Von Carsten Schmidt.
So dachte ich, so hörte ich, so wurde’s mir immer gesagt: Biermann? Das ist so ein Querarsch. Einer, der immer stänkern muss, ein ewiger Querulant. Und dann sah ich Dich mal in Rostock bei einer Lesung, Du wirst Dich erinnern. 2004, ich in der 18. Reihe, rote Jacke! Gerade hatte Dich Wiglaf Droste, noch so ein Querarsch, in der taz mit Dreck beschmissen. Ich konnte weder mit Dir noch mit Droste. Deinen Auftritt fand ich nervig. Nicht, was Du sagtest, aber Dein Auftreten. Der raue Gesang, das metallisch hämmernde Gitarrenspiel – nicht jedoch die Texte. Und dann, zwölf Jahre später, sah ich Dich im Bundestag singen und reden und bei G. Jauch labern – bizarr, Karl-Wolf. Bizarr waren diese Auftritte.
Und jetzt flog Deine zarte 550-Seiten-Biografie auf meinen Tisch – und ich, altersmilde, wie ich mich mit 39 wähnte, dachte: Eine Chance gebe ich dem noch. Und dann: Nichts. Nichts ist nervig an Deiner Biografie, nichts bizarr an den hunderten Seiten.
Patsch – schlägt einem synästhetisch die Hitze der blau brennenden Chemikalien in zerbombten Fabrikhallen ins Gesicht. Man riecht den Rauch über den Hamburger Elbufern im Phosphorhagel 1943. Man greift mit Dir ins Leere, wo eben noch die Mutterhand war. Es ist ein brutal ehrlicher, naher und detaillierter Bericht Deiner Kindheit. Ich sehe es vor mir, die Fahrradlampe, in der Du die Krallen der von Dir erlegten Vögel sammeltest. Du lässt eine Tiefe und ein bewusstes Erinnern zu, die in der Form in G. Gysis Autobiografie kein einziges Mal vorkommt. Du nimmst uns mit an die Wurzeln, die Säulen Deiner Identität. Dein Vater, der umtriebige Werftarbeiter, starb als politischer Häftling, der seine jüdische Herkunft vor einem NS-Gericht stolz betonte, in Auschwitz. Du nimmst uns mit in die Nachkriegszeit – als der ur-kommunistische Junge in die neue DDR geschickt wurde, um dort der neuen „richtigen“ Republik beim Aufbau zu helfen. Ich bezweifle allerdings, dass Du Dich wirklich mit diesen Worten an eine Lehrerin für eine christliche Mitschülerin in Gadebusch eingesetzt hast:
„Sie haben jetzt diese Schülerin beleidigt und bedroht. Und wenn diese Versammlung vorbei ist, dann gehen Sie gemütlich zurück in Ihr Büro, als wäre nix gewesen, und sitzen sich dort zufrieden Ihren fetten Arsch breit.“ Hast Du so mit 17 zu einer FDJ-Lehrerin geredet? Erstaunlich jedoch ist eine Szene, wo Dich ein Stasi-Mitarbeiter zu Berichten auffordert und als West-Agent beschimpft. Nicht der Fakt, dass man Dich vorlauten Burschen anwerben wollte, ist interessant, sondern Deine Einschätzung:
„Ja, wenn dieses Schwein mir so menschlich gekommen wäre mit solchen Wahrheiten, dann wäre vielleicht alles anders gekommen. Ich hätte keinen Hauch eines moralischen Vorbehalts gespürt. Ich wäre stolz auf das Vertrauen der Partei gewesen. Ich hätte mit Feuereifer jeden in die Pfanne gehaun, der wirklich oder eingebildet ein Wort gegen unsere, die beste DDR der Welt gesagt hätte. Ich wäre langsam, wie Tausende andere, in ein Spitzelleben hineingewachsen. Es hätte mir wahrscheinlich geschmeichelt und mich immer mehr korrumpiert. Mein plietscher Verstand hätte immer ausgereicht, jede Niedertracht der Staatssicherheit zu rechtfertigen. Jede Denunziation hätte ich mir selbst als Heldentat im Klassenkampf verklärt. Und auch, wenn ich später Brecht gelesen hätte, wäre das keine Chance für einen Ausstieg aus dieser Karriere gewesen. Aus seinem reichen Werk hätte ich für mich schon das richtige Falsche rausgefischt.“
