Zum Inhalt springen

Amors Irrfahrten in zwei Teilen . Teil 2: „Orlando“ an der Frankfurter Oper

Rating: 5.00/5. From 9 votes.
Please wait...
oper-beitragsbild

„Verliebtheit ist wie ein Wind…“ – Händels „Orlando“ von 1733 an der Oper Frankfurt am Main. Von Barbara Röder.

Das war’s also mit der Liebe! Orlando halb wachend, halb träumend weiß so gar nicht mehr wie ihm geschah. Einst kehrte er siegreich aus dem Krieg zurück. Seine angebetete Braut Angelica fand der stolze Paladin verliebt in den Prinzen Medoro vor. Dies mag Orlandos erster Auslöser, sich in seinem von Eifersucht befeuerten Wahnsinn zu begeben, gewesen sein. Es ist der Beginn einer, wie es so schön in der Vorrede zum Libretto des Orlando von G. F Händel heißt: „maßlosen Leidenschaft, die Orlando für Angelica empfand und die ihn am Ende völlig seiner Vernunft beraubte“. So präsentiert uns Händel seinen Orlando, dessen Gefühlswelt zwischen Wachen und Träumen changiert und heillos seiner Verliebtheit und deren Kapriolen ausgeliefert ist.

Zugrunde für Händels „Orlando“ liegt das romantische Versepos „Orlando furioso“ (1516) von Ludovico Ariostos. Das anonyme Libretto „Orlando, oder der rasende-aus Eifersucht -Roland“ von Carlo Sigismondo Capeces setzte als erster Antonio Vivaldi 1711 triumphal in Töne. Händel war betört und verzaubert von dem Sujet „Liebesverrat, Täuschung der Gefühle und des Herzens“. Denn daraus sind die Storys um den Liebeswahn Orlandos gewoben. Die musikalische Seelenpein des Paladin offenbarte der „Caro Sassone“ mit dramaturgischer Raffinesse, denn das Londoner Publikum langweilte sich 1733 immens. Es war müde geworden, die Begeisterung für italienische Opern war am Verebben. Das Interesse für Kastraten, Diven und deren bühnentauglichen Tiraden war erkaltet. Da half auch der schönste Liebeswahn des vor Eifersucht tobenden Orlando nichts. Händels beste Sänger liefen über zur Konkurrenz und das Ende der „Zweiten Royal Academy“ war besiegelt und in greifbarer Nähe. „Geld oder Liebe?“ Pardon, „Ruhm oder Liebe“, das fragt Zoroastro, Orlandos weiser, allzu bedächtiger Magier und Ratgeber in persona, Orlando. Er mahnt den Träumer, den Ruhm zu wählen. Denn Zoroastro ahnt Schlimmstes! Amors Pfeile stiften Unheil, Verwirrung und Qual. So war es schon immer und dies wird sich nicht ändern.

In Ted Huffmans Regie an der Frankfurter Oper kommt dieser Magier als windiger Showmaster im Pastellanzug. Er beschwichtigt zurückhaltend, hält aber nicht sonderlich die Liebestollen, denn nicht nur Orlando schmiegt sich wohlig in den Amors Fängen. Alle surren und flöten verliebt in Sehnsuchtstaumelheiterkeiten. Sonor und mit  bassigem Schmelz singt diesen magischen Zauberer, der so gar keiner ist, Božidar Smiljanić. In einem Ritornell, das von tiefen Instrumenten gespielt aus dem Graben quillt, steigen leichte, sprudelnde Luftgesänge empor. Wir imaginieren kreisende Gedanken, das flatterhafte Fließen des Atems. Oder sind es die gefesselten Seelen aller unglücklich Liebenden, die sich aus den Fängen Amors befreien wollen?

Händel, der betörend kluge Meister musikdramatischer Illusionen, legt der Schäferin Dorinda silbrig klirrende Töne in die Kehle und die sinnierenden Worte auf ihre zarten Lippen: „Die Liebe ist wie ein Wind“. Dorinda, die ihrer klug gewitzten Verwandten, der Colombian aus der Commedia del Arte in nichts nachsteht, wird von der bezaubernden Monika Buczkowska gesungen, ja liebevoll gezwitschert. In ein Ringelshirt mit grünem, flatterndem Reifrock gekleidet wie zu Händels Zeit, agiert sie göttlich burschikos und herzhaft komisch. Sie ist eine Wonne und Entdeckung! Später im Jahrhundert erklärte sich Mozarts Guglielmo in „Così fan tutte“ für verliebter als ein Orlando, für schwer verletzter als ein Medoro. Das will was heißen!

Auf der entleerten Bühne, die Johannes Schütz konstruiert hat, dreht sich an einer hohen Stange ein übergroßes Windrad mit vier in schwarze Rahmen gespannte helle Gazestoffe. Auf diesen flattern projiziert Laub und allerhand Olivenzweige. Sind es arkadische Illusionsidyllen entstiegen aus den Traumwelten der verliebten Protagonisten?  Vier schwarze Pantomimen-Tänzer illustrieren die innere Befindlichkeit Orlandos. Kommentieren auch schweigend, beobachtend wie ein griechischer Chor an die schwarzen Rahmen gelehnt oder in eine Ecke geduckt die Szenerie. Weniger Aktionismus auf der sonst klinisch sauberen, akkurat anmutenden Bühne wäre mehr gewesen. Huffman vermag mit seiner eher minimal angedeuteten Personenregie kaum die Entwicklung der Charaktere auszudeuten. Zu schade.

Herrlich fantasievoll sind die kreativen Kostüme von Raphael Rose. Dorindas angeschmachteter Medoro, er liebt natürlich Angelica, kommt wie ein englischer Dandy mit Karohosen daher. Verwirrung muss sein. Der Countertenor Christopher Lowrey gibt diesen scheuen Krieger mit zartem, subtilem Gesang. Die in ein sattrosanes barockes Ballkleid gehüllte Angelica verwirrt allen den Kopf. Kateryna Kasper zelebriert ihre Partie mit sopraner Eleganz und bezaubernder Grazie.

Dem gedämpften Sound aus dem mit historischen Instrumenten bestückte barocke Kammerensemble fehlt es zuweilen ein wenig an Frische und Klangschönheit. Simone Di Felice dirigiert Umsicht mit großem Verve. Herzlicher Applaus im Besonderen für die wandelbaren, singenden und spielfreudigen Akteure des Händel-Spektakels. Die Frankfurt Oper hat(te) allein diese Spielzeit vier Händelschmuckstücke in ungewöhnlicher Besetzung auf dem Spielplan: zum einen „Tolomeo“ mit dem exquisiten Counter Laurence Zazzo, der uns bei der Wiederaufnahme von Händels „Xerxes“ im Juni 2023 wieder begegnet und zum anderen das furiose, in Szene gesetzte Oratorium „Hercules“. Regie führt der Regie-Wundermann Barrie Kosky. Das ist barocker spitzenmässiger Einsatz, den das preisgekrönte Opernhaus des Jahres 2022 leistet.

Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert