Eine Rezension von Stephan Reimertz
Besuchen Sie Cuba, solange es Cuba noch gibt! Die Kaffee- und Hamburgerketten stehen schon an Floridas Küste und richten Blicke auf die Zuckerinsel, um ihr sobald wie möglich den Garaus zu machen. Was die Invasion in der Schweinebucht nicht vermochte, dem Schweinefraß wird es gelingen. Das ist ein Grund, warum viele Deutsche nach Cuba reisen; sie wollen das Land sehen, bevor es dort aussieht wie überall. Auch Künstler versuchen das Bild der Insel festzuhalten, bevor es sich für immer in nichtssagendes Grau auflöst. Im Frühjahr zeigte die Photographin Gabi Janku in der Englischen Kirche in Bad Homburg ihre großformatigen Schwarzweiß-Aufnahmen, in denen die Atmosphäre der Insel mit ebenso viel Stimmung wie Präzision eingefangen ist. Und jetzt können wir die Farbphotos von Katharina Alt im Münchner Völkerkundemuseum sehen, das derzeit »Museum Fünf Kontinente« heißt, bis die nächste politisch-korrekte Mode einen neuen Namen erzwingt.
Antike Lässigkeit
»Boxing Cuba: From Backyards to World Championship« nennt sich die derzeit dort zu sehende Ausstellung. Schon 2003 konnten die Münchner in der Photogalerie des Barkeepers Charles Schumann in der Maximilianstraße Boxer-Aufnahmen aus Cuba des Photographen Alexander Pickl sehen. »Ich bewundere die Cubaner für ihr Talent, unter so einfachen Bedingungen diese Welterfolge zu erzielen«, sagt Schumann in Anspielung auf die Führung Cubas bei den olympischen Goldmedaillen im Boxen.
»Boxing Cuba« ist eine der wenigen Ausstellungen, zu denen wir nicht durch Presseberichterstattung oder Internet, sondern durch ein Riesenplakat am Museum selbst gekommen sind. Fährt man die Maximilianstraße hinunter, leuchtet einem von der Fassade des Völkerkundemuseums das übergroße manieristisch wirkende Bildnis des Yampier Hernández entgegen, Sieger in Bronze bei den Olympischen Spielen in Peking 2008.
Die Ausstellung wird in einem einzigen großen, nahezu quadratischen Raum dargeboten, dessen Mitte ein vom Münchner Faustkampfzentrum »Boxwerk« zur Verfügung gestellter Berg-Ring von 1965 einnimmt, der immer noch in Gebrauch ist. Zitate von Alfred Flechtheim und Joyce Carol Oates fehlen ebenso wenig wie der Hinweis auf die Bronze-Plastik des Faustkämpfers vom Quirinal, die mindestens 2300 Jahre alt ist. Solcherart historisch gewappnet treten wir den Portraits von Katharina Alt entgegen, ihrer Frische und Durchschlagskraft. Als deutsche Photographin steht sie in der Tradition der Neuen Sachlichkeit, als junge Frau verleugnet sie ihre Freude an durchtrainierten jungen Männerkörpern nicht. Die jungen Cubaner präsentieren sich mit geradezu antiker Lässigkeit. Sportler Roniel Iglesias Sotolongo (69 kg, Goldmedaille bei den Weltmeisterschaften von Mailand 2009) wirken wie Figuren aus der Florentinischen Renaissance.
Boxlegenden, für immer festgehalten
Die Photographin kann sich Boxlegenden wie Emilio Correa Vailant, genannt Padre, (Goldmedaillengewinner bei der Münchner Olympiade 1972), und seinen Sohn Emilio (Gold in Barcelona 1992), natürlich nicht entgehen lassen. Sie zeigt aber auch Boxen als Sport der Straße. In ihrer Version von Neuer Sachlichkeit kommt das soziale Milieu stets im Bildhintergrund zur Geltung. Sie stellt den Kämpfer mitten in seine Welt. Alts Werk ist eine Art comédie humaine Cubas vor der Vernichtung.
Katharina Alt folgt dem eine Generation älteren französischen Photographen Thierry Le Goues, der im vergangenen Jahr seine sehr viel härter pointierten, z. T. schwarz-weiß ausgeführten, Fotos über das kubanische Boxen veröffentlichte. Nicht allein die Athletik, vielmehr die tiefe Menschlichkeit, die diesen Körpern eingeschrieben ist, überzeugen und beeindrucken den Betrachter. Wie sehr unterscheiden sie sich vom entseelten Fitnessstudio-Ideal der Westlichen Welt! Lebendigkeit, Wärme, Sportlichkeit; ein letztes Aufbäumen gegen die Pornomaschine, zu der Mann und Frau in der amerikanisierten »Kultur« herabgewürdigt werden.
Kunst rettet den Sport
Natürlich hängt der Zeitpunkt der Münchner Ausstellung mit den Olympischen Spielen in Brasilien zusammen. Doch wer an Olympische Spiele glaubt, kann auch an den Weihnachtsmann glauben. Es war eine echt sportliche Tat, als Fidel Castro das Profiboxen verbot. Das Ergebnis war, dass kubanische Boxer als die besten der Welt galten, stilistisch elegant und technisch perfekt. Das Training in der Boxakademie in Havanna beginnt schon vier Uhr morgens. Cuba ist das Land mit den meisten Goldmedaillen im Boxen. Vor kurzem wurde das Verbot des Profisports aufgehoben.
Zur Ausstellung ist im Münchner Hirmer Verlag ein Katalog erschienen. Im ersten Teil bietet er eine knappe Kulturgeschichte des Boxens. Die Portraits von Katharina Alt sind wiedergegeben und mit den Medaillen und dem Kampfgewicht des Kämpfers versehen. Eine kurze Geschichte des Boxens auf Cuba rundet den Bildband ab. Freilich hat man wie beim Tanztheater das Gefühl, dass Boxen allmählich zu Tode geschrieben wird. Dennoch kann man den Katalog als stringent durchkomponiertes Buch bezeichnen, das eng auf die Ausstellung bezogen ist und zugleich unabhängig von der Schau eine außergewöhnliche Buchveröffentlichung darstellt, das Boxfans ebenso erfreuen wird wie Freunde des todgeweihten Karibikstaates.
Boxing Cuba. Hommage an einen Sport
Ausstellung bis zum 18. September 2016
Katalog: Boxing Cuba. From Backyards to World Championship
Museum Fünf Kontinente
Maximilianstraße 42
80538 München
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag: 9.30 bis 17.30 Uhr
6 Euro/5 Euro
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