Von Stefan Pieper.
Ein schimmerndes Seidentuch, uralte Klänge und bewegte Körper – „Voyagers“ entführte das Publikum bei seiner Uraufführung im Theater Marl in eine außergewöhnliche Welt. Über allem lag der beschwörende Klang der Duduk. In 75 Minuten verschmolzen Musik, Tanz und Licht zu einer sinnlichen Erfahrung, bei der die Fantasie des Publikums gefragt war. Das neueste Werk des Marler Komponisten André Buttler erlebte seine Uraufführung im Theater der Stadt Marl – unter Beteiligung des Dudukspielers André Meisner auf der Duduk, zehn Tänzerinnen unter Melanie Drükes choreografischer Leitung und einem eigens für dieses Projekt zusammengestellten Kammerensembles.
Voyagers: Musik, Tanz und Licht in perfekter Harmonie
Kunst braucht Visionäre, die Konventionen in Frage stellen und Grenzen auflösen. Dass der Marler Komponist André Buttler solche Ambitionen ernst nimmt, bewies sein neuestes Werk „Voyagers”, das im Theater der Stadt Marl seine Uraufführung erfuhr. Es war eine Performance, in der 75 Minuten lang die Musik nicht konsumiert, sondern erlebt werden durfte und wo alle Bilder in der Fantasie des Publikums erlaubt waren. Musik, Tanz, Licht und Farben verschmolzen zu einer Einheit, um aus einem tiefen Ruhezustand heraus auf den Lärm der Welt da draußen zu antworten.
Der Abend beginnt mit dem Solospiel des Duisburgers André Meisner auf der Duduk, diesem uralten armenischen Blasinstrument, das mit jedem einzelnen, lange ausgekosteten Ton Geschichten erzählen kann. Diese Klänge, zwischen archaischer Tradition und experimenteller Moderne changierend, geben wiederum Raum für das visuelle Geschehen: Unter einem schimmernden Seidentuch erwachten die Tänzerinnen, richteten sich schließlich auf, einem elementaren Erwachen gleich – auch das wirkte wie eine choreografische Metapher für Transformation und Aufbruch.
Choreografie als lebende Metapher für Transformation
Zehn Tänzerinnen vom Marler Studio Tanz Kreativ erzeugen unter Melanie Drükes choreografischer Expertise einen lebenden Resonanzraum für alle Emotionen der Musik – dynamisch, in sehr stilisierten, aber auch frei improvisierten Figuren, in rauschhaften Bildern. Oft wirken die Tänzerinnen wie zu einer sozialen Skulptur vereint. Das ist keine dekorative Ergänzung zur Musik, sondern die Verkörperung einer kollektiven Energie, die der Komposition eine philosophische Tiefendimension verleiht. Ihre Bewegungen synthetisieren die präzisen Linien des klassischen Balletts mit den organischen, oft unvorhersehbaren Impulsen des Modern Dance zu einer ganz eigenständigen Bewegungssprache. Und ja, eine solche Leistung von zehn hochmotivierten Laientänzerinnen ist das Ergebnis harter künstlerischer Arbeit und noch mehr gelebter Leidenschaft, welche Melanie Drüke in ihrem seit 20 Jahren engagiert betriebenen Studio bei den Tänzerinnen weckt.
Die feinsinnige Musik des Ensembles fordert zum Eintauchen und konzentrierten Zuhören heraus, wie sie um ein imaginäres Zentrum kreist, aber dabei im Detail extrem durchdacht ist. Oberflächlich mag der Tonfluss gleichförmig wirken, doch darunter offenbaren sich umso mehr Tiefenschichten. Klug eingesetzte Harmoniewechsel erzeugen in ausgesuchten Momenten starke Gefühlswirkungen. Solche Wendungen erzeugen dynamische Spannung, die den Hörer aus der Komfortzone immer wieder herausführen. In einem späteren der zwölf Sätze schiebt sich ein perkussiver, pochender Klavierton zwischen die fließenden Duduk-Klänge – konfrontativ, aber irgendwie auch sehr versöhnlich. Der feinsinnige Klangteppich, den die Streichinstrumente – Felix Kriewald (Violine), Patricia Gildekötter (Violine), Caroline Bernhard (Viola) und Gereon Schmelter (Violoncello) – gewebt haben, tut sein übriges, um lebendig pulsierende Klängen auszubreiten. Und wenn sich fernöstliche Pentatonik mit westlicher Kompositionstechnik mischt, wirkt das nicht plakativ oder aufgesetzt, sondern wie eine globale Gesprächseinladung.
Neue Perspektiven durch kulturelle Vielfalt und Audience Development
„Voyagers“ hatte schon im Vorfeld eine hohe Anziehungskraft auf andere Personenkreise ausgeübt, als das sonst anwesende Bildungsbürgertum bei den – für eine vergleichsweise kleine Ruhrgebietsstadt durchaus beachtliche – Konzertleben. So wirkte das Altersspektrum deutlich nach unten erweitert und auch die kulturelle Durchmischung stärker als sonst. Und ja, genau darum ging es den Veranstaltenden, die dieses Projekt als kreatives Audience Developement und gesellschaftliches Anliegen begriffen haben wollen, um damit Menschen für alternative Konzepte jenseits des konventionellen „Museumsbetriebes“ im Konzertleben, wie André Buttler es nennt, sensibilisieren möchte. „Voyagers” wirkte in dieser Hinsicht als Einladung, die Welt mit anderen Augen neu zu sehen und auch neu zu hören, wie es auch Marcel Proust philosophisch formuliert, der in den Erläuterungen zum geistigen Hintergrund dieses Projekts im Programmheft zitiert wurde. Dass dies von den vielen Zuhörenden intuitiv erfasst wurde, zeigte der ehrliche, enthusiastische Applaus am Ende dieser „Reise“.
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André Buttler’s Voyagers: Music, dance and light united in Marl
“Voyagers,” the latest work by composer André Buttler, premiered at Theater Marl, blending music, dance, and light into a 75-minute performance that sparked the audience’s imagination.
Led by Melanie Drüke, ten dancers from Studio Tanz Kreativ embodied the composition with dynamic and stylized movements. Their choreography resembled a living social sculpture, amplifying the energy and depth of the music. At its core was the duduk, played by André Meisner. This Armenian wind instrument framed the musical and visual elements with its ancient tones.
A chamber ensemble with string instruments, along with delicate piano and percussion, enriched the performance. The composition seamlessly fused Eastern and Western musical styles, creating an atmosphere that bridged tradition and modernity.
“Voyagers” attracted a notably diverse audience, drawn to its visionary blend of art and philosophy. The project served as an invitation to see the world through fresh eyes—a journey celebrated by enthusiastic applause.