind heute auf einem immensen musikalischen Niveau unterwegs – leider reichen die Kapazitäten nicht aus, um der Vielfalt auch nur ansatzweise würdigend gerecht zu werden. Über eine, wirklich herausragende Einspielung darf aber nicht geschwiegen werden. Die kommt von einem jungen spanischen Pianisten, der sich der Klaviermusik Maurice Ravels verschrieben hat!
Maurice Ravels Musik ist bekanntlich mit genug Attributen behaftet: Rätselhaft, minimalistisch, sphärisch, exzentrisch, funkelnd, tief berührend, artifiziell, was auch immer. Oft passiert vieles davon gleichzeitig. Liegt es an einem bewusst „revolutionären“ künstlerischen Ideal bei Ravel, der Sohn eines spanischen Vaters und einer französischen Mutter? Ist es die Prägnanz seiner Einfälle und ein erkennbarer Willen, es niemandem recht zu machen und sich konsequent zwischen alle Stühle zu setzen? Viele seiner Zeitgenossen und konservativ eingestellte Lehrer kamen mit so viel Fortschritt nicht klar, wenn sie einige von Ravels Kompositionen höchstens als „mittelmäßig“ bewerteten. Da ist sie wieder, die hohe Kunst, des „seiner Zeit voraus seins.“
Wenn einem beim Hören der neuen Ravel-Interpretationen von Alfonso Gomez auf Anhieb solche Gedanken ins Bewusstsein schießen, dürfte dieser Pianist einiges richtig gemacht haben. Alles Denkbare wird im gleichsam zupackenden wie hellsichtigen Spiel von Alfonso Gomez unmittelbar erfahrbar: Die „Jeux d`Eeau“ lassen in diesem Spiel tatsächlich nichts anderes als solche Metaphern zu. Will sagen: Wie Gomez die feinziselierten Tongirlanden formt, wie er durch extreme Feinabstimmung Hintergründe koloriert und im Vordergrund zwischen himmelhoch jauchzender Stürmerei und tief lyrischer Reflexion schwindelerregende Fallhöhen auslotet, das stimuliert Bilder und evoziert Zustände!
Gomez kann aber noch mehr, als nur die vielbeschworene „Sinnlichkeit“ durch dezidierte Anschlags-Raffinesse auf die Spitze zu treiben. Ravels Melodien brennen sich ja auch wegen ihres genialen Minimalismus‘ so tief ein. In seiner „Pavane pour une infante défunte“ nimmt er sich zurück, reiht Töne in fast schon entwaffnender Kargheit aneinander, was dafür sorgt, dass die Musik auch lange nach dem eigentlichen Hören im Kopf nicht verstummen will.
In den „Miroirs“, gefolgt von dem mächtigen Virtuosenstück “Gaspard de la Nuit“ wird in neue tonmalerische Traumsequenzen abgehoben. Da bündeln sich verführerische Stimmungen und rätselhafte Melodik, werden tänzerisch-motorische Parts orgiastisch aufgeladen. Plötzlich erhebt sich in der „Alborada“ die ganze glühende Leidenschaft eines spanischen Tanzes. Eindringlich läuten zuweilen die Totenglocken. Zugleich lässt die Momentaufnahme von einem Gehenkten am Galgen es nicht an morbider Beklemmung mangeln. Zum Finale pflegt das differenzierte, so tief verständige Spiel von Alfonso Gomez eine Art subtiler Geschichtsbetrachtung: „La Valse“ lässt den Duft einer vergangenen Epoche atmen, doch dann bekommt das Bild andere, ironisch verfremdete Zwischentöne. Die differenzierte Farbpalette in diesem Spiel ist umfassend genug, dass Ravels Gratwanderung zwischen Verballhornung und Liebeserklärung ans Walzer-Genre selbst der Orchesterfassung von „La Valse“ in keinem Moment nach steht.
Alfonso Gomez ist auf Konzertreise und kommt auch nach Deutschland.
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Alfonso Gomez
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