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Bayreuther Festspiele 2023, „Der Ring des Nibelungen“, Teil 3

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richard wagner porträt

„Siegfried“ – Bad-Boy oder Held?

Von Barbara Röder.

Weiter geht’s in der schillernden generationenübergreifenden Familiensaga „Der Ring des Nibelungen“ in der Inszenierung von Valentin Schwarz im Bayreuther Festspielhaus bei den Bayreuther Festspielen 2023.

Zeit: eine Generation später nach der „Walküre“ in der Wotan die verheerend gewaltsame Einkerkerung Brünnhildes veranlasste. Denn in den ewigen Schönheits-Schlummer hat Wotan seine Lieblingswalküre gebettet.

Mime (Arnold Bezuyen) ist nervös. Erst mal ’ne Fluppe anzünden, denkt er sich: „Wenn da nicht immer die Stimmen und Töne im Kopf wären?“ Es hämmert und knallt metallisch. Böse Traumfantasien jagen pfeilartig durch Mimes Gehirn. Er ist gerüstet für den großen Tag Siegfrieds und auch den seinen. Einst bekam der leidenschaftliche Hüter und Betreuer des Nibelungenhorts, es waren die unehelichen Kinder Wotans, in Obhut. Klein Hagen, Alberichs Sohn, Mimes Neffe also, gesellte sich auch für kurze Zeit zu seinen Zöglingen. Dann wurde dieser von Fafner geraubt. Jetzt ist Brainstorming angesagt: Im „Schwarz-Ring“ sind die männlichen Nachkommen der Sippe der Ring, die weiblichen entsprechen dem Gold, da diese später männliche Nachkommen gebären können. Mime wurde, wie kann es anders sein, Sieglindes Neugeborener „Siegfried“ aufs Auge und in die Arme gedrückt. Wieder ein uneheliches Kind Wotans, das er bespaßen muss! Mime inhaliert tief. Der Rotzlöffel Siegfried ist just achtzehn geworden. Dieser ist ein freier, wilder, furchtloser, junger Mann ohne Benehmen und Respekt. Es liegt halt in den Genen dieser maßlosen Wotan-Sippe! Schnell schlüpft Mime ins Zaubererkostüm und erwartet den Bad-Boy, der sich natürlich draußen herumtreibt.

Siegfried, 1. Aufzug / Fotonachweis: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Wagners musikdramatische Kamera zoomt derweil unbeirrt in dieses Mime-Siegfried-Ambiente. Bedrohliches Dunkel tönt dazu aus dem Graben. Die angstbeladene Aura Fafners, dessen letzte Wohnstatt genau über der von Mime liegt, quillt fantastisch balancierend ausmusiziert aus allen Bodenritzen. Naturgesänge der Partitur hallen. Verzweifeltes, metallisches Hämmern lässt alle aufhorchen. Es findet im Kopf Mimes statt!

Als idyllisches Inselparadies, Emigrationszufluchtsort, hat Mime das schäbige Souterrain-Loch, in welchem einst Hausmeister Hunding Quartier bezog, zum Spielkeller mit Puppentheater ausstaffiert. Wagners Zitat, dass Siegfried und sein Drachen gar „das Kasperle und das Tier, welches ihn happen will“, wird mit dem Puppentheater und der als Familienaufstellung drapierten Pappmaché-Figuren in Erinnerung gebracht. Lässt unsere Fantasie die Perspektive zu, dass wir uns in der letzten Filmsequenz von „Psycho“ befinden? Aber ja: Dann ist der schizophrene Zustand Mimes vergleichbar mit dem von Norman Bates, der seine tote Mutter im düsteren Keller konservierte. Es ist gewagt, die Gedanken hin zu Hitchcocks Gruselschocker zu wenden. Aber eine Brunhilde-Pappmaché-Puppe sitzt im roten Kleid, sitzt so bitterböse grinsend auf einem Kinderstuhl wie einst die herrschsüchtige Mutter von Norman Bates. Daneben schaukelt ein Skelett . Mehr grausige Mime-Wirklichkeit geht nicht! Arnold Bezuyen interpretiert die Ausdeutung des psychisch angeschlagenen, traumatisierten Mime mit reifen und reflektierenden Tonnuancen. Bezuyen gestaltet diesen leicht schizophren, in sich gekehrten Menschen treffend. Mime ist einer, der aus seiner bitter schmeckenden Hilflosigkeit nicht heraus kann. Er führt Zwiegespräche mit sich selbst und flüchtet in die innere Emigration.