Das ist nichts weniger als einer der bedeutendsten Abschnitte, die aus persönlicher Sicht über dieses Thema in den letzten 20 Jahren geschrieben wurden. Er hilft zudem verstehen, wie der junge Liedermacher aufwuchs, eintauchte in den DDR-Alltag – und doch als ur-kommunistischer Jugendlicher mit jüdischer Herkunft nicht die Parteilieder singen wollte. Zu nah dran war Deine Familie an Thälmann und Honecker, dass Dich Leute wie Mielke nicht gleich ausknipsten. Doch früh genug warfen sie ein Auge auf Dich. Was jedoch absurd ist und im Laufe der Jahre den verschobenen Blick aufräumt: Du warst überhaupt kein bekannter, wichtiger, gefährlicher Künstler, als Du verboten wurdest:
„Über mich entleerten sich die vollen Nachttöpfe der Propagandisten. Wochenlang dauerte die Diffamierungskampagne gegen mich und meine Texte … Das Verrückte daran: Dort wurden meine Werke zerrissen, die es nirgends zu lesen gab. Kafka pur. Es war in der DDR von mir kein einziges Buch gedruckt, keine einzige Schallplatte gepresst!“
Und da wurde mir der Effekt klar. Später, als Du berühmter wurdest und die Leute dich durch die Sängerin Nina Hagen, den Schauspieler Manfred Krug und den Vorzeige-Intellektuellen Robert Havemann kannten – da war es längst gegessen. Du warst durch die Partei aufgeblasen zu einem gefährlichen Staatsfeind. Ein Effekt, den wir heute genau so kennen, wo Randphänomene derart verzerrt dargestellt werden und eine unheimliche Fläche bekommen, dass sie als lebensbedrohlich abgespeichert werden und man nicht mehr hinterfragt, welche Aufmerksamkeit sie bekommen. Und dazu gehört dann, dass man extreme Maßnahmen akzeptiert, weil man glaubt, sie schützten vor einem gigantischen Problem. Und genau so konnte es geschehen, dass Zehntausende mitmachten in einem System, wo u.a. Freunde von Dir eingeschüchtert, geschlagen, inhaftiert, vergiftet und wie Du bis in die letzte Ritze durchspitzelt wurden. Wo Bremsen von Familienautos manipuliert wurden, Radioaktiv-Strahlen Häftlinge über Jahre schädigten und Morde geschahen.Wer es nie gewusst, verdrängt oder beschönigt hat, was in der DDR geschah, wer vielleicht noch immer glaubt, dass es ein gemütlicher Konsum-Klub ohne Bananen war, wo es selten ein bisschen knirschte – der sollte Dein Buch lesen, weil dort – vollkommen anders als bei Gysis Lebensbericht – auch Westdeutsche eine gute Vorstellung bekommen vom DDR-Leben. Die Tiefe, die Ausmaße, die Perfidie, mit der u.a. Dir psychologisch und materiell immer wieder etwas vorgemacht wurde vom System, das mag sich jeder selbst erschließen.
Es ist aber Deine außergewöhnliche Haltung, die das Buch besonders macht. Jemand, der von dutzenden Spitzeln bewacht wurde, dessen Freundinnen belogen und mit Intrigen von Dir abspenstig gemacht wurden, dessen durchleuchtetes Privatleben immer wieder gegen Dich ausgespielt wurde – dass so jemand dennoch die später enttarnten Stasi-Mitarbeiter menschlich nicht verurteilt und komplett verachtet, auch wenn sie heute im Bundestag sitzen, sondern sie verbal „leben“ lässt – das ist außergewöhnlich und zeugt vom Glauben daran, dass sich Wahrheit und Klarheit immer wieder ihren Raum erobern. Das tun sie.
Und Bücher wie Deins helfen dabei, Wolf.
Wolf Biermann
Warte nicht auf bessre Zeiten!
Propyläyen, Berlin 2016
Buch bei amazon kaufen oder nur hineinlesen
Coverabbildung © Propyläen Verlag
„Warte nicht auf bessere Zeiten“ von Wolf Biermann ist von den vielen Büchern, die ich gelesen habe, eines der wenigen,die ich zweimal gelesen habe und das einzige, bei dem das dreimal der Fall war. Dieses Buch ist keine der zahlreichen „Prominenten-Autobiographien“, es ist Literatur. Es ist das beste Buch über über den inneren Zustand der DDR. Wenn man 40 Jahre in diesem Land gelebt hat, als junger Mensch den vorgeblichen Idealen der staatstragenden Partei gefolgt ist, zunehmend von Zweifeln geplagt sich letzlich als Opportunist verhalten hat, kann man sich dieses Urteil erlauben. Danke, Wolf Biermann.