Von Barbara Röder.
Alles ist gesagt, obwohl noch kein Wort gesprochen.
Eine blutrote Bühne erstreckt sich über den Orchestergraben, ragt ins Publikum hinein. Hinter der Bühne befinden sich Ränge, die von der anderen Seite die Menschen ins Geschehen blicken lassen. Das Globe Theatre, eine elisabethanische Projektionsfläche inmitten des schicken neobarocken, plüschigen Staatstheaters Wiesbaden also. Das hat was!
Auf diesem kahlgefegten, blutgetränkten Schauplatz lässt Regisseur Nikolas Brieger seine Adaption von Friedrich Schillers ‚Wallenstein‘ spielen. Schillers Mammut-Œuvre, eine Dramen- Trilogie mit den Teilen Wallensteins Lager’, ‘Die Piccolomini’ und ‚Wallensteins Tod’ (sie würde komplett nahezu 11 Stunden dauern) wurde von Brieger für die Wiesbadener Bühne zu einem durchlaufenden dramatischen Konzentrat von vier Stunden zwanzig mit dem Titel ‚Wallenstein‘ gebraut. Erstanden ist ein Elixier, das in seiner Konsistenz, seinem Purismus, seiner Klarheit die hohe Kunst des Sprechens feiert. Es ist eine Inszenierung, die aus dem Geiste Schillers existiert. Wir sind Miterleber, Mitwisser und am Ende dieser langen, enorm kurzweiligen Wallenstein-Reise durch die Nacht, Verbündete und Versteher der komplexen Charaktere.
Ein Breughelsches Szenario ergießt sich auf rotem Grund. Leiber bäumen sich gen Himmel auf wie in Pieter Breughels Gemälde ‚Der Triumph des Todes’. Aus diesem Klumpen Menschenleibern werden die Protagonisten des dramatischen Gedichtes “Wallenstein“. Sie streifen mausgraue Soldatenmäntel aus Filz über, die Damen hüllen sich in Businesskostüm oder Kleid. (Kostüme:Andrea Schmidt-Futterer)
Sie verwandeln sich. Ein Jeder, eine Jede wird ums Überleben kämpfen. Kämpfen für Ideale, kämpfen um Macht, für selbstgewählte Freiheiten und so vieles mehr im ‚Gefängnis Krieg‘. Ja, es existiert ein wahres Leben, der wahre Mensch auf den Schlachtfeldern der Jahrhunderte. Wir erleben und erkennen seine Geschichte in den Figuren des Dramas.
Musikalisch führt uns ein Till Eulenspiegel gleichender Bänkelsänger durch die Geschehnisse. Brecht’sche Mutter Courage Assoziationen fliegen da durchs Herz und Hirn. Bernhard Moshammer, der als Klampfe spielender und singender Kommentator durch die Szenen geistert hat eigens für diesen Wiesbadener ‚Wallenstein’ Musik komponiert. Inspiration waren die Gedichte von Andreas Gryphius, 1636, ‚Tränen des Vaterlandes‘ oder eines von Giordano Bruno. Auch ‚Der grimmig Tod mit seinem Pfeil‘ aus dem Paderborner Gesangbuch, 1617, wird gesungen. Zudem bereichern ‚Burning Hell‘ von John Lee Hooker und Bob Dylans ‚Master of War‘ die Aufführung. Dies sind schöne, sinnige Ideen.
Ein weiteres, musikalisch einprägsames Element dieser Inszenierung ist die tosende Rohrbombe, die durch ein langes metallenes Rohr fegt und fetzt. Inhalt: geheime Dokumente sowie Kriegsgeheimnisse. Sie ragt quer auf die Spielfläche hinein und es verursacht einen Höllenlärm, dass man zusammenzuckt, wenn wieder mal so eine Kriegsbotschaft durchrauscht. (Bühne: Raimund Bauer)
Schillers Wallenstein treffen wir in der Eröffnungsszene im achtzehnten Jahr des dreißigjährigen Krieges 1634 nahezu gescheitert. Er ist müde, kränkelt, zweifelt und ist trotz allem Ungemach innerlich gerüstet, Frieden zu wollen. Jahrzehntelang kämpfte er für die katholische Vorherrschaft der Habsburger. Wallenstein wurde wohlhabend durch Heirat, reich durch so manch unsaubere Kriegsmethode. Jetzt führt er Verhandlungen mit den protestantischen Schweden um des Friedens willen. Zudem liegt er mit dem Kaiser in Streit und wird von seinem Freund Piccolomini in dessen Auftrag bespitzelt. Dass Schergen des in seiner Ehre gekränkten Buttlers Wallenstein abstechen werden, liegt noch in weiter Ferne. Diese schlagen als groteske shakespearsche Totschlägerfratzen in den Bann. Das muss betont werden. MacDonald, Noah L. Perktold und Deveroux, Matthias Lamp sind großartig in ihrer bitterbösen, komödiantischen Slapstick Show. Sie haben einen Mordsspaß im wahrsten Sinne des Wortes.
