Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen und bisweilen entdeckt man neue Aktivitäten. Denn warum immer nur entdecken, was andere uns anbieten?
Wie wäre es, einmal selbst zur Feder zu greifen? Und sich dabei sportlich herauszufordern? Ein kleines Kreativtraining zu wagen? Mit der Technik des improvisierten Schreibens?
Wichtigstes Hilfsmittel für einen Roman, der in rund 26 bis 30 Stunden fertig sein soll: Eine Eieruhr. Denn sie wird das Zeitmaß für den angehenden Autor und die kommende Autorin sein.
Daniel Grosse praktizierte diese Methode bereits 2016, als sein improvisierter 144-Seiten-Lokalkrimi „Plausch am Ententeich“, entstand.
Ein Werkstattbericht
Schnell ein Blick auf das zuletzt verfasste Kapitel. Vor drei Tagen saß der Autor am Buchstaben G. Heute wird er mit H beginnen und dieses beenden. In 45 Minuten, denn so ist sein Konzept des improvisierten Krimi-Schreibens angelegt. 26 Kapitel soll seine Geschichte umfassen, Kapitel A bis Z. Er überfliegt also in ein, zwei Minuten G. Nun sieht der Autor die Szenerie vor sich. Er erkennt die Straßenzüge, Häuser und kleinen Geschäfte in seinem Marburger Stadtteil Marbach. Die Protagonisten Birger, Betty, deren Kumpane und der böse Harry erscheinen bildlich in seiner Wahrnehmung. Wie geht es weiter? Was unternehmen die Figuren als nächstes?
Rund vier Minuten sind rum. Die Eieruhr tickt. Im Kopf formt sich eine Idee. Sie ist im Hirn, soll über die Finger in die Tastatur gelangen. Schnell muss man tippen, dabei aber logisch und sprachlich korrekt bleiben. Das gelingt, wenn die Ablenkung aufs Minimum schrumpft. Der Autor sieht nun nur noch drei Dinge: Idee, Bildschirm und Tastatur. Sie verschmelzen miteinander. Namhafte Schriftsteller mit bildhaften Plänen für ihren ausgefeilten Plot geraten in Vergessenheit. Ebenso kein Neid wegen der Zeit, die sie sich für ihre Geschichten nehmen können, damit das Buch ein Bestseller wird. Sprachlich geschliffen. Die Handlung raffiniert gestrickt. Das Ende verblüffend. All das sollte Autorinnen und Autoren in diesen Minuten des improvisierten Schreibens egal sein. Hier geht es um Effektivität. So gut wie möglich, in so wenig Zeit wie nötig.
Improvisierend Schreibende sind mit der 45-Minuten-Regel 100-Meter-Läufer, deren Aschenbahn ein Zeitteppich ist, der in 45 Minuten bestmöglich überrannt werden muss. Buchstaben und Worte sind die Schritte. Im Ziel steht eine Leistung gegen Gegner, die es nicht gibt. Wenn überhaupt, laufen Zeit und Perfektionismus hier mit den Autoren um die Wette.
Zurück zum Schreibexperiment des Autors. Die Uhr nun ist bei Minute 26 angelangt. Birger und Betty, die beiden Protagonisten, müssen etwas tun. Sie sollen nachdenken, sprechen, rennen, springen, sich erschrecken, etwas werfen oder sich küssen. Manchmal joggen die beiden auch gemeinsam. Spätestens jetzt wird klar, dass es zuweilen besser und einfacher funktioniert, in Sekunden Sätze zu erfinden, wenn Figuren dynamisch handeln. Dann bewegt sich die Geschichte, nimmt Fahrt auf, was wiederum die Kreativität positiv beeinflusst. Improvisiertes Schreiben unterliegt scheinbar anderen Gesetzen.
Noch zehn Minuten und es wird klingeln. Während der Autor schreibt, beginnt das Nachdenken darüber, wie Kapitel H enden könnte. Aber zehn Minuten sind eine lange Zeit. Bis dahin werden die Protagonisten Dinge erleben, von denen selbst der Autor jetzt noch nichts weiß. Dabei ist es doch er, der sie lenkt, sie durch seinen Ortsteil jagt, damit sie ihre Mission erfüllen.
Es klingelt. Die Eieruhr stoppt. Das Kapitel H steht in der Rohfassung. 45 Minuten Nachdenken, Tippen, Verwerfen, Tippen und so weiter sind vollbracht. Was folgt, sind 15 Minuten Redigieren, Korrigieren, auf Logik überprüfen. Das war´s. Nun könnte das Kapitel in den Druck gehen. Allerdings empfiehlt es sich dringend, für diesen weiteren Schritt noch Gegenleser und externe Korrektoren sowie Lektoren ins Boot zu holen – natürlich für das gesamte Werk.
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Wer meine Eieruhr-45-Minuten-Methode ausprobiert hat, muss mir unbedingt schreiben, ob und wie sie funktioniert. Danke.