Joseph Haydn (1732 – 1809) kann man ohne Weiteres in die Riege der außerordentlichen Komponisten einreihen: Er gilt als Vater der klassischen Sinfonie und des Streichquartetts, lebte als Kapellmeister rund 30 Jahre in der Familie Esterházy, eine der reichsten und einflussreichsten Familien im Königreich Ungarn, erfuhr in England Ruhm und Ehre, komponierte die so genannte Kaiserhymne, deren Melodie mit dem Text von Hoffmann von Fallersleben unsere heutige Nationalhymne ist, war mit Mozart befreundet und Lehrer von Beethoven.
In 17 Jahren würde Joseph Haydn 300 Jahre alt. Grund genug, in einem ambitionierten Projekt einen neuen Blick auf diesen Komponisten zu werfen, der schon zu Lebzeiten eine Berühmtheit war. Unter der Intendanz von Christoph Müller startete im Herbst 2014 mit „Haydn 2032“ ein Projekt, bei dem bis zum Jahr 2032 nicht nur alle 107 Sinfonien Haydns eingespielt und aufgeführt, sondern auch in einen erweiterten Kontext gestellt werden sollen.
Feuilletonscout: Wie kam es zu der Idee „Haydn 2032″, Herr Müller?
Christoph Müller: Ein „Flash“ eines Gedankens während eines Konzertes im Januar 2013 mit Giovanni Antonini und dem Kammerorchester Basel in der Tonhalle Zürich während Haydns Sinfonie Nr. 100… Mit diesem musikalischen Partner realisiere ich seit bald 15 Jahren spannende Projekt im Bereich der Wiener Klassik wobei vor allem Antoninis Beethoven-Deutung seit Jahren aufhorchen lässt. In der Pause ging ich zu Antonini und erzählte ihm von der Idee. Er sagte: „Du spinnst“. Aus der ursprünglich verrückten Idee einer so langfristige angelegten Haydn-Planung kam es schließlich zur Gründung der Haydn-Stiftung Basel im Mai 2013, die natürlich nur dank der Bereitschaft der beiden Basler Mäzene, dieses Projekt zu finanzieren, möglich wurde.
Feuilletonscout: Welche künstlerischen Ziele möchten Sie mit dem Projekt erreichen? Und welche persönlichen?
Christoph Müller: Es bedarf einer Art Haydn-Neudeutung, welcher alle die Erkenntnisse der Forschung der letzten 50 Jahre zugrunde liegt, und zwar nicht nur für die berühmten letzten „Londoner“-Symphonien sondern für das gesamte sinfonische Werk. Ziel ist es, mit einem Musiker wie Antonini die Musik als das darzustellen, was Haydn ausdrücken wollte: Energie, Spannung, Leidenschaft. Persönlich möchte ich mich in den kommenden Jahren ganz dieser Mission hinwenden, die nicht nur mit der Produktion der Projekte für Aufnahmen und Konzerte getan ist sondern auch die weltweite Vermittlung, Verbreitung und dem Aufbau einer Haydn-Community vorsieht.
Feuilletonscout: Was lieben Sie persönlich an Haydn?
Christoph Müller: Seinen musikalischen Reichtum, seine Sprache, die mich einholt, in jeder Situation des Lebens.
Il Giardino Armonico
Das Ensemble gründete sich 1985, seit 1989 wird es von Giovanni Antonini geleitet. Es gilt als eines der führenden Orchester für Alte Musik mit einem Repertoire, das hauptsächlich Werke des 17. und 18. Jahrhunderts umfasst. Je nach Bedarf, sind dabei drei bis 35 Musiker im Einsatz. Das Ensemble arbeitet seit vielen Jahren mit herausragenden Künstlern zusammen, darunter Cecilia Bartoli, Julia Lezhneva und die Cellistin Sol Gabetta. Antonini selbst ist neben seiner Leitungsfunktion bei Il Giardino Armonico auch als Dirigent bei Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem Concertgebouworkest in Amsterdam und dem Mozarteum-Orchester in Salzburg zu Gast.
Haydn 2032 – mehr als nur Musik
Literarische Texte, Fotos von Magnum-Fotograf Chris Steele-Perkins, Werkgespräche, Kulinarik – das Projekt geht weit über das Musikalische hinaus.
So findet in der Radialen Nacht im Radialsystem Berlin am Freitag auch eine Lesung des Autors Bernhard Lassahn statt.
Feuilletonscout: Welche künstlerischen Ziele möchten Sie mit dem Projekt erreichen? Und welche persönlichen?
Bernhard Lassahn: Die Musiker bemühen sich um eine so genannte historisch informierte Interpretation. Der Text tut es auch. Also habe ich Tatorte aufgesucht und versucht, in die Zeit zurückzureisen. Ich bin inzwischen in einem Alter, in dem ich das richtig gerne tue. Dabei konnte ich natürlich die modernen Kontaktlinsen, die ein jeder heutzutage hat, nicht problemlos herausnehmen. Ich habe trotzdem versucht, unbefangen zu bleiben und als „glücklicher Dilettant“ mit einer zweiten Unschuld an die Aufgabe heranzugehen*.
