Stardirigent Mikko Franck, die Cellovirtuosin Sol Gabetta und das Orchestre Philharmonique de Radio France brillieren mit ausgesuchten Werken französischer Komponisten-Giganten der Belle Époque auf ihrer herbstlichen Deutschlandtournee 2023 in der Alten Oper Frankfurt.
Von Barbara Röder.
Meister-Kompositionen von Maurice Ravel, Édouard Lalo und Claude Debussy standen im Fokus bei einem eindrucksvollen, ganz vom französischen Impressionismus mit leichter spanischer Koloritextravaganz geprägten Programm. Eines der führenden Orchester Frankreichs, das Orchestre Philharmonique de Radio France bot im großen Saal der ausverkauften Alten Oper exotische farbintensive Klangmischungen, ein ausgeprägtes feinsinniges Gespür und eine hochemotionale Musizierfreude. Dies sind die ganz besonderen Merkmale, die die Musiker und Solisten des Elite-Orchesters aus Frankreich zu Gehör brachten. Solch‘ musikalische Sternstunden sind selten geworden! Mikko Franck ist ein Klangzauberer, seine Künstler an den Pulten, besonders hervorzuheben sei der sonor klingende Solofagottist und die exquisite Soloflötistin, deren Silberflöte wie eine Schilfrohrflöte oder Orpheus-gleiche Planflöte strahlte. So klingt und gelingt dem Publikum die Zeitreise in den französisch tönenden Impressionismus.
Gleich im ersten Stück, dem „Morgenständchen eines Hofnarren“ sind wir von Maurice Ravels hoher, intim impressionistischer Instrumentation-Virtuosität verzaubert. Ein melodiöses, verliebtes Fagottschnurren, (Solofagott Jean-François Duquesnoy), Kastagnetten und gezupfte hohe Streicher, die eine spanische Flamenco-Gitarre imitieren, versetzten den Hörer in einen iberischen Lustgarten. Hier streift ein nicht mehr ganz nüchterner Hofnarr, die Liebesabenteuer seines älteren Dienstherrn kommentierend, umher. Keck und überschwänglich bissig klingt Ravels „Aborada“ wie ein Märchen aus 1001 Nacht. Auf diesem luftigen Klangteppich geht die Fantasie spazieren.
Die instrumentierte Fassung der „Alborada del Gracioso“ stammt aus der ursprünglich für Klavier gesetzten Suite „Miroirs“, erschienen 1905. Nachdem Ravel bereits Klavierstücke von Schumann (Carnaval, 1914) sowie seine eigenen Klavierwerke „Habanera“ (1908), „Pavane pour une infante défunte“ (1910), „Ma Mère l’Oye“ (1911) und den „Valses nobles et sentimentales“ (1912) fürs Orchester instrumentierte, gelang ihm mit seiner „Alborada“ ein triumphaler Erfolg. Der gefeierte Orchestrator Ravel wurde bei der Pariser Uraufführung am 17. Mai 1919 durch das von Rhené-Baton geleitete Orchestre Pasdeloup, frenetisch gefeiert. Ebenso wie der Dirigent Mikko Franck, der durch zurückhaltenden Gesten die jubelnde, ausbrechenden Klänge aus der Partitur lockte, die Musik atmen und donnern ließ.
Die ganz besondere Klangqualität des Orchestre Philharmonique de Radio France, das vorzüglich aufgelegt war, kam erneut beim zweiten Stück des Abends, dem Édouard Lalo Cellokonzert in d-Moll zum Ausdruck. Die Interpretin war die international anerkannte Cellistin Sol Gabetta.
Gabetta hat bei aller virtuoser, überragender technischer Beherrschung des Soloparts einen großen Hang zur mimischem Interpretation des dreisätzigen Filetstücks romantischer Celloliteratur. Sols überschwänglicher Darstellungswille der Musik ist eine perfekte Inszenierung des technisch hoch anspruchsvollen romantischen Virtuosen-Klassikers. Druckreiche Lagenwechsel vermitteln mit gewollten Bogengeräuschen auf der höheren stählern klingenden A-Saite das Gefühl in einem brennend glühenden Hochofen oder einem von Mechanik beherrschten Labyrinth eines Uhrwerks zu lauschen. Die Faszination für das aufkommende Maschinenzeitalter erlagen fast alle Künstler, die in den drei in Paris stattfindenden Weltausstellungen (1867,1878 und 1889) die neusten Maschinenwunder beäugten. Aber auch die Welle an Hispanismus Begeisterung erfasste die Gemüter und die Fantasie der Komponisten. Zwei Jahre bevor Bizets „Carmen“ 1875 dem Misserfolg anheimfiel, ihre Uraufführung 1875 in der Opéra-Comique Paris erfuhr, nahm Édouard Lalo 53-jährig seine Komposition des d-Moll Cello-Konzerts in Angriff. „Im zweiten Satz beschreibt es eine Vision einer spanischen Landschaft und des spanischen Lebens“. Da Lalos familiäre Wurzeln in Spanien lagen, können seine musikalischen spanischen Lyrismen und Rhythmen als melancholische Rückbesinnung zur Kindheit wahrgenommen werden. Die Bewunderung für die hispanischen Lokalkolorit atmenden Instrumente wie Kastagnetten verzauberten den Komponisten Lalo. Und nicht nur ihn!
