Lange war es still um den alten Bahnhof Mönchengladbach-Rheydt-Geneicken. Ab sofort ist dieses Architekturdenkmal, das im übrigen die Kunstakademie Mönchengladbach beheimatet, ein Ort der Begegnung mit Musik und bildender Kunst. Der gewählte Name KUNSTSIGNAL soll hier Programm sein. Drei gut besuchte Veranstaltungen im Eröffnungsmonat bildeten eine überaus stimmige Trilogie. Spürbar ist zudem, dass ein aufgeschlossenes Publikum die Aufbruchsstimmung der Programm-Macher dieser neuen Spielstätte teilt.
Von Stefan Pieper
Dem Geiger Iskandar Widjaja gehörten die ersten Töne in diesem neuerstandenen Konzertsaal. Dass dem jungen Musiker Spartengrenzen ziemlich egal sind, passt auf die Philosophie dieser neuen Spielstätte. Von Bach ausgehend, synchronisiert Widjaja schwerelos die unterschiedlichsten musikalischen Gefilde. Da vermischen sich Jazzimprovisationen mit cineastischen Klängen – auch spielt Widjaja viel zeitgenössisches Repertoire, was bei ihm erfrischend unakademisch, ja unterhaltsam, wirkt. Er „inszeniert“ zum Beispiel das meditative Arpeggiengewoge von Arvö Pärts Fratres auf unübliche Weise: Während viele Spieler den meditativ atmenden Bogen erzeugen und dadurch die Diktion des Stückes etwas „glätten“, erzeugt Widjaja ein dramatisch atmendes Wechselspiel voller dymanischer Kontraste. Ganz großes musikalisches Kino ist später auch sein „Rachel Song“ aus dem Kultfilm Blade Runner – selten haben wir eine Violine so betörend singen gehört!
Hausherr der Location ist der Schweizer Musiker und Unternehmer Georges Burki, der den Alten Bahnhof aufkaufte – und selbst ein fabelhafter genre-übergreifender Musiker ist. Ihm gehörte der zweite Abend dieser gehaltvollen Eröffnungs-Trilogie: Im „Georges Burki Collective“, welches sich spannenden Brückenschlägen zwischen Jazz und europäischer Kunstmusik verschrieben hat, stehen ihm Retus Flisch am Kontrabass und Schlagzeuger Tony Renold zur Seite. Alle drei sind gestandene Größen aus der Schweizer Jazzszene und folgen derselben aufgeklärten Offenheit, wie sie konzeptionell für das Programm im KUNSTSIGNAL stehen soll. Der ehemalige Wartesaal mit seiner herrlich transparenten Akustik kommt wie gerufen für rein akustisch agierende „unplugged“-Jazzbesetzungen. Es geht um Bach an diesem Abend – und noch um viel mehr: So markieren auch Camille Saint-Saëns‘Totentanz oder der berühmte Dies-Irae-Choral Sprungbretter für mutige, improvisatorische Entwicklungsprozesse dieses Trios.
Ideale Aufführungsbedingungen sieht übrigens auch die Werner Richard – Dr. Carl Dörken-Stiftung in diesem ehemaligen Bahnhofsgebäude. Im Rahmen der Konzertreihe Best of NRW ermöglicht die Stiftung ausgesuchten jungen Studierenden eine große Konzerttournee in ganz Nordrhein-Westfalen. Jens Gunnar Becker, der als Künstleragent die Reihe betreut, äußerte sich hellauf begeistert vom Ambiente im ehemaligen Wartesaal – und in diesem war die ukrainische Akkordeonvirtuosin Tetjana Muchychka mit ihrem spektakulären Solo-Recital bestens in ihrem Element! Tetiana Muchychka, die zurzeit an der Essener Folkwang-Hochschule studiert, weiß, was sie auf ihrem Akkordeon geht und demonstriert dies eindrücklich: Egal ob Bachs Französische Suite Nr. 3 h-Moll, eine vor Darstellungslust berstende Mozart-Klaviersonate, zwei pointiert-kontrastreiche Scarlatti-Sonaten und später einige moderne Stücke, die sich ebenfalls die immense, raumfüllende Dynamik des Akkordeons zu Nutze machen. Hier ließ sich eine junge Künstlerin auf die spezifischen Schwingungen an einem exklusiven Ort ein.
Musik und bildende Kunst zusammen zu bringen, ist ein Anliegen im KUNSTSIGNAL. „Wie Jazzimprovisation“ mutet nach Meinung von Georges Burki die expressive Malerei des russischen „Nonkonformisten“ Anatol Zverev an. Seit Burki zum ersten Mal ein Bild des exzentrischen Russen sah, ist er von diesem in Deutschland bislang kaum bekannten Ausnahmekünstler fasziniert und hat seitdem eine Sammlung mit seinen berühmtesten Gemälden aufgebaut. Aktuell sind erste ausgewählte Exponate im Bahnhof Geneicken zu sehen. Das ist aber nur ein Vorgeschmack auf eine geplante große Ausstellung im nächsten Jahr. Genug visuelle Anreize zum kontemplativen Konzerterlebnis liefern die Bilder aus dieser kleinen Auswahl allemal.
Der nächste Termin im KUNSTSIGNAL steht schon: Am 15. November gibt es eine Begegnung mit dem Gypsie-Jazz-Gitarristen Joscho Stephan. Überregionale Ausstrahlung ist wichtig für eine neue Spielstätte wie diese. Nicht minder kommt es aber darauf an, in die lokale und regionale Szene hinein zu wachsen. In beiden Richtungen markierten die Auftaktverastaltungen ein überzeugendes Debut!
KUNSTSIGNAL
Otto-Saffran-Straße 102
41238 Mönchengladbach
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