Feuilletonscout: Wie nähern Sie sich textlich-literarisch dem Komponisten Haydn?
Bernhard Lassahn: In Briefform. So hat sich auch die so genannte Gelehrtenrepublik, die „republic of letters“ verständigt, der Haydn als Kind seiner Zeit und als Intellektueller der besonderen Art angehörte. Die direkte Ansprache in einem Brief passt auch gut zur Musik, die uns ebenfalls unmittelbar anspricht und berührt – als wären wir persönlich gemeint.
Im ersten Text tue ich so, als würde ich meiner Tochter schreiben, die gerade in dem Alter ist, in dem Haydn war, als er seine ersten Sinfonien komponierte und als würde ich ihr erklären, welche Rolle die Leidenschaft in der Kunst und im Leben spielt und auch – es war schließlich Band 1 der Edition –, wie der erste Eindruck war, den Haydns Musik damals gemacht hat.
Im zweiten Text, in dem es um Originalität geht, tue ich so, als würde ich meinem Vater schreiben – einem Professor mit besonderem Faible für die Epoche der Aufklärung, in der die „auf sich selbst gestellten Persönlichkeiten“, wie Haydn einer war, auftraten. Mit ihm erörtere ich die Frage, inwieweit man seine Sinfonien als Versuch sehen kann, die „unsichtbare, innere Natur des Menschen“ mit eigenen wissenschaftlich-künstlerischen Mitteln zu vermessen, so dass man seine Sinfonien durchaus mit philosophischen Texten, die ebenfalls versuchten, die Welt in ihrer Vielfältigkeit abzubilden, vergleichen kann.
Feuilletonscout: Was lieben Sie persönlich an Haydn?
Bernhard Lassahn: Ich bin zum Glück im richtigen Alter mit den Beatles aufgewachsen, so dass ich da noch die Lust am Neuen spüren konnte sowie die grundsätzlich positive Lebenseinstellung, die ein lautes „Ja“ verkündet. So kommt man auf den Geschmack – und wenn man schließlich eine Art von Kunst besonders mag, bei der die Arme weit geöffnet sind, um möglichst viele Menschen zu umarmen, bei der ein Künstler aber gleichwohl auf seinen Besonderheiten und seinen Qualitätsansprüchen besteht, dann sucht man sich eben so seine Lieblinge aus. Dazu gehört Haydn.
Ein Musikfreund aus dem Jahre 1800 beschreibt sein Vergnügen an Haydn so, wie ich es selber nicht besser tun könnte: „Ich kann Ihnen nicht genug sagen, welch eine reine Behaglichkeit und welch ein Wohlsein aus Haydns Werken zu mir übergeht … Die heitere, schalkhafte, gutmütige, geistreiche Laune, verbunden mit der übermütigen Phantasie, mit der Kraft und Gelehrsamkeit und Fülle – kurz dies Schwelgen in einem Frühling von Tönen und schönen Modulationen, kann das Leben angenehm machen.“
* Einen Text zu schreiben … nun ja, das ist schon eine einsame Angelegenheit. Es geht aber auch in diesem Fall nicht ohne ein gewisses gemeinsames Musizieren und so danke ich für das Zusammenspiel Martin Betz, Stefan Till Schneider, Nicole Restle, Rudolf Lassahn, Christian Moritz-Bauer und Giovanni Antonini.
Konzertzyklus „Il Filosofo“
Die Konzertzyklen wollen zudem Konzertsituation des 18. Jahrhundert in moderner Form wiederbeleben. Sie werden nicht nur auf historischen Instrumenten gespielt, sondern auch von Kompositionen von Haydns Zeitgenossen wie Christoph Willibald Gluck oder Friedrich Wilhelm Bach umrahmt. Ziel ist, nicht eine chronologische Reihenfolge einzuhalten, sondern Assoziationsräume zu schaffen. So steht im ersten Zyklus „Il Filosofo“ das Experimentelle in Haydns Kompositionen im Vordergrund.
Donnerstag, 6. Mai/19.00 Uhr
«Il Filosofo» Martinskirche Basel
Freitag, 8. Mai 2015 / 19.00 Uhr
Radiale Nacht Haydn2032
«Il Filosofo» im Radialsystem V., Berlin
Karten: radialsystem.de / Tel. +49 (0)30 288788588
Samstag, 9. Mai 2015 / 19.30 Uhr
Haydn-Nacht im Schloss Esterházy, Haydnsaal, Eisenstadt
Karten: haydnfestival.at / Tel. +43 (0)2682 61866
Programm:
Joseph Haydn (1732–1809)
Sinfonie Nr. 47 in G-Dur, Hob. I:47 (1772)
Joseph Haydn (1732–1809)
Sinfonie Nr. 22 in Es-Dur, Hob. I:22 «Der Philosoph» (1764)
Joseph Haydn (1732–1809)
Sinfonie Nr. 46 in H-Dur, Hob. I:46 (1772)
Wilhelm Friedemann Bach (1710–1784)
Sinfonia in F-Dur
Sammleredition „Il Filosofo“ mit CD, Fotografien und Texte zeitgenössischer Autoren und Musikwissenschaftler hier
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