Bei Albert Renger-Patzsch ist Fotografie Kunst, findet Stephan Reimertz
Die Revolution der photographischen Technik macht heute jeden zum Photographen. Abgesehen von der narzisstischen Selfie-Epidemie beobachtet man dabei vor allem den unheilbaren Drang der Knipser, »Kunst« zu produzieren, der uns zudem von jedem Postkartenständer entgegenlacht. Dabei leidet das ganze Knips- und Postkartengenre unter derselben Krankheit wie die Kunstszene: Der konsequenten Verwechslung von Kunst und Kunstgewerbe. Es sollte zu denken geben, wenn ein Photograph, der in den Rang eines Künstlers erhoben wurde, eigenes Museum inklusive, sagt: Photographie ist keine Kunst! Diesem Ausspruch von Helmut Newton kann man ein Wort von Albert Renger-Patzsch (1897 – 1966) zu Seite stellen, der als stilbildender Photograph der Neuen Sachlichkeit gilt: »Überlassen wir die Kunst den Künstlern und versuchen wir mit den Mitteln der Fotografie Fotografien zu schaffen, die durch ihre fotografischen Qualitäten bestehen können.«
Das Paradoxe ist, dass seine auf Bildausschnitt und Oberfläche zielenden Schwarzweiß-Aufnahmen ein so hohes technisches und photographisches Niveau erreichen, dass man allerdings von Kunst sprechen kann. Der in Würzburg geborene Photograph zog später nach Essen, um Aufträge der Wirtschaft für Industrie- und Produktphotographie wahrzunehmen. Dort entwickelte er eine tiefe Liebe zum Ruhrgebiet. Ohne Auftrag schuf er eine Reihe von Aufnahmen dieser einzigartigen aus Wiesen, Hügeln, Straßen, Bauernhöfen und Industrieanlagen gewirkten Landschaft. Allenfalls ein paar Kühe dürfen einmal in seinen leeren Tableaus stehen, die menschenleer sind wie die Bilder von Giorgio de Chirico. Der Arbeiter aus dem Ruhrgebiet, dieser charmante, schlagfertige eigentliche Aristokrat der deutschen Gesellschaft, fehlt. Die witzigen und sprachmächtigen Menschen des Ruhrgebiets (die sich so extrem von der Darstellung des »Schimanski« durch den Berliner Götz George unterscheiden), sind in den Bildern von Albert Renger-Patzsch in ihrer Abwesenheit anwesend.
Der Photograph hat das alte Ruhrgebiet für sie und für uns alle in seinen Photographien für immer gerettet. Die Münchner Pinakotheken sind äußerst einfallsreich, wenn es darum geht, die Besucher und besonders die Jugend in neue Ausstellungsprojekte einzubeziehen. Für die Ausstellung der Ruhrgebietslandschaften aus der Stiftung Ann und Jürgen Wilde hat man sich etwas besonders ausgedacht. Am 4. März veranstaltet die Pinakothek einen InstaWalk durch München, bei dem, nach einer Führung durch die Ausstellung, die Besucher moderne Stadtlandschaften mit eigenem Auge aufspüren sollen. Vielleicht trägt das ja dazu bei, die Selfie- und Kunstgewerbsphotographie-Epidemie einzudämmen.
Albert Renger-Patzsch. Ruhrgebietslandschaften
Ausstellung bis zum 23. April 2017
Pinakothek der Moderne
Sammlung Moderne Kunst
Barer Str. 40
80333 München
Öffnungszeiten:
täglich: 10 bis 18 Uhr
dienstags: 10 bis 20 Uhr
montags geschlossen
10 Euro/7 Euro
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