Georg Friedrichs Händels „Rinaldo“ bei den 47. Händel-Festspielen in Karlsruhe: Ein Totenschädel glotzt in den Bühnenraum. Noch immer ist der Vorhang geschlossen. Die Schädelstätte, so garstig aufgebahrt als Entree in Händels selten gespielter Oper „Rinaldo“, in der Fassung von 1731, verheißt Theaterschauder, Bühnenspektakel und Illusionszauberei. Von Barbara Röder.
Händels „Rinaldo“ – Ein barockes Meisterwerk
Mit der Opera Seria „Rinaldo“ begründete Händel 1711 im Queen’s Theatre in London seine fulminante Karriere. Sein künstlerisch aufgehender Stern verlosch seitdem nie mehr. Die Händelfestspiele, die dieses Jahr zum 47. Mal mit den besten Barockspezialisten aufwarten, gehören zu jener Trias, die das musikdramatische Genie Händels jährlich mit einem Festival huldigen und feiern: Göttingen seit 1921 und seine Geburtsstadt Halle (Saale) seit 1952.
Ein musikalisches Brodeln, das nicht immer zündet
Dirigent Rinaldo Alessandrinis Leseart der zweiten Fassung des „Rinaldo“ von 1731 ist eine, die auf markante musikalische Formulierungen verzichtet. Sein galanter Stil der musikalischen Deutung setzt – gepflegt einfühlsam- wenig auf mitreißende Akzentuierungen. Die deutschen Händel-Solisten, allesamt in der Alte-Musik-Szene, begleiten zwar aufmerksam, zuweilen sehr flott und rasant, ohne dass aber Funken überspringen. Den trügerisch stillen, sanft brodelnden Vulkan, auf welchem sich alle Protagonisten bewegten, komponierte Händel als musikalisches Brodeln, Stürmen, Plätschern und Wogen. Dieses entfaltet sich bei seinem „Rinaldo“ in Karlsruhe gekonnt inspiriert nur partiell im Orchester aber um so mehr auf den Brettern, welche die Welt bedeuten: Im barocken, lebendig auftrumpfenden Illusionstheater, welches Regisseur und Ausstatter (Bühne und Kostüme) Hinrich Horstkotte kreiert hat.
Spiel mit der Barockillusion
Horstkotte zeigt eine Ironie beladene Introspektion, die gut durchdacht, effekt- und fantasievoll ist. Sein Spiel mit dem Barocktheater, im Theater fokussiert wie vom klugen Händel ersonnen, die Liebe und deren Verstrickungen, menschliche Irrungen und Verwirrungen inklusive! Natürlich ist der Illuminationsraum Bühne gespickt mit allerlei Flügelwesen. Da fallen auch schon mal schwarze Vögel à la Hitchcock vom Himmel. (Videos: Sven Stratmann). Ein grüner Drache, Delphine, Seeungeheuer und springende Fische mischen die Szenerie im Meer des Inselreichs Armidas auf. Dass es nur die Stuhlreihen im barocken Illusionstheater Armidas sind, vergisst man schnell. Denn auch die Zauberin Armida darf träumen und hoffen in Horstkottes Zauberwelt! Seine ausgefeilte, auf die innere Entwicklung der Figuren achtende Personenregie verleihen diesem „Rinaldo“ zudem sinnliche Tiefenschärfe.
Ein Rinaldo voller Tragik und Leidenschaft
Rinaldo ist ein trauriger Held, dessen ganze Seelenpein, seine Verliebtheit und seine Kampfeslust am Ende der Oper in schallendem Rauch aufgehen. Mit Leidenschaft, die schmerzt, Koloraturen, die wie silbrige Tränen einem Herzensstrom der Liebe abgetrotzt klingen, gestaltet Lawrence Zazzo den Rinaldo. Er ist ein Charakter-Countertenor, der tief und wahrhaftig mit hauchfeiner Virtuosität darzustellen weiß. Das berührt ebenso wie die quirlige, quecksilbrig tönende Almirena, gesungen von der betörend präsenten Suzanne Jerosme. Sie gibt sich ganz der Hofetikette hin und verschmäht am Schluss den abgekämpften, einst von ihr sinnlich und wild begehrten Rinaldo.
Magische Zauberwesen und trügerisches Glück
Atemraubend sind die rasanten Auftritte der magischen Zauberin Armida. Sie entspringt einer goldenen Kuppel, hat eine fulminante Garderobe, die die Mozarts Königin der Nacht imaginieren lassen. Ihre Zauberinsel ist ein Theater im barocken Theater. Sie schwebt zwischen roten Stuhlreihen umher und lockt Rinaldo sirenenhaft aus einer Gondel heraus. Valeria Girardello singt diese Zauberfrau mit sanfter Zärtlichkeit und bravourös austarierten Knalleffekten. Ihre Armida lässt darstellerisch keine Wünsche offen. Wie ein schwarzer, schillernder Zaubervogel ist der Argante, gesungen von Francesca Ascioti, gezeichnet. Dem Gegner von Rinaldo und Goffredo, Argante, macht Armida den Hof. Leidenschaftlich kämpferisch und mit hellem, agil erdigem Alt singt sie für diesen liebestollen sarazenischen König. Der Tenor Jorge Navarro Colorado klingt ein wenig matt und farblos als Goffredo. Bassig elegant gestaltet Lisandro Abadie die Partien des Mago und Araldo.

„Glücklich sind jene, welche ihr Herz mit Sinn erfüllen“ dringt es am Ende in den Bühnenraum. Die Bühne ist leer, Jerusalem ist zerstört. Das „Lieto fine“ ist ein trügerisches. Der Ritter von der traurigen Gestalt Rinaldo, (Lawrence Zazzo) sitzt mit dem weisen Magier (Lisandro Abadie) in der Gestalt Händels am Bühnenrand. Beide feiern die tröstende Magie der Musik, der Liebe und der barocken Illusion. Vivat Händel!
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‘Rinaldo’ in Karlsruhe – passion and magic
A skull stares into the audience – a grim opening for Händel’s „Rinaldo“ at the 47th Karlsruhe Händel Festival. Händel’s 1711 masterpiece, performed in its 1731 version, unfolds as a lavish illusionary world. Conductor Rinaldo Alessandrini favors refined elegance, while the orchestra sometimes lacks dramatic impact.
Director Hinrich Horstkotte stages an opulent baroque spectacle: black birds fall from the sky, Armida’s magical realm glows in red light, and fantastical creatures animate the stage.
Lawrence Zazzo brings emotional depth to Rinaldo, Suzanne Jerosme shines as lively Almirena. Valeria Girardello mesmerizes as magical Armida, while Francesca Ascioti’s Argante adds vocal power. The deceptive „Lieto fine“ ends with Rinaldo and the magician Händel onstage – a tribute to the magic of music.
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