Kolumne von Susanne Falk.
Sie waren immer im Gepäck, die Taschenbücher für Strand und Regentage. Schwer schleppte ich sie von meinem Zuhause zum Ferienort und wieder retour. Und sie waren, bei aller Liebe zum geschriebenen Wort, stets ein Indikator dafür, wie schön der Urlaub wirklich war, denn: Die besten Ferien verbrachte ich ohne sie.
Nun schreit natürlich (zu Recht!) die halbe Welt auf und sagt: Ja, aber die Ferien sind doch die beste Zeit zum Lesen! Wann, wenn nicht jetzt? Die andere Hälfte hat schon mal prophylaktisch gar keine Bücher eingepackt, weil die den Koffer nur noch schwerer machen. Und ich? Sitze irgendwo dazwischen, ein Buch im Gepäck, aber das Meer vor mir und schalte einfach mal den Kopf aus, indem ich nichts mehr hineinlasse.
Als Teenager reiste ich oft zum Schüleraustausch nach Valencia. Hier verbrachte ich viele Tage bei derselben Familie, schloss sie ins Herz, aß viel, badete viel und erholte mich blendend. Stets im Gepäck: Unmengen Bücher, darunter, ich erinnere mich genau, so kuriose Mischungen wie Milan Kunderas „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ (beileibe kein Teenagerbuch), Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“ und, warum auch immer, eine Stalinbiografie. Dreimal dürfen Sie raten, welches der drei ich wirklich gelesen habe… Für meine Gastfamilie war ich das freundliche Mädchen aus Deutschland mit den vielen Büchern, die sie stets umsonst mitschleppte.
Irgendwann kamen die Kinder und meine Bücher verschwanden aus dem Reisegepäck, abgelöst durch Windelpakete und Vorleseliteratur für den Nachwuchs. Ohne Pixis ging bei uns nichts mehr, kein Essen, keine Zugfahrt. Es wurde vorgelesen, was das Zeug hielt und wir besitzen immer noch eine ganze Umzugskiste voller Pixibücher, weil ich mich von ihnen nicht trennen kann. Es sind zu viele, schöne Erinnerungen mit ihnen verbunden.
Nach den Pixis kamen die dicken Vorlesebücher. Wir zogen Kinder aller Nationen an, als wir auf der Bademole Triests sitzend Harry Potter vorlasen. Dass wir es auf Deutsch taten, schien nicht so wichtig, Hauptsache es war ein Potter. Und weil Potter-Bände dick sind und schwer, erübrigte sich damit auch die Reiseliteratur der Eltern.
Jetzt ist es wieder Sommer und die Potter-Zeit ist vorbei. In der Öffentlichkeit vorzulesen ist seit neuestem peinlich (sagt der Nachwuchs) und ich könnte nun, nach vielen Jahren, endlich wieder Lesefutter für mich selbst einpacken. Allein, will ich denn wirklich etwas lesen, wenn ich doch auch schlicht aufs Wasser schauen kann (und muss, zwecks Kinderbeaufsichtigung)? Abends falle ich ohnehin todmüde um. Braucht es da noch ein Urlaubsbuch?
Ich habe ein Buch für die U-Bahn, ein Buch für heitere Stunden, ein anstrengendes Buch für den Kopf und eines zum Lernen (meist eine Biografie), die im Alltag alle ihren Platz finden und parallel von mir durchgelesen werden. Aber was nehme ich mit an die Ostsee? Was mit an die Adria?
Jetzt kommen Sie ins Spiel: Dieses Mal drehen wir den Spieß nämlich um! Ich halt jetzt schön den Mund und Sie sagen mir, was Sie empfehlen können. Was ist Ihr Sommerbuch 2022? Schreiben Sie es uns! Im Koffer ist noch etwas Platz…
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Liebe Susanne Falk,
schon wieder auf der Rückreise? Selbst wenn, dann taugt mein Lesetipp genauso für den kommenden Winterurlaub. Ganz dreist empfehle ich mein eigenes Buch – also das, was ich geschrieben habe. Die Krimikomödie Kopfjagd am Ententeich hat mich bei den damaligen Korrekturläufen jedes Mal zum laut Lachen gebracht. Vielleicht schaffen das meine Figuren auch bei Ihnen. Die Crew dafür: Birger, Betty, Harry, Gartenmann, Zeitungsmann, Fotomann, Zeitungsausträger, Biene und Bella.
Noch ein Argument für die Reise mit der Kopfjagd: die zwei Buchformate DIN A5 und DIN A6. Reclam-Größe ;-)
Eine schöne Zeit!
Lieber Herr Radtke,
danke für Ihren Kommentar. Ja, ein E-Reader wäre vlt. keine schlechte Lösung. Allerdings direkt am Wasser und im Sand eher weniger praktikabel. Zumal meine elektronischen Geräte die Tendenz zur unfreiwilligen Installation einer Mosaik-App haben… Ob das so ein Gerät überlebt? Und ja, lebt man, um zu lesen oder liest man, um zu leben? Da denke ich dann mal am Strand drüber nach. Schönen Sommer!!!