Siegfried, 2. Aufzug / Fotonachweis: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Dem immens sängerischen Können des bewundernswerten Dream-Team Mime-Siegfried, muss Bewunderung zugesprochen werden. Denn die von Wagner musikdramatisch konzipierten komödiantischen, überdrehten Szenen und Augenblicke werden von Schager und Bezuyen mit ernster Haltung, tief melancholischer Haltung, gesungen und gespielt. Mime und Siegfried sind menschliche Wesen, die beide nicht lächerlich wirken dürfen bei allem Aktionismus, der von ihnen abverlangt wird.

Andreas Schager und Arnold Bezuyen sind ein gut eingespieltes Sängerdarsteller-Paar, das die Balance beherrscht. Das Leichte und Schwere vereint ihr Spiel. Das ist hohe Kunst. Zudem zeigen beide keinen „bizarren Comic-Strip“ (Götz Friedrich), sondern bleiben ernst, todernst im Klamauk. Wenn Siegfried seine braune Lederjuppe, die seinem Vater Siegmund gehörte, zweimal aufhängen will obwohl nie ein Nagel an der Wand ist, macht uns das schmunzeln. Auch der Trick mit dem Schmiedelied gelingt: Während Schager metallisch, kraftvoll, ja glühend brennend sein Schmiedelied gibt, strömt die gesamte heiße Glut aus dem Gesang. Das lodernd aufspielende Bayreuther Festspielorchester entfacht unter dem Dirigat von Pietari Inkinen mit zügelnder Behutsamkeit einen musikalischen Funkenregen. Dann zieht Siegfried schmissig den Gnadenbringer-„Notung“. Es ist kein Schwert, sondern ein Stiletto, das sich der maroden Krücke Mimes befand. Davor hat der tolle Held wodkatrunken mit einem Star-Wars-Lichtschwert das komplette Mime-Mobiliar zertrümmert. Als das kleine Geburtstags-Brownie vertilgt ist, geht es endlich einen Stock höher ins Luxus Etablissement von Fafner. Der Schatz muss geborgen und erkämpft werden.

Siegfried, 2. Aufzug / Fotonachweis: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Schon wieder begegnen wir der Dekadenz der Neureichen. Fafner hat Wotans einstiges Luxusloft umgestaltet. Ein Pflegebett mit allem Schick beherrscht den Raum ebenso wie die uns schon bekannte Couchlandschaft. Fafner ist natürlich kein Drache, sondern ein dahinsiechender Alter. Diese Idee stammt von Patrice Chéreau! Hagen (in der stummen Rolle agiert Branco Buchberber) wurde als persönlichen „Bluthund“ mit Schlagring von Fafner abgerichtet. Das Potenzial lag ja sowieso seit seiner trostlosen Kindheit in seinen Genen. Jetzt bewacht Hagen die Pflegebettstatt von Fafner. Hier sind dann auch wieder alle der Wotan-Baggage vereint, wenn Siegfried und Mime aus ihrem ehemaligen „Hausmeisterloch“ nach oben schleichen. Vorsicht ist angesagt. Fafner, rabenschwarz dunkel tönt der Bass von Tobias Kehrer, schlägt um sich. Er ist, wir haben es schon erwartet, übergriffig gegenüber seiner Pflegekraft, dem Waldvöglein. Mehr Klischee geht nicht! Passt aber ins kohlschwarze Drama. Das Waldvöglein bandelt lustig trällernd auf dem Sofa mit Siegfried an. Hagen zückt die Faust. Alberich, der im Hintergrund mit dem Wanderer auf Beobachtungsposten lauert, darf natürlich nicht fehlen. Olafur Sigurdarson (Alberich) singt diesen Verlierer-Typ tongewaltig präzise und wirkt scharfzüngig in seinem Gebaren. Auf ihn freut sich das Publikum wie auf den wohl durchdacht kalkulierenden Wanderer von Tomasz Konieczny mit guter Deklamation. Und auch Erda, die in verschlissenen Kleidern balsamisch von Okka von der Damerau intoniert wird, kreist verloren durch die Welt wie der Wanderer, ihr einstiger Geliebter. Alexandra Steiner singt beherzt, mit Ahornsirup süßer Raffinesse. Dass sie als Pflegerin dem toten Fafner einen Tritt versetzt, macht sie nicht gerade sympathisch. Wer weiß aber, was sie erdulden musste. Wieder einmal sind wir im richtigen Leben: „Reality-Time-Show forever!“ ist eben das Motto dieses „Rings“.