Tom Gerber ist dieser in sich gequälte, nach außen hin starke, herrische Wallenstein, dem Nicolas Brieger so keinerlei Sternenguckerei verabreicht hat. In der Historie hatte Wallenstein Astrologie und Mathematik in Italien studiert. Bei Schiller ist er einer, der sein Schicksal in den Sternen sucht. Dass Seni, Wallensteins Astrologe, herausgeschnipselt wurde tut dieser lebendig couragierten Wallenstein Introspektion keinerlei Abbruch. Auch fehlt der berühmte Ausspruch: ‚In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne‘. Dies ist der Ratschlag und Blick hinein in die Seele Wallensteins. Nein, wir vernehmen keinerlei Sentimentalitäten, keinerlei Träumerei oder Utopien von diesem harten, einsamen Einzelkämpfer, dem Gerber starke, glaubhafte Momente schenkt. Seinem Wallenstein sind der Glaube, die Liebe und das Hoffen abhanden gekommen. Der Pelz am Mantel wärmt ihn nicht. Ihn schaudert, ihn fröstelt innen wie auch außen. Er gibt, wie Thomas Mann es einst in seiner Schiller-Gedenkrede 1955 beschrieb, einen:‚ zweideutigen, aus Gut und Böse rätselhaft gemischten, fatalistisch zögernden und von seinem eigenen Gedankenspiel ins Verderben geführten Charakter‘ mit Bravour.
Mächtig, glutvoll, überfallen uns die überhitzten Gefühle der jungen Liebenden Thekla und Max. Vulkanisches Glühen springt aus den Gesten des jungen Max Piccolomini, den Lukas Schrenk mit großer Empathie für die Gerechtigkeit und den Glauben an den Menschen gibt. Er ist eine Idealbesetzung für die Rolle des unbedachten schwärmerischen Hitzkopfs. ‚Ich gehöre mir selbst‘! Fatal ist es, dieses Bekenntnis, den die junge rebellisch Liebende Thekla, Maria Wördemann, mit aller Inbrunst hinausschreit. Es weht über das rote Schlachtfeld wie ein verlockender Aufruf für nächste Generationen herüber. Denn keiner, keine gehört sich selbst in diesem vermaledeiten Krieg. Diesen utopischen Wunsch Schillers nach Selbstbestimmung hat er einst Marquis von Posa auf die Zunge gelegt wenn dieser ‚Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire‘ fordert. Wördemann ist eine zutiefst beseelte Thekla. Sie hievt ihren toten, in der Schlacht heldenhaft gefallenen Max über die Schulter und zerrt ihn hinaus über verbrannte Erde. Zuvor hat sie sich zusammen mit ihm aus einen blutverschmierten Kokon befreit. Ein Bild, das in seiner Intensität tief haften bleibt.
Auf kalter Asche, apokalyptischen Trümmerfeldern wird nach der Pause gespielt. Wir nähern uns dem Komplott der Feldherren Wallensteins, den sie bedächtig schmieden. Viele der famosen Schauspieler agieren in Doppelporträts. Sie sitzen auf roten Würfelhockern. Das erinnert an das Frankenburger Würfelspiel inmitten des Dreißigjährigen Kriegs, 1625. Oberösterreichische Bauern widersetzten sich den angekündigten Rekatholisierungsmaßnahmen und mussten zur Strafe um ihr Leben würfeln. Ein kluger, hintersinniger Einfall! Auf diesem Spielfeld des Verrats verhandeln sie mit doppelter Zunge. Sie betrügen und hintergehen den einst so siegreichen Wallenstein. Allem voran agiert Ottavio Piccolomini. Jürg Wisbach gibt ihn mit zurückhaltender Noblesse und weisem Kalkül. Hanno Friedrich trumpft als gekränkter, heimtückischer und verschlagener Buttler auf. Gräfin Terzky, Sybille Weiser, bietet sehr eindrucksvolle Momente. Sie agiert wie eine gefährliche Viper, die sich mit ihrer Überredungskunst und Intrigenspinnerei einzuschmeicheln versucht, um ihre, nur ihre Ziele durchzusetzen. Eine Femme Fatale auf dem Schlachtfeld, das sie nicht den Feldherren überlässt. Matze Vogel (Illo) und Matthias Lamp (Isolani) müssen ebenso genannt werden wie das herrlich im Schlagabtausch spielende Ensemble: Christian Klischat, Martin Plass, Felix Strüven, Benjamin Krämer-Jenster und Philipp Appel.
Lang anhaltender, herzlicher Applaus für diese klassische, ewig wahre Inszenierung, die ‚Menschsein’ in seiner brutalsten, reinsten Form zeigt auf der Schaubühne des Werdens und Vergehens.
Wallenstein
Ein dramatisches Gedicht von Friedrich Schiller
Alle Aufführungstermine bis Ende Juni 2022 und weitere Informationen hier
Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Christian-Zais-Str. 3
65189 Wiesbaden
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