Kolumne von Susanne Falk.
Bei mir ist es Phil Collins. Stellt irgendjemand Phil Collins an, dann verlasse ich schweigend den Raum. Ich kann nicht anders. Das körperliche Unbehagen, das mit dem Lauschen dieser Stimme einhergeht, ist physisch schwer auszuhalten. Das ist merkwürdig, aber nicht unbedingt einzigartig. Jede/jeder hat ihren/seinen eigenen Phil Collins.
Bei manchen ist es Tina Turner, andere kriegen bei Richard Wagner Gänsehaut, allerdings nicht die von der guten Sorte. Meinen Kindern stellen sich bei Miley Cyrus die Nackenhaare auf, mein Liebster wird von jaulenden Frauenstimmen übel (also nix mit Adele in diesem Haushalt). Unsere musikalischen Abneigungen, familienintern, sind recht vielfältig und für die anderen jeweils nicht nachvollziehbar. Da legt man nichts ahnend eine Platte mit Fado-Musik auf und schon schreit ein Kind. Umgekehrt krieg ich zuviel, wenn ich frühmorgens Aerosmith zu hören bekomme.
Interessanterweise gibt es aber auch so etwas wie Konsensmusik, also Musik die jeder mag oder zumindest duldet. Hummel gehört dazu, auch Mahler, Saint-Saëns und Mozart gehen immer, ganz gleich was man da auflegt, solange es nicht Mozarts Opern sind. Bei Opernmusik ist der Geschmack der Kinder sehr einseitig: Hier geht nur und ausschließlich Verdi. Puccini finden sie zu kitschig, Mozart hat zu viele Rezitative drin und Barockopern werden von ihnen allenfalls ignoriert. In Sachen Pop und Rock kann man sich in diesem Haushalt immer auf Falco oder Queen verständigen, Nena geht dagegen gar nicht, da laufe ich sogar noch schneller weg als bei Phil Collins und in letzter Zeit wird hier viel Georg Kreisler gehört, aber da kommt es ja vor allem auf die Texte an. Kreisler passt sehr gut zu diesen depressiven Corona-Zeiten.
Musik trifft uns ganz unmittelbar da, wo es gut oder weh tut. Sie löst Assoziationen aus, nimmt uns an der Hand oder stößt uns von sich weg. Dem zu entkommen ist allerdings möglich, gleich einer Desensibilisierungstherapie. Man kann sich hinsetzen und Phil Collins hören, eine ganze CD lang und dann noch einmal und noch einmal. Irgendwann hält man das ganze schon aus und stellt fest: Genesis bringt mich nicht um. Schön ist das nicht, aber hilfreich. Man kann ja nicht immer allen anderen den eigenen Geschmack aufdrängen, obwohl das natürlich viele versuchen. Freundin K. hatte einst ein Date mit jemandem, der nichts, aber auch wirklich gar nichts anderes hörte als Pet Shop Boys. Nichts gegen die Pet Shop Boys, aber es gäbe doch noch andere Musik auf der Welt, wagte sie anzumerken. Der Mann sah sie nur beleidigt an, sagte „Nein!“ und ging seiner Wege.
Was lernen wir daraus? Musik bringt manchmal das Beste, in selteneren Fällen auch das Schlechteste in uns hervor. Aber es ist niemals die Schuld der Musik. Es sind immer wir selbst, die wir uns dem nicht stellen wollen. Also heißt es tapfer sein, denn es ist 6 Uhr 45 und das Kind holt schon wieder die Aerosmith-Platte hervor. Ich glaub, ich werde „Crazy“!
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