… findet Kirsten Niemann.
Die Pest wütet über England und wird in den folgenden Jahren drei Viertel der Bevölkerung dahingerafft haben. Die Menschen leben in Angst und Schrecken – nur Lady Anne, die Gutsherrin von Develish, bewahrt Ruhe. Als von Nonnen erzogene und somit gebildete Frau weiß sie, dass der Seuche nur mit Hygiene und Abschottung beizukommen ist. So lädt sie ihre Schutzbefohlenen, die rund 200 Bauen und Leibeigenen, auf ihr Anwesen und lässt niemanden von der Außenwelt mehr ins Haus. Zu den Ausgeschlossenen gehört letztlich auch Sir Richard, der despotische Gutsherr und Ehemann jener Lady. Als er erkrankt von einer Reise heimkehrt, muss er elendig vor dem Wassergraben sterben.
Bislang ist Minette Walters für ihre Krimis bekannt. Nun hat sie einen Historienroman geschrieben und ihn in einer kleinen Ortschaft im südenglischen Dorset des Jahres 1348 angesiedelt. Spannend erzählt ist diese Geschichte dennoch – zumal auch ein Mord geschieht.
Werden die Eingeschlossenen der Seuche trotzen können? Wie lange halten die Vorräte noch? Wird man Räuber und Angreifer auf Dauer fernhalten können? Es gibt eine Menge Fragen, die den Leser auf Trab halten. Gesellschaftliche Konventionen und Ränge gelten nicht mehr, jetzt zählt nur noch, was der einzelne zur Gemeinschaft beiträgt. So kommt es, dass Lady Anne ausgerechnet einen Leibeigenen zum neuen Gutsverwalter ernennt. Thaddeus ist ein großer und kräftiger Mann, auf eine einfache Weise klug. Lady Anne hat ihm vor Jahren lesen und schreiben beigebracht. Fähigkeiten, die damals nur Geistliche beherrschten. Die 14-jährige Tochter der Hausherrin ist ein verwöhntes Biest, das die neue Ordnung nicht akzeptieren will. Sie wird noch für reichlich Konfliktstoff sorgen.
Die Autorin hat ihre Geschichte in ein Netz aus historischen Fakten gesponnen. So erzählt sie in bildhafter Sprache vom Leben der Bauen und Leibeigenen, die im 14. Jahrhundert nichts zu melden hatten. Das gleiche galt damals für Frauen: Entweder sie haben geheiratet oder gingen ins Kloster – eine andere Wahl hatten sie nicht. Minette Walters lässt die Leser in schaurigen Bildern erleben, was der „Schwarze Tod“ mit dem menschlichen Körper angerichtet hat. Keine Frage, zwischen diesen rund 650 Seiten lebt das Mittelalter, es atmet und stinkt. Vor allem ist „Die letzte Stunde“ ein Buch, das süchtig macht.
Da liest man gerne mal über die eine oder andere Schwäche hinweg. Die schwarz-weiß gezeichneten Figuren etwa: Die bitterbösen Machthaber stehen einer blütenreinen Heldin gegenüber. Lady Anne, die in einem Kloster erzogen wurde, ist herzensgut und weise. Weil sie weiß, dass Bildung ein wichtiges Gut ist, bringt sie ihren Bediensteten lesen und schreiben bei. Obwohl Walters ihre Sprache der des Mittelalters anpasst, würde man die Hauptfigur und ihr Denken doch eher ins 20. Jahrhundert verorten. Etwas unvermittelt kommt auch der Schluss, der lapidar mit den Worten endet: „Fortsetzung folgt …“ – dabei wurde „Die letzte Stunde“ vom Verlag gar nicht als Auftakt eines Zweiteilers angekündigt, der im Herbst auf Englisch erscheinen soll. Doch der Roman funktioniert auch so. Einiges bleibt am Ende zwar offen. Aber vieles wird der Leser für sich schon beantwortet haben, manches ist nur angedeutet. Bleibt also die Frage, ob eine Fortsetzung dieser Geschichte wirklich nötig ist.
Minette Walters
Die letzte Stunde
Heyne Verlag, München 2018
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Coverabbildung © Heyne Verlag
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