„Walküre“: Trostlose Einsamkeit!
Von Barbara Röder.
Ein Sturm entlädt sich. Ein mächtiger Baum, die Weltesche, ist in die gläserne Rückwand der Villa gestürzt. Er hat die Glasscheibe der darunter liegenden, schäbigen Hausmeisterwohnung von Hunding und Sieglinde zerstört. Das erste Bild zeigt rückhaltlos beklemmend, welch’ große Not hier herrscht. Familienfotos sind an die Wand gepinnt, darüber hängt ein Stromkasten und der spärlich Wärme spendende Ölradiator glüht am Treppenaufgang. Er führt hin zu Sieglindes schmuddeliger Bettstatt.
Dirigent Pietari Inkinen erfasst musikalisch instinktiv diese stürmische, alles zerberstende Sturmnacht, in welcher Siegmund gehetzt in den dunklen Raum stürzt. Mit den hoch konzentrierten Musikern des Bayreuther Festspielorchesters entfaltet er ein über alle Strenge schlagendes, kammermusikalisch ziseliertes Klanggewitter. Es scheint, als würden die inneren Blitze der Not, Aufschreie der Seele Sieglindes, die sich gegen ihr Schicksal wehrt, in Luft und Raum hängen. Wotans Gattin Fricka hat wieder einmal Wotans Fehltritt gut kaschiert und gemanagt. Einen Tag zuvor im „Rheingold“ wurde das Problem mit den Riesen, Fafner und Fasolt aus der Welt geschafft. In der „Walküre“ treten neue Missetaten des Wotan-Clans zutage. Sieglinde und Siegmund, der verstoßen wurde, sind die Kinder des „Göttergatten“ mit einer Menschenfrau. Wotan hat sich an Sieglinde vergangen. Später werden wir dessen Brutalität gewahr, wenn er Sieglinde im Schlaf belästigend liebkost. Fricka hat auf Ehre und Ruf achtend, Hunding Sieglinde zum Mann erwählt. So muss diese, ebenso verstoßen wie ihr Zwillingsbruder Siegmund, hochschwanger in erbärmlicher Einsamkeit darben. Elisabeth Teige, mit beweglich anrührendem Sopran, zeigt unbeirrt diese verzweifelnde Frau. Wenn Siegmund erscheint, weiß sie, er ist ihre Rettung. Siegmund wird ihr freundschaftlich besorgt, wahrhaftig liebend zur Seite stehen. Denn beide hatten eine gemeinsame, sehr traurige Kindheit, die sie zusammenschweißt. Klaus Florian Vogt, mit warmer Couleur und sinnlich delikater Grandezza singend, entfaltet einen Siegmund- Charakter von einzigartiger edlen Schönheit.
Wie schon in den Jahren davor, wir erinnern uns an die in Coronazeit gefeierte phänomenale Hermann Nitsch Malaktion “Walküre“ von 2021, ist Vogt ein Siegmund von Weltformat. Mit „metallischer farbiger Flughöhenbrillanz kreiert Vogt Traum-verloren ‚Winterstürme wichen dem Wonnemond‘. Eine Sternstunde auf dem Hügel! Hundig, Frickas Laufbursche und Geselle wird von Georg Zeppenfeld mit begnadeter ausmodellierter Baritonbravour gesungen.
Als Hausmeister macht er sich erst einmal am Stromkasten zu schaffen. Später, Sieglinde ist mit Siegmund geflohen, sitzt Hunding geduckt auf dem Familiensofa, ein Stockwerk höher im Atrium. Wir platzen mit all unseren Sinnen in eine Trauerfeier. Ein logischer, jetzt zeitiger Regieeinfall. Freia, vor Kummer über die Entführung durch die Mafiosi traumatisiert, ist verstorben. Vielleicht ist es auch so, dass sie sich in den von Fafner erschlagenen Fasolt verliebt hat? Ihr Stockholmsyndrom, gepaart mit einer tiefen Trauer könnte zum Herztod geführt haben. Alles ist möglich in diesem skurril makabren Bayreuther „Ring“. Brünnhilde im stahlroten Kleid, schwarzer Leder-Fransenjacke und schwarzem Schlapphut schleudert Wotan genüsslich ihren Willkommensgruß „Hojotoho“ entgegen. Dies ist recht pietätlos und frech. Zumal sie auf der Trauerfeier ihrer Tante Freia ist.
