Kolumne von Susanne Falk.
Ganz sicher nicht! Ich lese doch nicht Camus „Die Pest“, während ich im Fieberwahn im Bett liege! „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ von Márquez? Also bitte, wirklich, nein. Dann ein Historienschinken, z.B. „Der Medicus“ von Noah Gordon? Am Ende klappe ich den Laptop auf und schlafe bei amerikanischer Comedy ein.
Nun hat die Seuche uns also auch ereilt. Hat ja lange genug gedauert. Ich hatte mich schon gewundert, warum alle Freunde und Familienmitglieder sie schon hatten, nur wir waren bislang verschont geblieben. Und nun das: Ich liege hustend und rotzend im Bett und mag nicht lesen. Dabei hatte ich mich so sehr auf Dörte Hansens „Zur See“ gefreut. Das Buch liegt zwischen Halsschmerztabletten, Taschentüchern und Teebechern am Nachttischchen und bleibt unberührt. Mein Kopf will nicht mehr gefordert werden. Da geht nichts mehr außer Netflix.
Also sehe ich der „Kaiserin“ Elisabeth von Österreich dabei zu, wie sie, aus mir nicht wirklich ersichtlichen Gründen, durch den Park vom Schloss Eremitage in Bayreuth geistert, wo sie doch eigentlich in Schönbrunn hätte sein sollen. Ich müsste meinen fiebrigen Kopf bloß weit aus dem Fenster strecken, dann könnte ich das echte Schönbrunn und seinen Park sehen und der sieht, nun, anders aus. Das ist doch absurd! Was hat sich die Produktionsfirma dabei denn gedacht? Und wo bitte kommt da ein Fluss her, in dem Sissi und ihr Kaiser nackig baden? Soll das allen Ernstes der ehemals unregulierte, dreckige Wienfluss sein??? Verarschen können die sich alleine.
Ich zappe mich im Fieberwahn durch diverse Serien und Comedy-Programme, lass es aber wieder bleiben. Lachen tut im Hals weh. Also schlafen. In meinen Träumen irrlichtern Prinzessinnen durch falsche Parklandschaften. Besser wieder aufwachen. Dörte Hansen schielt vom Nachttisch herüber. Drei Seiten, dann kann ich schon nicht mehr. Also wechsle ich von „Jane The Virgin“ (saukomisch, kannte ich aber schon) zu YouTube (Bach, Mozart und ein wenig ABBA), um dann wieder einzuschlafen. Nun mischen sich barocke Klänge mit schrägen Telenovellaplots ab und bevor ich einen filmreifen Tod sterbe, wach ich lieber auf.
Nervennahrung? Schokolade zu essen ist irgendwie sinnlos, seit ich nichts mehr riechen kann und nur wenig schmecke. Nutella oder Schuhcreme? Merkwürdige Form der Diät. Ich probiere es mit Obst. Das geht. Der Kopf erinnert sich immerhin daran, wie ein Apfel schmecken soll, also schmeckt er auch einen Apfel.
Vielleicht geht das ja auch mit Literatur, denke ich und greife zum Äußersten: Lyrik. Die braucht es nur in ganz argen Momenten, wenn nichts anderes mehr hilft. Und, siehe da, Rilke hilft. Wenigstens ein bisschen.
Man muss Geduld haben.
Mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.
Ich lese nichts mehr. Nicht heute. Und ich frag mich auch besser nichts mehr. Das verschiebe ich auf hinterher. Die Welt wird an sich selbst verrückt. Oder ich an ihr. Nachrichten halte ich in diesem Zustand nämlich auch keine mehr aus. Fremde Sprachen. Vielleicht liegt es aber auch am Fieber. Das geht vorbei. Alles. Hoffentlich.
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