Im Interview: Steven Walter
Er liebt die klassische Musik seit Kindesbeinen, wurde Profi-Cellist und erfand das PODIUM-Festival. Im Interview mit dem Feuilletonscout erzählt er, wie aus dem Musiker ein Fast-Unternehmer wurde und warum er noch lange nicht am Ziel angekommen ist.
Feuilletonscout: Gerade ist das 6. PODIUM Festival zu Ende gegangen. Sind Sie zufrieden?
Steven Walter: Sehr. Wir haben viel Gewagtes gemacht, und es hat gut funktioniert. Die Stimmung war sehr gut. Die Zahlen haben gestimmt. Und wir haben wieder sehr viel dazu gelernt.
Feuilletonscout: Was war das Gewagte?
Steven Walter: Wir bewegen uns schon seit Jahren dahin, jedes Mal etwas ganz Einzigartiges, Unvorhergesehenes zu bieten. Das führt dazu, dass wir interdisziplinär arbeiten. Dabei weiß man nie, ob die Ideen funktionieren und beim Publikum ankommen. Hinzu kommt, dass wir die Programme nicht ankündigen. Die Leute kaufen also ihre Karten, ohne zu wissen, was sie erwartet und ob sie das dann auch gut finden werden. Wir durchbrechen damit die klassische Erwartungshaltung.
Feuilletonscout: Wie waren die Zahlen in diesem Jahr?
Steven Walter: Sehr positiv! Die Zuschauerzahlen, aber auch die Einnahmen haben unsere Erwartungen übertroffen. Wir wachsen beständig und das, obwohl wir gegen die Regeln des Betriebs verstoßen.
Feuilletonscout: Sie waren 22 Jahre alt, als Sie die Idee zum PODIUM-Festival hatten, ein Jahr später fand es das erste Mal statt. Sie selbst haben Cello studiert. Finden Sie noch Zeit, zu spielen?
Steven Walter: Das ist eine berechtigte Frage. Ich bin vor allem Cellist und bei allem anderen Autodidakt. Also ein Musiker, der unternehmerisch tätig ist. Das interessiert mich, aber in erster Linie habe ich ein künstlerisches Anliegen.
Feuilletonscout. Wie viele Stunden am Tag üben Sie?
Steven Walter: Das ist sehr unterschiedlich. Ich habe während des Studiums fünf bis sieben Stunden am Tag geübt. Heute sind es im Schnitt zwei bis drei Stunden. In den Probephasen übe ich natürlich mehr.
Feuilletonscout: Wie entstand die Idee zum PODIUM-Festival?
Steven Walter: Was jetzt das PODIUM-Festival ist, war nicht die ursprüngliche Idee. Mich störte damals als Student, dass es kaum möglich war, selbst zu gestalten. Man war immer in festen Strukturen, spielte im Hochschulkontext. Wir haben uns damals gewünscht, einmal so zu spielen und aufzuführen, wie uns die Schnäbel gewachsen waren. Das haben wir dann einfach gemacht, und es schlug voll ein. Es hat immer eine andere Energie, wenn Leute etwas selbstbestimmt tun. Heute sind wir mehr ein Think Tank und stellen uns Fragen wie: Was heißt eigentlich „klassisches Konzert“ und „Kammermusik“? Wir denken darüber nach und versuchen, neue Formate zu entwickeln. Schließlich geht es letztendlich auch um die Publikumsstruktur, genauer, die Altersstruktur unseres Publikums. Die jungen Leute sind in der Minderheit und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Gleichaltrige, ehemalige Klassenkameraden, überhaupt keinen Zugang zur klassischen Musik haben. Da fragt man sich zwangsläufig: Warum? Das hat doch nichts mehr mit der Musik zu tun, sondern viel mehr mit dem Kontext, der bürgerlichen Verortung der Formate.
Feuilletonscout: Auf Ihrer Homepage heißt es: „PODIUM steht für ein modernes, anspruchsvolles und innovatives Musikschaffen jenseits von Konventionen.“. Was bedeutet für Sie „jenseits von Konventionen“? Was möchten Sie mit dem Festival (er)schaffen/erreichen?
Steven Walter: Das klassische Konzert wie wir es heute kennen entspricht fast 1:1 dem von 1880. Unabhängig von der Musik hat sich nichts verändert. Aber die Gesellschaft hat sich gewandelt, sie ist pluralistischer geworden. Und daher müssen wir auch das Konzertformat in eine pluralistische Form überführen. Nicht die Opernhäuser abreißen. Aber eine parallele Szene zu ihnen aufbauen, sonst laufen wir Gefahr, zum Museum zu werden und uns damit selbst zu demontieren.
