Wie schön ist es, alle Liebesschmähungen, Verwirrungen und Abweisungen auf Amors Kapriolen zu schieben. Na klar, wer soll denn sonst schuld sein für Liebesschmerz Tollheit und Raserei?
Von Barbara Röder.
Die Liebe ist ein lieblicher Fluss oder ein tobendes Meer
Das war ja mal ein Coup! 1719 reiste kein geringerer als Georg Friedrich Händel, frisch gekürter Leiter der Londoner „Royal Academy of Music“ nach Dresden. Als Voicehunter und musikalischer Spürhund sollte er die besten Künstler, Sänger und Musiker Europas für die neue Opernakademie, gegründet von Londoner Adligen, engagieren. In Dresden wurde er fündig, denn dort wurde üppig gefeiert: die Hochzeit von Kronprinz Friedrich August von Sachsen mit Maria Josepha von Österreich. Für diese hochpolitische Allianz musste eine historische Huldigungsoper im venezianischen Stile her. Antonio Lottis Oper „Teofane“ nach einer Dichtung Luchinis und dem Libretto von Stefano Benedetto Pallavicino übertraf alle Erwartungen. Zudem wurde der Dresdner Zwinger und mit ihm die daran grenzende Oper während der Hochzeitsfeierlichkeiten eingeweiht. Lottis Oper überwältigte Händel so, dass er die Partitur und das Libretto der festlichen Lotti-Oper „Teofane“ mit nach London nahm. Die Zusagen der besten Künstler der Zeit, ihm zu folgen, inklusive!
Aus Lottis „Teofane“ wurde in London für die Oper am Haymarket Händels „Ottone“. Dieser hatte mild und großzügig zu sein. Der Titelheld Ottone ist ganz auf den Geschmack des bürgerlichen Publikums zugeschnitten. Händels Librettist und Cellist in dessen Orchester, Nicola Haym, bearbeitete auf Anweisung des Meisters äußerst gründlich Pallavicinos Libretto. Händel komponierte speziell für die Kehlen seiner Italienischen Stars und die Ohren seiner anspruchsvollen Londoner Opernfans emotionsgeladene virtuose Arien und verinnerlichte Lamenti.
„Ottone“ erzählt ebenso wie Lottis „Teofane“ von der stürmischen Zeit vor der glücklichen Vermählung Ottos II. mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu um 972. Nur kürzer, knackiger, stringenter und lustbetont schmachtender. In der Karnevalssaison 1723 im King’s Theatre am Haymarket uraufgeführt, geriet „Ottone“ zum Sensationserfolg. Weitere Vorstellungen folgten.
Auf der prachtvollen Bühne von Christophe Ouvrard erhebt sich im Badischen Staatstheater Karlsruhe die kalkweiße, imposante Fassade eines neobarocken Schlosses mit Balustraden. Beidseitig in luftiger Höhe rechts und links zwei Throne. Wir werden in eine verwunschene, längst vergangene, morbide Welt getaucht. Später hebt sich die Mittelwand und das wogende, tobende Meer versinnbildlicht die innere Natur der Protagonisten. Beim Drehen der Szenerie sieht man zerborstene Balken auf schwarzem Grund. Ein Sinnbild für gestrandete Träume und Wünsche, Hoffnungen und Lieben. Ouvrard, ebenfalls Kostümdesigner, hüllt die sechs Protagonisten in erkennbar stilistisch famoses Kleiderwerk.
Strippenzieherin Gismonda, ränkeschmiedende Kaiserin, ist wie ihr Sohn Adalbert, den sie gerne mit Teofane vermählt sieht, in fahlweiße Barockanmut gehüllt. Beide scheinen aus dem baufälligen Palast entstiegen. Lena Belkina verkörpert Gismonda mit Würde, hochdramatischer Vokalität, Raffinesse und lodernder Leidenschaft einer weißen Medusa. Grandios! Der Counter Raffaele Pe singt den verweichlichten Adalbert, der zärtlich säuselt und mit goldener Virtuosität die halsbrecherischen Bravourarien gestaltet. Lucía Martín-Cartón (Teofane) im byzantinischen Gold verzaubert mit ihrem silbrig schimmernden süßen Sopran. Traumschön ist die Arie „falsa immagine“ in der sie liebevoll die Büste Ottones liebkost. Der vermeintliche Seeräuber im goldenen Brustpanzer ist ihr vom Thron verjagte Bruder Emireno. Nathanaël Tavernier gibt diesen bravourös mit schmelzendem bassoralen Verve. Sonia Prina, als Ottonen Cousine Matilda und Verlobte Adalbertos wirkt wie eine pechschwarze Rachefurie. Sie ist eine zum Kampf bereite raue Natur, die stimmlich auch mal ohne Ton- und Klangeleganz auskommt. Counter Yuriy Mynenko singt in ganz schwarze Pracht gekleidet den liebessehnsüchtigen Ottone. Eine Paraderolle! Brillant und erhaben voller tänzerischer Virtuosität zeigt Mynenko den verletzlichen innerlich mit sich hadernden Menschen Ottone.
Das bringt der stilsichere analytisch versierte Blick von Regisseur Carlos Wagner auf den Punkt. Seine grandios austarierte Personenregie zeigt Menschen, die unter ihrer brüchigen Fassade ein pochendes Herz, ein liebendes und verletztes Fühlen verbergen. Wagner inszeniert aus dem Geiste der Musik Händels heraus. Reflektierend, glaubhaft und berührend gut. Dirigent Carlo Ipata ist ein Glücksfall. Ipata ist ein begnadeter Barockspezialist, der der illustren, farbprächtigen und spielerisch hochemotionalen Partitur zusammen mit den wunderbaren Deutschen Händel Solisten den filigran betörenden Händel Sound entlockt. Kaum ist der letzte Ton verklungen, bricht ein heftiger Beifallssturm für Händel opulent hochsinnliches Augen- und Klangspektakel aus.
Die 45. Internationalen Händelfestspiele Karlsruhe sind eines der besten hochgelobten Festivals in Europa! Einhelliges Lob gilt der grandiose Equipe von Künstlern, die diesen „Ottone“ zum rauschenden internationalen Gesamtkunstwerk aufblühen ließ.
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