2023 ist das Jahr in welchem wir den 200. Geburtstag des Komponisten Édouard Lalo feiern. In Frankreich mehr als in Deutschland. Auch des 50. Todestages des Weltbürgers, Friedensstifters und der Cello-Ikone Pablo Casals heißt es zu gedenken. Die Zugabe, mit welcher Sol Gambetta ihren Auftritt beschloss, stammt von Pablo Casals, der übrigens mit dem Lalo-Konzert 1899 in Paris debütierte und so seinen Weg des Weltruhms begann. Unter der Leitung von Charles Lamoureux, dem Gründer des gleichnamigen Orchesters, startete Casals damals seine Weltkarriere. Das Arrangement „El cant dels ocells“, „Der Gesang der Vögel“, das Casals für Solo-Cello, hier mit Celloensemble komponierte, ist ein Friedenslied, das er auch beim Auftritt im Weißen Haus 1961 vor dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy als musikalischer Botschafter für den Frieden spielte. Auch seine Konzerte beendete er mit diesem alten Weihnachtslied aus Katalonien. Es wurde nach dem Spanischen Bürgerkrieg zum Lied der Heimat vermissenden Flüchtlinge. Die geschmackvolle musikalische Eleganz der Cellogruppe (Solo und Leitung Nadine Pierre) mischt sich mit dem einfühlsamen Cellogesang von Sol Gabetta. Hier lässt die Solistin eher melodiöse, feinsinnige Farbnuancen aufblühen, welche im Lalo-Konzert zuvor musikalisch eher von perkussiv kraftvollen, spielerisch-tänzerischen Elementen beherrscht wurden. Ein eindrucksvoller Auftritt!
Die hoch impressionistischen, fast zeitgleich entstandenen französischen Klang-Ikonen, Maurice Ravels „Daphnis et Chloé“ Suite Nr. 2 und Claude Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“ entführten uns Hörer in die Glanzzeit der Époche.
1909 hatte Sergej Diaghilew Ravel um eine Ballettmusik für seine «Ballets russes» gebeten. Diaghilew schwebte als Sujet der (unter anderen von Goethe bewunderten) spätantike Liebesroman „Hirtengeschichten von Daphnis und Chloé“ vor. Die Uraufführung des Balletts „Daphnis et Chloé“ im Jahre 1912 kam nicht sonderlich gut an beim Pariser Publikum. Maurice Ravel äußerte sich kurz danach darüber: „Es war für mich eine so ununterbrochene Tortur, dass mir vorerst jede Lust auf ein ähnliches Unternehmen vergällt ist.“ Unglücklicherweise wurde am selben Abend erstmals Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“ tänzerisch interpretiert. Die exaltiert erotische Verkörperung des Fauns durch Vaclav Nijinsky verursachte einen Skandal. „Daphnis und Chloé“ geriet so aus dem Fokus des Publikums. „Daphnis et Chloé“ Suite Nr.2, die Ravel als „großes musikalisches Freskogemälde“ empfand, spiegelt laut Ravel die Liebe und die „Treue zu dem Griechenland meiner Träume“ wider. Die zweite Suite, 1913 veröffentlicht, birgt lautmalerisch den letzten Teil der Komposition: „Lever du jour“ taucht eine utopische Morgenszenerie in das irisierende Licht der ausgehenden Sonne. Der Gesang der Nymphe Syrinx, ein betörendes Flötensolo führt hin zur „Pantomime“, in der Daphnis und Chloé vereint werden. Der „Danse générale“, ein abschließender monumentaler symphonischer Freudentaumel bringt die Partitur des französischen Klassikers zum Leuchten.
Im fein ziselierten „Prélude à l’après-midi d’un faune“ brillierte wiederum die Soloflötistin Magali Mosnier. In rauschhafter Manier und doch mit klarer Diktion entfesselte Mikko Frank mit seinen Musikern die beschaulichen Träumereien des verspielten Fauns. Als delikate Zugabe erklang die versponnen verwegene „Sicilienne“ aus Gabriel Faurés Suite „Pelles et Mélisane“.
Ein beglückender Abend!
