Von Ingobert Waltenberger.
Absolute Musik per se kann keine politische Umstände vermitteln, aber ein Komponist wie Isang Yun hat mit Musik traumatische Erlebnisse in Klang und damit in universal verständliche Emotionen gegossen. Nach dem Koreakrieg wählte der Komponist Berlin als Wahlheimat. In Darmstadt wurde er entführt, Folter und lebenslang verhängte Haft in Südkorea inklusive. Man warf ihm vor, dass er Musiker in Nordkorea besuchte und für die Wiedervereinigung Koreas plädierte. Daraufhin setzten sich Stravinsky, Shostakovich, Ligeti und Herbert von Karajan für den Künstler ein und er kam nach zwei Jahren wieder frei.
In dem „autobiographischen“ Cellokonzert aus dem Jahr 1976 verarbeitete Yun diese schmerzhaften und leidvollen Erfahrungen. Der fabelhafte Cellist Matt Haimovitz war der Solist der Linzer Aufführung zum 100. Geburtstag des Komponisten in Linz. Auf den beiden CDs des Albums sind noch weitere Werke Isang Yuns zu entdecken: Das „Violinkonzert Nr. 1“ mit der Amerikanerin Yumi Hwang-Williams als Solistin und „Fanfare & Memorial“, beides ebenfalls mit dem Bruckner Orchester Linz unter Dennis Russell Davies. Darüber hinaus wurden noch das „Interludium A“ (Maki Namekawa Klavier), „Glissées für Solo Cello“ (Matt Haimovitz), „Kontraste für Solo Violine“ (Yumi Hwang-Williams) und „Gasa für Violine und Klavier“ (Yumi Hwang-Williams, Dennis Russell Davies Klavier) in die Veröffentlichung aufgenommen.
Die Musik Isang Yuns überrascht mit einer rohen amorphen Kraft und raumgreifenden Klangfülle eines nach Ordnung in Klangflächen strebenden, im Chaos steckenden Sinnsuchers. Das Cello ist in einer Notationssprache komponiert, die entwickelt wurde, um die klangliche Welt der asiatischen Instrumente und Formen zu integrieren. Haimovitz spricht von einem großzügigen Spektrum von Portamento-Techniken, die rhetorische Nachahmung der Form der koreanischen Sprache und volkstümlichen Kultur, die Verbindung von Schönbergs serieller Musik mit vagen Tonwelten, sowie einer Erkundung neuer Spielarten, wie z. B. der Nutzung des Plektrums zur Nachahmung der koreanischen Zither. Individuelle Stille gegen bedrohlichen Lärm, das lyrische Ich in der Gesellschaft, der Traum von verlorener Unschuld (Ton A) gegen abyssale Realitäten.
Das Cellokonzert ist in seiner enormen Komplexität nicht einfach zu hören, fügt sich in seiner Originalität und herzzerreißenden Intensität jedoch in den Reigen der großen Schwesternwerke des 20. Jahrhunderts von Dutilleux und Lutoslawski. Bewegend ist der traurig schöne Cellomonolog im langsamen Satz, von einem ganz besonderen Einsamkeitslicht durchdrungen. Das Violinkonzert aus dem Jahr 1981 ist in der Tonsprache reduzierter, melodischer, konsonanter. Generell gibt es aus Yuns Verständnis heraus keine Kontraste in seinen Werken, keine Schwarz-Weiß Gegensätze. In seinen von ostasiatischem Denken und Taosimus inspirierten Kompositionen gebe es auch im dunkelsten Dunkel immer noch Licht. Wir würden sagen, das Prinzip Hoffnung hat am Ende immer die Oberhand. Ein gerade in Zeiten wie diesen faszinierender und wichtiger Ansatz. Empfehlenswert.
Isang Yun
Sunrise Falling
Matt Haimovitz, Cello
Bruckner Orchester Linz
Pentatone 2018
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