Feuilletonscout: Alle Ihre Mitstreiter sind sehr jung. Gleichzeitig gründete sich 2013 die PODIUM Musikstiftung, in der Ihnen erfahrene Persönlichkeiten zur Seite stehen. Wie haben Sie Ihre Mitstreiter – Macher und Musiker – gefunden? Und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Jung und Alt?
Steven Walter: Wir haben das Festival sehr Start-up-mäßig gegründet, von unten nach oben. Irgendwann kam der Punkt, an dem wir erkannten, dass es so nicht weitergeht. Wir kamen mit unseren Strukturen an eine Grenze, die Selbstausbeutung war enorm. Auch die hohen Geldsummen, mit denen wir plötzlich zu tun hatten, machten uns Angst. Wir haben begonnen, mit vielen Menschen zu sprechen und so kam dann die Stiftung zustande, die operativ arbeitet. Sie ist vor allem dafür da, wirtschaftliche Mittel heranzuziehen, fürs Fundraising. Sie ist eine Institution, die uns auch eine gewisse Sicherheit gibt. Natürlich treffen hier extrem unterschiedliche Menschentypen aufeinander, aber insgesamt herrscht eine sehr wohlwollende, sehr positive Stimmung!
Feuilletonscout: Sie alle arbeiten beim PODIUM-Festival ehrenamtlich. Wie finanziert sich das Festival?
Steven Walter: Der Finanzierungsmix ist sehr speziell. Wir haben wenig öffentliche Förderung und leben hauptsächlich durch privates Mäzenatentum. Und es gibt viele Menschen, die den Verein unterstützen möchten, auch durch Sponsoring. Wir versuchen nun, eine professionelle Leitungsstruktur aufzubauen. Aber wir sollten uns nicht zu sehr auf dem Sockel der Förderung ausruhen.
Feuilletonscout: Sie spielen in diversen Ensembles, engagieren sich in verschiedensten, auch unkonventionellen Orchesterprojekten, sind künstlerischer Leiter des PODIUM Festivals, halten Vorträge auf Symposien und in Hochschulen und veröffentlichen Texte zu ihren Themen. Was treibt Sie an?
Steven Walter: Die Musik. Ich möchte, dass das, was ich schätze und liebe, stattfindet. Ich bin in erster Linie Instrumentalist. Aber das hat mich dazu gebracht, über Vieles nachzudenken. Auch über das, was ich als Mensch geben kann. Es ist eine wundersame Geschichte, dass Menschen zusammenkommen, um Musik zu erleben. Und das darf nicht in einem Museumskontext stattfinden. Deswegen gehe ich in die Hochschulen, schreibe Texte. Die Musik ist mir bei allen meinen Tätigkeiten am Wichtigsten.
Feuilletonscout: Nun liegt ein Jahr vor Ihnen, bevor das nächste Festival startet. Was sind Ihre nächsten Pläne?
Steven Walter: Danach ist davor. Aber es gibt viele Projekte. Wir haben Ableger des Festivals in Island, Norwegen und Spanien. Aber auch in Stuttgart sind wir wieder. Ebenso mit einer Kammeroper in Esslingen. Im Herbst spielen wir im Radialsystem in Berlin. Mit dem Blindenverein Aussicht e.V. führen wir Dunkelkonzerte auf. Es ist viel los!
Feuilletonscout: Was sollen die Menschen von Ihnen und/oder Ihrer Kunst in Erinnerung behalten?
Steven Walter: Ich verstehe mich mehr als Vermittler. Wir, die Musiker, sind ein Medium. Wir vermitteln zwischen einem wahnsinnigen Fundus an Musik und dem Publikum. Und wenn man spielt, ein Konzert gibt, muss es etwas Einmaliges sein, etwas, das emotional berührt. Keine Nachlassverwaltung eines Komponisten. Es geht darum, die Menschen zu packen, darum, dass wir sie für einen Moment aus einer Gewohnheit herausholen. In einem Live-Konzert eine Aura schaffen, die einzigartig ist!
Vielen Dank für das Gespräch, Steven Walter!
Vom 27. bis zum 29. Juni tritt Steven Walter in einer von jungen Musikern des PODIUM-Festivals selbst arrangierten Kammerversion der Groß-Oper „Hélène“ vom Camille Saint-Saëns (1835-1921) auf. Mit drei Musikern und vier Sängern übertragen sie die Legende um Helene von Troja in die Studentenwelt des Hier und Heute.
SCALA Esslingen, Blumenstraße 15
(Eingang von der Neckarstraße)
Beginn: 20 Uhr
Karten zu 25 € (ermäßigt 10 €) erhältlich im PODIUM Kartenbüro c/o Buchhandlung Stocker & Paulus, in der Stadtinformation Esslingen sowie an allen ReserviX-Vorverkaufsstellen