Kolumne von Susanne Falk–
Die Welt altert, auch in der Literatur. Überall gibt es plötzlich Großelternfiguren. Durch meinen gerade erst begonnenen Roman geistert auch schon wieder eine sehr fidele, überaus resolute Großmutter. (Der Opa wurde leider vom Eisbären gefressen…) War das etwa schon immer so oder sind rüstige Großeltern ein relativ neues Phänomen in der Buchlandschaft?
Die eine sitzt im Apfelbaum und hat ein Händchen für das Bekämpfen von Tigern, der andere hockt auf der Alm und mag eigentlich niemanden außer seiner Enkeltochter: Ob Christine Nöstlingers Omama oder Spyris Alpöhi – Großeltern sind in der Kinderliteratur omnipräsent und sie kommen bevorzugt paarweise vor. Neu ist daran mal gar nichts. Johanna Spyris „Heidi“ ist ja immerhin schon 145 Jahre alt und auch Nöstlingers „Omama im Apfelbaum“ ist bereits 1965 erschienen. Letztere hat noch einen recht lebendigen weiblichen Gegenpart, der Alpöhi gleich zwei weitere Omas an der Hand, die vom Geissenpeter und natürlich Klaras Großmutter.
In der Regel aber wirken sie alt, milde, weise, ab und zu etwas verwegen und sind immer für ihre Enkelkinder da. Sie haben weiße Haare, oft eine Brille und nicht selten ersetzen sie die abwesenden Eltern. Doch ist das eigentlich noch zeitgemäß? Die Omas von heute tragen meiner Erfahrung nach gerne blond gesträhnte Haare, stehen immer noch mitten im Berufsleben und lieben ihre Enkelkinder zwar sehr, haben aber aufgrund diverser Verpflichtungen nur begrenzt Zeit für sie. Außerdem leben sie häufig in einem anderen Ort als ihre Enkel und sie sind nicht selten schon lange vom Opa geschieden. Opas gehen dagegen auch nicht ständig mit ihren Enkelsöhnen fischen oder können Hühnerställe reparieren, wohnen aber zuweilen mit ihrer neuen Lebensgefährtin auf Ibiza und sehen ihre geliebten Enkelkinder nur zu Weihnachten, wo sie ihnen viel zu teure iPads schenken und Karten für Taylor-Swift-Konzerte, die sie dann gemeinsam besuchen.
Dass es Großeltern aus der Kinderliteratur in die Erwachsenenwelt geschafft haben (man denke hier nur an Alina Bronskys „Der Zopf meiner Großmutter“ oder freue sich auf das im März erscheinende „Und Großvater atmete mit den Wellen“ von Trude Teige) ist auch nicht ganz neu, aber doch bemerkenswert. Es scheint hier gleichfalls eine große Sehnsucht nach einer Generation zu bestehen, die nicht immer oder nicht mehr verfügbar ist, sei es aus Hoffnung auf eine Perspektive für das, was kommt oder als Rückblick auf das, was war bzw. gewesen sein könnte.
Und da sitze ich nun, mit einer neuen Großmutterfigur im Kopf und frage mich, aus welcher Ecke meines Unterbewusstseins die gerade kommt? Was will mir mein Selbst wohl damit sagen? Es ist nämlich keine liebevoll über den Kopf tätschelnde Großmutterfigur, die da plötzlich durch den Roman geistert. Diese hier ist rau, zynisch, zuweilen bösartig aber trotzdem liebevoll, mal ehrlich, mal verlogen und weit von dem entfernt, was Johanna Spyri einst als Großmutterfigur in meinen Kopf setzte. Warum also diese Figur? Bin das ich in 30 Jahren? Oder ist sie ein Gegenentwurf zu der Frau, die ich vielleicht einmal werden könnte? Zum Glück erinnere ich mich daran, dass auch ich als Autorin meine Figuren nicht mit mir selbst verwechseln sollte. Und dass es sich lohnen könnte, dieser Frau näher zu begegnen, weil man in den anderen ja immer auch auf sich selbst trifft. Auch wenn diese „andere“ nur erfunden ist. Auf mein 77-jähriges Ich bin ich jedenfalls schon schwer gespannt…
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My Books! „Grandma and Grandpa“ . Column by Susanne Falk
The world is aging, even in literature. Grandparents are suddenly everywhere. In my recently started novel, a very lively, exceptionally resolute grandmother is already haunting through it. (Unfortunately, the grandpa was eaten by a polar bear…) Has it always been this way, or are sprightly grandparents a relatively new phenomenon in the literary landscape?
One sits in the apple tree and has a knack for fighting tigers, the other sits on the alp and actually likes no one but his granddaughter: Whether it’s Christine Nöstlinger’s “Omama” or Spyri’s Alpöhi – grandparents are omnipresent in children’s literature, and they often come in pairs. There’s nothing new about that. Johanna Spyri’s “Heidi” is already 145 years old, and Nöstlinger’s “Omama in the apple tree” was published in 1965. The latter has a lively female counterpart, and the Alpöhi has two more grandmas in tow, one is Geissenpeter’s and the other one, of course, Clara’s grandmother.
Generally, they appear old, gentle, wise, occasionally a bit daring, and always there for their grandchildren. They have white hair, often wear glasses, and frequently act as replacements for absent parents. But is that still contemporary? Today’s grandmas, from my experience, prefer blond-highlighted hair, are still in the midst of their careers, love their grandchildren dearly but have limited time for them due to various obligations. Moreover, they often live in a different place than their grandchildren and are not uncommonly divorced from grandpa for a long time. Grandpas, on the other hand, don’t constantly go fishing with their grandsons or repair chicken coops, but they may live with their new partner on Ibiza and see their beloved grandchildren only at Christmas, giving overly expensive iPads to them and tickets to Taylor Swift concerts, which they then attend together.
The fact that grandparents from children’s literature have made it into the adult world (think only of Alina Bronsky’s „Der Zopf meiner Großmutter“ or look forward to Trude Teige’s upcoming „Und Großvater atmete mit den Wellen“ in March) is not entirely new but still noteworthy. There seems to be a great longing here for a generation that is not always or no longer available, whether in the hope of a perspective for what is to come or as a retrospective on what was or could have been.
And here I am now, with a new grandmother figure in my head, wondering from which corner of my unconscious she comes. What story do I want to tell myself? It’s not a lovingly patting grandmother figure that suddenly haunts through the novel. This one is rough, cynical, sometimes malicious but still loving, sometimes honest, sometimes deceitful, and far from what Johanna Spyri once placed in my head as a grandmother figure. So why this character? Am I going to be like this in 30 years? Or is she a counter-draft to the woman I might become? Fortunately, I remember that as an author, I shouldn’t confuse my characters with myself. And that it might be worth getting to know this woman better because one always encounters oneself in others, even if this „other“ is only invented. I’m already looking forward to my 77-year-old self anyway…