Von Ingobert Waltenberger.
Rein künstlerisch eint die auf der vorliegenden CD präsentierten Lieder, dass sie auf Texte zurückgreifen, die die tiefe Faszination von Übersetzungen chinesischer und persischer Poesie im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts widerspiegeln. Freilich reicht die romantische Begeisterung für den mythischen Osten weiter in die Vergangenheit, wie Goethes großer Zyklus West-östlicher Divan – inspiriert vom persischen Dichter Hafis aus dem 13. Jhdt. – belegt. In Wien sorgte zudem die Weltausstellung von 1873 mit ihren Exponaten ottomanischer, japanischer und islamischer Kunst für ein hohes Interesse an „exotischen“ Kulturen.
Der britische Bariton Simon Wallfisch will aber mit seinem klugen Programm mehr: Nämlich das willkürlich zusammengewürfelte Genre „Entartete oder Unterdrückte Musik“ aufbrechen, „bei dem Komponisten mit völlig unterschiedlichen Werdegängen und mit unterschiedlich ausgeprägten Talenten in einen Topf geworfen wurden.“ Daher finden sich auf der CD neben Liedern etwa von Ullmann, Gál oder Wellesz auch die Gesänge des Orients Op. 77 von Richard Strauss, damit der Hörer in die unglaublichen Klangwelten all dieser musikalischen Cousins eintauchen kann. Dieser Ansatz ist großartig, weil er die Parallelen in der musikalischen Qualität unter die Lupe nimmt, ohne selbstverständlich in diesem Zusammenhang auch nur ein relevantes historisches Ereignis zu vergessen.
Die Vita des Sängers ist von persönlichem Erleben geprägt: Seine Großmutter, Anita Lasker-Wallfisch, hat Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt. Wallfisch hält daher Vorträge zum Thema Antisemitismus und begleitet seine Großmutter, die als bewundernswerte Zeitzeugin und Auschwitz-Überlebende bei diversen Veranstaltungen bzw. im Fernsehen auftritt. Als Musiker hat sich Wallfisch intensiv mit dem Schaffen und den persönlichen Schicksalen der Komponisten Egon Wellesz und Hans Gál, die beide 1938 nach Großbritannien fliehen konnten, sowie Viktor Ullmann und Pavel Haas beschäftigt, die 1944 in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurden. Eine hohe Achtung hegt Wallfisch auch für Gottfried von Einem, der etwa dem Pianisten Konrad Latte als einzigem Überlebenden seiner Familie half, die Kriegsjahre unerkannt in Berlin zu überstehen. Von Einem war damals unter den Fittichen von Herbert von Karajan als Korrepetitor an der Berliner Staatsoper tätig. Wallfisch ist Kurator beim ’’International Centre for Suppressed Music (ICSM)’’, das sich der Entdeckung und Wiederaufführung verfemter Komponisten und Musiker widmet.
Simon Wallfisch hat mehrere Rollen, er reüssiert als Sänger und Cellist, manchmal begleitet der Cellist auch den Sänger selbst auf seinem Instrument. Auf dem neuen Album verfügt er über Edward Rushton als aufmerksamen Pianisten, der ihn während dieser exotischen wie musikalisch ergiebigen Reise begleitet. Dem Liederbuch des Hafis, Op. 30 von Viktor UIlmann sind die acht Hafis-Lieder Op. 5 von Gottfried von Einem (1947) gegenübergestellt. Auf Viktor Ullmanns chinesische Lieder (1943) folgen vier Lieder auf alte chinesische Gedichte von Pavel Haas (1944). Gottfried von Einem hat 1948 fünf Lieder aus dem Chinesischen Op. 8 verfasst. Weiter kommen Pavel Haas mit chinesischen Liedern (1919), Egon Wellesz mit Liedern aus der Fremde Op. 15 (1913) und Richrad Strauss‘ Gesänge des Orients Op. 77 (1928) zu Gehör Die CD schließt mit fünf Liedern Op. 33 von Hans Gál (1917-1921).
Liederbuch des Hafis, Op. 30 · Simon Wallfisch · Edward Rushton · Viktor Ullmann
Gesänge Des Orients: Songs of the Orient / ℗ 2018 Wyastone Estate Limited
Die Lieder folgen überwiegend dem spätromantischen Idiom etwa eines Hugo Wolf, aber auch Einflüsse Schoenbergs, Debussys oder Ravels sind auszumachen. Hell und Dunkel, verspielte Ornamentik, breite Kantilenen und karge Dissonanzen: die vielfältigen Ausdrucksmittel spiegeln die Schulen und Lebensumstände der Komponisten ebenso wie den damaligen musikalischen Zeitgeist, der unentschieden zwischen Dodekaphonie und die Ausreizung der tonalen Grenzen schwankte.
Simon Wallfisch singt die Lieder mit markant granulierter Stimme, Ausdruck geht ihm vor Stimmschönheit. Das steht den expressiven Inhalten der Lieder gut an. Für die rare Entdeckungsfahrt, dem Repertoirewert des Albums ist dem engagierten Allrounder ohnedies uneingeschränkter Dank zu zollen.
Simon Wallfisch
Gesänge des Orients
Nimbus Records 2018
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Coverabbildung ©Nimbus Records
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