Nach einem heftigen Schlagabtausch mit dem alten Greis Fafner, dem Mord am lästigen Ziehvater Mime (er wird mit einem Kissen erstickt) und das hilflose Röcheln scheint in der Unruhe der Musik zu hängen, rüstet sich Siegfried, um Brünnhilde aus dem ewigen Schlaf zu befreien. Andreas Schager, der Mann glückseliger Stunden auf dem Hügel, hat durch seine phänomenale, gesangliche Differenzierung der Parsifal-Partie stimmlich mehr Farbe und Tiefe für diesen Siegfried dazu gewonnen. Schauer gestaltet die weiten musikdramatischen Bögen Siegfrieds sanft und leise, mit nuancenreichen Tönen, die aufhorchen lassen. Wenn er seiner Brünnhilde gegenübersteht, schält er ihr langsam den Verband vom Gesicht. Sie trägt als Reminiszenz an den Patrice Chéreau-Ring ein weißes Nachtgewand mit ausladenden Ärmeln. Viel Wissen und Überlegungen stecken im Kleiderwerk von Kostüm-Kreator Andy Besuch.

Siegfried, 3. Aufzug / Fotonachweis: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Daniela Köhler zeigt nach ihrer Erweckung durch Siegfried eine vollkommen irritierte Brünnhilde. Ihr stahlklarer, dennoch weicher Sopran schwingt sich zusammen mit dem Tenor des Siegfried (Andreas Schager) in die höchsten Wonnelüfte. Ihr gemeinsamer hoffnungsvoller Schlussgesang endet traumverloren im verheißungsvollen „Ein‘ und All‘: leuchtende Liebe, lachender Tod!“ Tosender Applaus, stürmischer Jubel fegt durchs Bayreuther Festspielhaus am 2. Tag der überdreht, verrückten, mafiösen Familiensaga „Der Ring des Nibelungen“ in der Introspektion von Valentin Schwarz.

Ein kurzes Zitat von Bernd Alois Zimmermann möge am Ende der Kritik des diesjährigen Bayreuther „Siegfried“ stehen und auf das Finale der Tetralogie „Die Götterdämmerung“ hinweisen: „Jede Gestalt, jede Situation im „Ring“ sind im Jetzt und Einst verankert. Anfang heißt Ende, Ende heißt Anfang“.

Auf dieses trübe, bittere Endspiel steuern wir schon seit dem „Rheingold“ und noch heftiger im „Siegfried“ zu. Es ist eines, das mit vorgetäuschten Hoffnungen, falschen Versprechungen die Gier nach der Macht, welche Fesseln anlegt, nicht wegzuleugnen vermag. Es ist eines, das unheilvoll, für alle ausgeht. Das fulminante Finale folgt.“

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