Ob nicht die Frage nach der Versorgung mit Büchern für den Urlaub viel grundsätzlicher fragt: warum eigentlich lesen wir? Und was antworten wir? Aus Jux und Dollerei, oder weil die Texte suggestiv empfohlen wurden, oder wir sie geschenkt bekommen haben, wir den Autor endlich auch mal gelesen haben sollten, oder weil uns Titel oder Titelbild gefallen haben?
Warum freuen wir uns so sehr auf die viele freie Zeit – zum Lesen, wenn wir es dann doch nicht tun? Ist Lesen vielleicht doch mehr als nur Schmökern, page-turning, irgendwie doch eine Art Arbeit – vielleicht sogar erhoffte Gelegenheit zum (nebenher) Aufräumen, Abarbeiten, Bedenken, was im stressigen Alltag liegengeblieben ist? Nein, viel zu kompliziert!
Wir wissen doch längst und aus Erfahrung, daß Italien, die Alpen oder der Schwarzwald attraktiver sind als die meisten Texte? Sollten wir dann nicht besser zu Hause bleiben, wenn für uns Urlaub endlich Lesenkönnen bedeutet? Und wenn wir denn wirklich meinen, Ortsveränderung zu brauchen, dann sollten wir uns besser nichts vornehmen, etwas – endlich/überhaupt/jetzt aber mal – zu lesen. Wie stehen die Bücher denn auch da, wenn wir sie zu Hause ungelesen wieder auspacken (womöglich noch mit ein bißchen herausrieselndem Sand)?
Liest jemand nach Plan, wie ich als harmloser (?) Zwangscharakter, dann ist immer Lesezeit, nicht etwa eingeteilt in urlaubszugehörige „Freizeit“ und „Dienst“. (Bei mir fällt die Reise durchaus in die Lektüre, nicht die Lektüre in die Reise.)
Wenn „Wissensdurst“ gestillt werden muß, weil wir merken, wie wenig Ahnung wir haben von allem (vor allem vom Aktuellen – der Corona-Entstehung, der kapitalistischen Warenwirtschaft, dem drohenden/geschehenden Kollaps der Ökosysteme, den Zusammenhängen zwischen Wirtschaftsform und Krankheitsentstehung, den haltbare(re)n psychoanalytischen Erklärmodellen …) – dann geht man besser nicht zum Lesen an den Strand, schon gar nicht, um einen „unterhaltsamen“, „lustig-schmissig-gutgeschriebenen“ Roman zu verschlingen.
Aber egal: Die Lösung für das angesprochene Problem des „literarischen Reisegepäcks“ ist ganz, ganz einfach: Medienwechsel! Wenn Sie es nicht längst besitzen, schaffen Sie sich ein digitales Lesegerät an (Kindle, iPad, tolino etc.) – fertig! Sie haben alles immer bei sich. Für Kind und Kegel (Für Kinder, die schon lesen können, gibt es preigünstigere Modelle.). Für jede Verfassung, jede Ausdauer. Und wenn Sie sich mal vertraut gemacht haben mit dem Handling auf dem eBook-Markt (vielleicht auch mit den Programmen, die Ihnen die pdf oder auch ein Word-Dokument in eine augenfreundliche Lesedatei verwandeln), dann haben Sie, bei rechtzeitiger Urlaubsvorbereitung, alle Eventualitäten spontaner eigener Lektürebedürftigkeit abgedeckt – auch der der Kinder, auch Ihrer eigenen agressiven (oder regressiven) Tendenzen – Sie können zuladen, was gedruckt einen ganzen Anhänger verlangen würde, aber hier gerade mal ein paar MBs mehr ausmacht. Ein paar hundert Titel füllen nicht mal Ihren Speicher – denn eBooks sind winzig im Vergleich zu Bilddateien o. ä.
Ich zum Beispiel habe fast immer fast alles bei mir – viele, viele Bände der physischen Bücher gibt es auch auf dem Lesegerät, etliche sogar inzwischen ausschließlich. Und wenn auch das haptisch-sensuelle Erlebnis eines womöglich ledergebundenen, duftenden, in Ehren gealterten Bandes, gestaltet in feiner Typografie und papierener Extraklasse mit einer 440 Kb kleinen Datei kaum zu haben ist – der Text jedenfalls ist da. Und das reicht, bis der Bibliophile in Ihnen wieder zu Hause zupacken darf.
Da stehen die aufregendsten Geschichten, die kniffligsten Theoreme und Philosophien und – trostreiche Kindergeschichten. Von Augustinus bis Auster, von Homer bis Habermas, von Pascal bis Proust, von Schelling bis Schlink, von Tieck bis Trakl, von Wackenroder bis Willemsen. Julian Barnes und Markus Gabriel, Mirko Bonné und Tankred Dorst, Wilhelm Genazino und Stephen Green, Peter Handke und Marlen Haushofer, Axel Honneth und Elizabeth Jane Howard, Cixin Liu und Lu Xun und Qiu Xiaolong, Maja Lunde und Klaus Modick usw. usw. usw
Und das Schöne ist, aber das ist meine Macke: Das alles ist kein Lesefutter, das sind Lebensmittel, und ich glaube, ich ernähre mich ganz schön gesund.