Der New Yorker Cartoonist und Autor Ken Krimstein versucht in einer Graphic Novel, für das bewegte Leben und die intellektuelle Dynamik der großen Denkerin Hannah Arendt stimmige Bilder zu finden. Rezension von Martin Schmidt.
Ken Krimstein hat sich viel vorgenommen. Das Leben, Denken und aktive Tun Hannah Arendts in die Form einer Bilderzählung zu gießen, ist ein schwieriges Unterfangen. Muss eine Bilderzählung, um sich zu legitimieren, eigentlich mehr sein als eine klassische schriftliche Biographie? Wie schafft man es, eine komplexe Persönlichkeit in der Bild-Text-Verbindung so zum Leben zu erwecken, dass ein Panorama entsteht, das über eine bilderlose Biographie hinausgeht? Diese Frage ist vielleicht schon falsch gestellt und provoziert die näherliegende Antwort: die grafische Erzählung muss vor allem anders sein. Dazu bedarf es genauer Überlegungen zur Natur der bildnerischen Umsetzung, und Krimstein hat sich seine Aufgabe nicht leicht gemacht.
Auf der Buchvorstellung in der Michael Blumenthal Akademie in Berlin hat er berichtet, wie schwer es ihm fiel, für Hannah Arendt als Hauptfigur seiner Bilderzählung eine zeichnerische Entsprechung zu finden, die immer wiedererkennbar und einleuchtend ist. Geholfen hat ihm schließlich die Erkenntnis, sich nicht nur auf ihre intellektuellen Fähigkeiten zu kaprizieren, sondern auch auf ihre Lebenslust, die schließlich in ihrem Denken aufgehoben bleibt. Hannah Arendt als Flappergirl wahrzunehmen, als selbstbewusste junge Frau, die debattierend, kettenrauchend und liebend ihren Weg geht – mit dieser Vorstellung hat Krimstein eine Art Blaupause für sein Buch gefunden. Denn das ist es, was Hannah Arendts Wirken bis heute so faszinierend macht, diese unbedingte Verbindung zum tätigen Leben, zur Forderung, dass Denken eine Konsequenz haben und zur Tat führen muss, um sinnvoll zu werden. Daraus erklären sich ihre Vorbehalte gegenüber philosophischen Elfenbeintürmen und ihr mit Nachdruck gegebenes Statement, keine Philosophin, sondern politische Theoretikerin zu sein.
Hannah Arendt ist somit einerseits dankbare Protagonistin für jede Art von Biographie, weil sowohl ihr Werdegang aufregend als auch ihr Denken, das auf genauer Beobachtung beruht, so spannend sind. Andererseits legt gerade ihre intellektuelle Strahlkraft ein paar Stolpersteine in den Weg der künstlerischen Umsetzung. Hannah Arendts Denken und dessen Ursprünge sind in Worten fixiert und aufgehoben. Die Bilder müssen dafür eine Entsprechung finden, die im Atmosphärischen jenseits der Worte aufgehen kann. Krimstein beschreitet einen anderen Weg.
Er hat sich tief in Hannah Arendts Lebensgeschichte eingearbeitet, lässt viele Fakten in seine Bildgeschichte einfließen und hat sich dafür entschieden, das alles von Hannah Arendt selbst erzählen zu lassen. Dieser Kunstgriff verleiht dem Text die Anmutung einer Autobiographie und verstärkt die Identifikation des Lesers mit der Protagonistin.
Die wichtigen Stationen ihres Werdegangs werden thematisiert und tragen zum Verständnis ihrer Persönlichkeit bei. Das beginnt mit der frühen Zuschreibung von außen, die ihr das Jüdischsein erst bewusst macht, und dem Diktum ihrer Mutter, man müsse sich als Jude verteidigen, wenn man als Jude angegriffen werde. Das schärfte ihre Sinne für die Bedrohung durch die Nazis, deren Gefährlichkeit sie schon früh erkannte und die sie 1933 zur Emigration bewog, zusammen mit ihrer Mutter. Arendts anregende Begegnungen mit Intellektuellen, ihre prägenden Jahre in Berlin, Paris und New York sowie ihre wichtigen Schriften finden Berücksichtigung in diesem Buch.
