Dornröschen als musikalisches Märchen in drei Akten, gefilmt im Teatro Lirico di Cagliari. Rezension von Ingobert Waltenberger.
1922 für das Marionettentheater Teatro die Piccoli komponiert, aber im Teatro Odescalchi in Rom aus der Taufe gehoben, bildet die revidierte Version, diesmal 1934 im Teatro di Torino mit Pantomimen, Schauspielern und Tänzern uraufgeführt, die Basis für die hier mitgeschnittenen Aufführungen aus dem Teatro Lirico di Cagliari. Die charmant melodienselige dreiaktige Märchenoper basiert auf Charles Perraults Erzählung “La belle aux bois dormant.”
Regisseur Leo Muscato wirft die italienische Dornröschen-Oper mitten hinein in eine märchenhafte farben- und fantasievolle Szenerie, unterstützt von der Bühnenbildnerin Giada Abiendi und den prächtigen Kostümen von Vera Pierantoni Giua. Frösche, Nachtigall und Kuckuck tummeln sich am friedvollen See. Der Botschafter und der trompetenblasende Herold laden die Feen als Patinnen für das neugeborene Mädchen des Königs ein. Auch die Blaue Fee akzeptiert die Einladung. Doch am Tag der Taufe tanzen nicht nur Nymphen. Rauchwolken kündigen das Erscheinen der Grünen Fee an. Voller Zorn, nicht zur Zeremonie geladen worden zu sein, spricht sie den bekannten Fluch: Das Kind wird schön und glücklich bis zum 20. Lebensjahr sein, dann wird sie sich den Finger an einer Spindel stechen und ewig schlafen. Obwohl der König (vermeintlich) alle Spindeln im Land entfernen lässt, gibt es da noch die vergessene zahnlose Omi mit ihrer Katze im Turm. Ausgerechnet an ihrem 20. Geburtstag verirrt sich unsere Prinzessin dorthin. Gestochen sinkt die junge Frau wie prophezeit in tiefen Schlaf. Und die Spindel beginnt ihren spöttischen Tanz.
Weiße Murmeltiere ziehen den Diwan mit Dornröschen herein, während die Blaue Fee einen neuen Spruch ankündigt, der den Fluch der Grünen Fee bricht: Eines Tages werde ein Prinz das eingeschlafene Dornröschen küssen und den Bann lösen. In einer gespenstisch wirkenden Videoprojektion (Fabio Massimo Iaquone, Luca Attili) weben Spinnen ein großes Netz über den gesamten Hofstaat.
300 Jahre später. Eine Jagdgesellschaft mit Prinz April, der Herzogin de la Bandolière und Mister Dollarscheck naht dem Schloss. Ein Holzfäller erzählt von der Geschichte des nahen verwunschenen Schlosses. Prinz April tötet die Riesenspinne, küsst die schlafende Prinzessin, alle erwachen. Zur Hochzeit wird ausgiebig getanzt, zuerst Menuett, dann ein Foxtrott. Schließlich sind ja 300 Jahre verstrichen, da muss es ja auch eine andere Musik geben…
Respighi montiert verschiedene musikalische Einflüsse (Barockes, Debussy, Puccini, Strauss, Stravinsky, Wagner) in gekonnt eklektischer Manier zu einem dichten Erzählfaden, ohne sich die Finger zu stechen. Die Oper besteht aus einer Reihe von geschlossenen Nummern, denen Respighi durch seine spezifische Kunst der melodischen Erfindung, der Orchesterbehandlung und Instrumentierung seinen individuellen Stempel aufdrückt.
Hörenswert ist die eineinhalbstündige Oper allemal, zumal der Großteil der Besetzung aus dem süditalienischen Cagliari mit Herz, Seele und voller Stimme bei der Sache ist. Viele der Solisten und Solistinnen haben mehrere Rollen zu verkörpern. So darf die Mezzosopranistin Veta Pilipenko Königin, alte Frau und Frosch verkörpern, Vincenzo Taormina den Botschafter und den König geben und Lara Rotili gar in die Rollen der Grünen Fee, der Katze, der Herzogin und des Kuckucks schlüpfen. Dornröschen Angela Nisi darf im Schlaf den wunderbar tenoral schmachtenden Prinzen Antonio Gandia bezaubern. Als gütige Blaue Fee reüssiert Shoushik Barsoumian. In weiteren Rollen sind Claudia Urru (Nachtigall, Spindel) und der rau klingende Enrico Zara (Hofnarr, Mister Dollar, Doktor) zu hören.
Das erstaunlich qualitätsvolle Orchester und der Chor des Teatro Lirico di Cagliari wird von Altmeister Donato Renzetti mit Sinn für romantische Klangvaleurs und lautmalerische Effekte geleitet.
Hinweis: Es gibt eine reine Audio-Version dieser schönen Oper auf CD, Marco Polo hat 1994 eine Gesamtaufnahme mit Richard Haan, Denisa Slepkovská, Janas Valásková, Guillermo Dominguez, Adriana Kohutkova, Ivana Czaková und Dagmar Pecková, dem slowakischen Radio-Sinfonieorchester und Philharmonischen Chor Bratislava veröffentlicht.
Ottorino Respighi
La Bella Dormente nel Bosco
Musikalisches Märchen in drei Akten; gefilmt im Teatro Lirico di Cagliari im Februar 2017,
Blu-ray/DVD, NAXOS
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