In der Graphic Novel über Edward Hopper ringen Texter Sergio Rossi und Zeichner Giovanni Scarduelli mit den Tücken der Anverwandlung. Von Martin Schmidt.
Die Bilder des amerikanischen Künstlers Edward Hopper, über die Jahrzehnte zum Synonym US-amerikanischer Lebensrealität geronnen, fächern vor allem ein Panorama großer Stimmungsmalerei auf. Sie sind, wie das auch für manche Filme gilt, nur bedingt „realistisch“, sondern eher „bigger than life“ und wirken damit wieder auf eben jene Realität zurück, die als Inspirationsquelle ihres Schöpfers zu dienen scheint, aber mehr Kulisse ist als Anlass seiner Motivation. Hopper zeigte nicht die Wirklichkeit amerikanischer Städte und ihrer Vororte, sondern benutzte dieselben als Gefühlslandschaft, in die er die selbstvergessenen Bewohner platzierte, wenn er die Tableaus nicht gleich menschenleer ließ. Es ist ungemein faszinierend, der Frage nachzugehen, wie es diesem Künstler, der kein besonderer Figurenmaler war, gelang, eine Welt zu erschaffen, die wir „gelernt“ haben, als eine Art Bestandsaufnahme menschlicher Befindlichkeit im Nordamerika der 1920er bis 1960er Jahre zu betrachten. Hopper, der selbst wiederholt erklärt hat, das zu malen, was er fühle und das Etikett Realist für sich ablehnte, hat uns einen visuellen Kosmos hinterlassen, der einiges über ihn selbst, aber noch viel mehr über uns aussagt, über die Ikonografie unserer inneren Bilder, Vorstellungen und Sehnsüchte, die wir in seine Werke hineinlegen.
Schwer genug also, aus diesem Lebenswerk eine Graphic Novel zu machen. Sergio Rossi als Texter und Giovanni Scarduelli als Illustrator sind die Klippen wohl bewusst, die es hier zu umschiffen gilt. Rossi hat sich entschieden, Hoppers Geschichte als Dialog anzulegen, der zwischen dem Maler und seiner Frau Jo, die auch Malerin war und zugunsten ihres Mannes ihre Kunst aufgab, geführt wird. Damit belässt der Autor die Verantwortung für alles Erzählte beim Künstler und legt ihm die Worte in den Mund. Die Geschichte wird so zu einer bruchstückhaften Präsentation von Fakten und Äußerungen Hoppers, ohne die Natur seiner Bildwelt wesentlich zu erhellen. Die visuelle Umsetzung Scarduellis nimmt sich Hoppers Farbpalette zum Vorbild und kommt zwar so gewissen Stimmungen näher, verbleibt aber letzten Endes in einer Art gediegenen Anverwandlung, ohne die malerischen Qualitäten der Bilder vermitteln zu können. Der Kompromiss, als den der Illustrator diese Methode bezeichnet, ist somit keiner, der uns wirklich helfen würde, unsere eigene Interpretation zu finden. Da wäre es besser gewesen, auf eine grafische Umsetzung zu vertrauen, die gar nicht erst die Orientierung an Hoppers Stilmitteln sucht. Eine Gestaltung, die den Charakter seiner Bildwelt mittels Kontrast verdeutlicht. Scarduelli arbeitet von Beginn an mit vielen Bildreferenzen, die kundige Kunstfreunde mit einigen Wiedererkennungsmomenten versorgen, so etwa, wenn er Hoppers Studienkollegen und ihre Bilder vorstellt. Diese Herangehensweise aber hat den Nachteil, dass etliche Panels aussehen wie mit Bildprogrammen bearbeitete historische Vorlagen. Das verleiht der ganzen Präsentation einen etwas sterilen Charakter. Man möchte dem Autoren/Zeichner-Duo zurufen, doch mehr Leben in die Geschichte zu bringen. Wichtige Maler, die für Hoppers Kunstauffassung eine Rolle spielen, werden zwar genannt, ihr Beitrag aber nicht verdeutlicht. Einige Gemälde des Deutschengländers Walter Sickert etwa muten wie eine Blaupause für Hoppers Wirken an.
Vielleicht ist der verlässliche Stillstand in Hoppers Malkosmos die harte Nuss, an der sich Rossi und Scarduelli die Zähne ausbeißen. Seine hohe visuelle Attraktivität verführt den Illustrator zu einer Nachahmung, die der Spannung zwischen Maltechnik und Sujet, die Hopper ausnutzt, nicht gerecht werden kann. Ohne die Haptik einer Pinselführung gerät Scarduellis Anverwandlung zu einer artifiziellen Bilderschau. Rossis Text, der an zu vielen Stellen einer Aufzählung gleichkommt, hat keinen geringen Anteil an diesem Dilemma.
Es wird immer wieder gesagt, Hoppers Motive seien wie Filmstills, also in der Bewegung eingefrorene Momentaufnahmen, bei denen ein Vorher und Nachher mitgedacht werden könne. Was im Einzelbild funktionieren mag, versagt in der Bilderreihe. Und genauso wirkt diese Graphic Novel insgesamt, als eine Addition stillgestellter Momente, die zwar visuelle Berührungspunkte mit der Malerei Hoppers hat, uns aber dem Wesen seiner Kunst nicht wirklich näherbringt. Diese Nuss bliebe also noch zu knacken.
Sergio Rossi (Text)
Giovanni Scarduelli (Illustration)
Edward Hopper – Maler der Stille (Graphic Novel)
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