Epilog:
Die angekündigte Komposition „Trois femmes de légende“ (1908-19010) von Mel Bonis, die musikalisch das Debussy’sche Zeitalter evozierte, musste krankheitsbedingt leider ausfallen. In Frankreich werden die Werke der Komponistin Mel Bonis gerade entdeckt. Wesentlicher Anteil hat die sehr rührige Palazzetto Bru Zane, das in Venedig ansässige „Centre de musique romantique française“. Die Komponistin Mel Bonis, über die Debussy räsonierte: „Sie kennt alle Tricks des Metiers“, wurde ebenso von Camille Saint-Saëns für ihr originelles Talent geschätzt. Bonis‘ „Trois femmes de légende“ „Drei legendäre Frauen“ (1908-1910) erklangen beim Auftakt der Tournee in Paris als Zusammenarbeit mit dem Palazzetto Bru Zane in Paris. Den symphonischen Zyklus der legendären Frauenbilder vertonte Bonis musikalisch im orientalisch exotisch anmutendem Stil. Sie sitzt diesen Frauen-Ikonen ein einzigartiges Denkmal: Salome, Ophelia und Cleopatra sind von Bonis wiedererweckte Heldinnen, denen unbedingt begegnet werden muss. Erstmals 2018 wurde das Manuskript der „Trois femmes de légende“ veröffentlicht. Das Label Bru Zane hat mit den CDs „Aux Étoiles“ und „Compositrices“ Werke von Mel Bonis und spätromanischen Komponisten und Komponistinnen veröffentlicht.
Auf France Musique können hier viele Sendungen zum Geburtstagskind Édouard Lalo oder der uns ganz unbekannten Mel Bonis (Biographie) nachgehört werden.
Hörtipps:
Compositrices: New Light on French Romantic Women Composers
Mel Bonis (1858-1937): Parcours d’une compositrice de la Belle Époque
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French composer giants of the Belle Époque
Renowned conductor Mikko Franck, virtuoso cellist Sol Gabetta, and the Orchestre Philharmonique de Radio France dazzled audiences on their autumn 2023 tour through Germany, featuring selected works by French giants of the Belle Époque. Barbara Röder provides insights into this captivating musical journey.
The program, rich in French Impressionism with a touch of Spanish flair, showcased masterful compositions by Maurice Ravel, Édouard Lalo, and Claude Debussy. The Orchestre Philharmonique de Radio France, one of France’s leading orchestras, delivered exotic, vibrant sound blends, refined sensitivity, and profound musical joy to the sold-out audience at the Alte Oper. These distinctive qualities set the musicians and soloists of this elite French orchestra apart, creating rare musical moments.
Conductor Mikko Franck, described as a „magician of sound,“ led with subtle gestures, coaxing jubilant and eruptive sounds from the score, allowing the music to breathe and thunder. The exceptional soloists, including a sonorous bassoonist and an exquisite flutist, contributed to the orchestra’s time-travel into the French-tinted Impressionist era.
The concert opened with Maurice Ravel’s „Morgenständchen eines Hofnarren,“ enchanting listeners with high-intensity, impressionistic instrumentation. Jean-François Duquesnoy’s melodic, amorous bassoon, castanets, and plucked high strings emulated a Spanish Flamenco guitar, immersing the audience in an Iberian pleasure garden. Ravels’s „Alborada“ followed, evoking a fairy tale from One Thousand and One Nights with its lively and exuberantly biting tones.
Édouard Lalo’s Cello Concerto in D minor, featuring internationally acclaimed cellist Sol Gabetta, showcased her virtuosic and expressive interpretation. Gabetta’s performance blended technical mastery with a penchant for mimetic expression, creating a perfect staging of this romantic cello classic.
The concert culminated with the high Impressionistic French icons of the early 20th century: Maurice Ravel’s „Daphnis et Chloé“ Suite No. 2 and Claude Debussy’s „Prélude à l’après-midi d’un faune.“ Ravel’s suite, described by the composer as a „grand musical fresco,“ painted a utopian morning scene before transitioning into a nymph’s song and a joyful symphonic celebration, bringing the French classics to life.
Magali Mosnier’s exquisite flute solo in Debussy’s „Prélude à l’après-midi d’un faune“ showcased her artistry. As an encore, the delicate and daring „Sicilienne“ from Gabriel Fauré’s Suite „Pelléas et Mélisande“ provided a delightful conclusion to an impressive evening.
Unfortunately, due to illness, the scheduled performance of Mel Bonis’s composition „Trois femmes de légende,“ evoking the Debussian era, had to be canceled. The works of Mel Bonis, a composer being discovered in France, were introduced by the Palazzetto Bru Zane, the „Centre de musique romantique française“ in Venice, during the tour’s opening in Paris. Bonis’s symphonic cycle paid homage to legendary women – Salome, Ophelia, and Cleopatra – in an oriental and exotic style. While this piece could not be performed during the tour, it underscores the ongoing rediscovery of Mel Bonis’s contributions to music.
In 2023, the 200th birthday of composer Édouard Lalo is celebrated, with a nod to the 50th anniversary of cellist Pablo Casals. Sol Gabetta’s encore, „El cant dels ocells,“ composed by Casals, served as a beautiful tribute to the legendary cellist. The evening was a true musical delight, capturing the essence of the Belle Époque with French finesse and brilliance.
sehr schöner und guter, aber auch nachvollziehbarer Artikel!♡☆