Diese Brünnhilde, Catherine Foster gibt sie mit mächtiger Schlagkraft und großzügiger Höhensicherheit, strotzt vor Selbstbewusstsein. Das zeigt sie überaktiv. Den Vater liebt sie, bleibt aber immer ein wenig auf Abstand. Soll sie Wotan vertrauen, ihm das glauben, was er sagt? Ist das, was er tut, so ehrenhaft? Wotan schwächelt deutlich. Seinen sich anbahnenden Macht- und Kontrollverlust nimmt Brünnhilde wie eine Spürhündin wahr. Wieder besticht Tomasz Konieczny als strauchelnder Wotan.
Der dritte Aufzug spielt mit herrlich von Schönheits-OPs verbandagierten Walküren auf einer Beautyfarm namens Walhalla. Hierhin sind die gebärende Sieglinde und Brünnhilde geflüchtet. Die “Walküre“ stattet Andy Besuch allesamt als Luxusgeschöpfe im roten Prada-Design und Chanel-Lock aus. Wotan hat zuvor seinen Sohn Siegmund mit der Pistole niedergestreckt. Frickas Mahnung, ein sich liebendes Zwillingspärchen nicht zu dulden, gehorcht er, denn auch er will mit dieser Hyäne als Frau keinen Ärger. Das Herzstück der “Walküre“, der Gesang der Lebenskampf bereiten Walküren gerät zum brennenden, klanglich furiosen Fest. Diese Walküren-Kampfweiber mit ihren herrlichen Kehlen müssen allesamt genannt sein: Kelly God (Gerhilde), Brit-Tone Müllertz (Ortlinde), Claire Barnett-Jones (Waltraute), Christa Mayer (Schwertleite), Daniela Köhler (Helmwige), Stephanie Houtzeel (Siegrune), Marie Henriette Reinhold (Grimgerde), Simone Schröder (Rossweisse). Zu Recht gab es jubelnden Applaus und freudige Zustimmung am Ende dieser berührend rasanten Bayreuther Schwarz-“Walküre“.
Eine kleine „Pyramiden“-Fotoshow des Bayreuther „Ring“ 2023
Ein immer wieder auftauchender Fetisch dieses “Ring“ ist nicht nur die Baseballkappe von Hagen, die auch mal auf dem Kopf von Siegfried landet oder herumgeschleudert wird – Achtung Symbolkraft! – sondern auch eine leuchtende Pyramide in einem Glaskasten.
Mag dies „Walhall“ der utopisch mythische Ort sein? Dort schlummert alle Hoffnung, die Erneuerung und Erlösung vor der zerstörerischen Menschenwelt vor der Familie, die das Unheil in den Genen trägt und dieses weitergibt? Wir vermuten es. Denn Valentin Schwarz geheimnisst diese Pyramide in alle Teile des „Ring“. Sie leuchtet aus dem Regal im Design Wohnraum hervor. Und Wotan zeigt sie stolz der Familie. In der “Walküre“ trägt Sieglinde sie als erhellenden Schatz den dunklen Treppenaufgang herunter.
Brünnhilde wird von Wotan, der neben seiner Luxusvilla diese Pyramiden-Ruhestätte errichten hat lassen, zum ewigen Schlaf verbannt. In der “Götterdämmerung“ taucht der gläserne „Hoffnungsträger“ wieder auf: Im verrotteten Swimmingpool, in welchem Siegfried sein Ende erleidet. Auch Grane, Brünnhildes Pferd und Lebensbegleiter, sehen wir in allen Teilen des Gesamtkunstwerkes: zuerst als Schleichtier-Pferdchen im “Rheingold“-Kinderzimmer. Danach taucht Grane (Igor Schwab) Brünnhilde beschützend als stumme männliche Rolle mit kleinem Pferdeschwanz in allen Parts des „Ring“ auf. Er altert mit jedem Teil sichtlich. In der “Götterdämmerung“ wird er von Schergen Hagens getötet und sein Kopf endet in einer Plastiktüte. Das erinnert stark an eine Filmsequenz in “Der Pate“, wenn ein Pferdekopf als mafiöse Warnung in einem Ehebett landet.
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