Krimstein begleitet all diese Stationen mit bewusst einfach gehaltenen, unspektakulären Zeichnungen. Gelegentlich erlaubt er sich ganzseitige Illustrationen, die die Bedeutung eines Ortes, einer Begegnung oder einer Erkenntnis hervorheben. Das sind die bildkünstlerisch stärksten Stellen in seiner Erzählung. So schreibt Krimstein die unfassbare Tatsache des Holocaust der von nachdenklicher Trauer umflorten Hannah Arendt als Erkenntnis eines Zivilisationsbruchs ins Gesicht, der unmittelbar ihre analytische Urteilskraft beschäftigt. Ergebnis ihrer Überlegungen war das 1951 erschienene Buch über die „Ursprünge totalitärer Herrschaft“, das sie zu Recht weltweit bekannt machte. Ein anderes Beispiel für eine ganzseitige Illustration ist die alte Universitätsstadt Marburg, die Krimstein mit der Aufstaffelung historischer Häuser als Ort der Tradition skizziert, in dem mit den über die alte Brücke Spazierenden Martin Heidegger und Hannah Arendt gerade etwas Neues in die Welt kommt. Ihre frühe und große Liebe Heidegger, der gleichzeitig ihr philosophischer Lehrmeister war, blieb in ambivalenter Weise bedeutsam für ihr ganzes Leben. Die bildnerische Darstellung dieser besonderen Liaison wie auch anderer Stationen in Arendts Lebensweg bleiben allerdings bisweilen blass.
Die Zeichnungen sind vor allem Begleiter des Textes, sie entfalten nur in Ausnahmefällen wie den beschriebenen eine atmosphärische Wirkung. Das war vielleicht auch nicht die Intention, führt aber dazu, dass die Gesamtheit der bildkünstlerischen Erzählung letzten Endes nicht mehr als die Summe ihrer Einzelzeichnungen ist. Das mag daran liegen, dass Krimsteins Domäne als Karikaturist das für sich stehende Einzelwerk ist. Die Spannung, die er in der fortlaufenden Erzählung erzeugt, speist sich vor allem aus seinem sehr guten Text, der die Fakten ernst nimmt, sich aber auch die legitime Freiheit erlaubt, sie eigenwillig zu arrangieren.
Die Entscheidung, seiner Protagonistin Hannah Arendt in den Bildern die grüne Farbe unterzulegen, sichert zwar ihre Wiedererkennbarkeit. Es stört allerdings, dass er sie immer wieder anders darstellt, auch wenn diese Variationen inhaltlich begründet sein mögen.
Dabei nutzt Krimstein durchaus die besonderen Möglichkeiten, die eine grafische Narration bietet, etwa in dem Dialog, den eine gedoppelte Hannah mit sich selber führt. Letzten Endes aber bleibt der Eindruck, dass die Illustrationen hinter der Komplexität der Worterzählung zurückbleiben.
Krimsteins Affinität zum Text ist größer, Hannah Arendt hat ihn gewissermaßen mit ihrer Wortgewalt gekapert und er hat sich gerne überzeugen lassen von ihrer liebenswürdigen, strengen und unkorrumpierbaren Rhetorik.
Dennoch gelingt es dem Autor und Zeichner – und das ist das Bemerkenswerte seines Werks – den Leser für die Person Hannah Arendt, ihr Denken und dessen Wirkungsmacht zu interessieren und damit seine eigene Faszination weiterzuvermitteln. Die Sympathie Krimsteins zu seiner Hauptfigur ist der große Gewinn dieses Buches, das nicht unbedingt eine Graphic Novel, sondern eher eine illustrierte (Auto)Biographie darstellt. Dieser Umstand wiegt mehr als die holprige Ästhetik der Bilder.
Wir dürfen also gespannt sein, wie Ken Krimstein weitermacht. In Berlin hat er schon verraten, dass er der biographischen Bilderzählung treu bleiben wird. Sie bietet grundsätzlich viele Möglichkeiten, alle denkbaren Themen aus allen vorstellbaren Elfenbeintürmen zu befreien.
Ken Krimstein
Die drei Leben der Hannah Arendt
dtv Verlagsgesellschaft, Frankfurt 2019
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