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Das Totenhaus ist höchst lebendig

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Fidel geht es in Frank Castorfs Münchner Neuinszenierung von Leoš Janáčeks Oper Aus einem Totenhaus zu. Den Bogen von Dostojewskij zum Archipel Gulag zu schlagen gelingt dem Regisseur und seinem Bühnenbildner Aleksandar Denić mit viel Härte und nicht wenig Humor.
Von Stephan Reimertz.

Die DDR bezeichnete sich gern als das bessere Deutschland. Auf fünf Gebieten zumindest kann man dem untergegangenen Staat diese Palme nicht ohne weiteres entreißen: Geschlechterverhältnis, Kinderbetreuung, Malerei, Schauspielausbildung, Opernregie. Lag die höhere Qualität der DDR-Malerei vor allem an der profunden handwerklichen Ausbildung, der Gegenständlichkeit und der Orientierung an der Klassischen Moderne, so konnte die ruhmreiche Opernregie, die mit Namen wie Walter Felsenstein und Joachim Herz verbunden ist, von der marxistischen Dialektik ebenso profitieren wie von dem im gesamten Ostblock verbreiteten Klassizismus und der bis zuletzt wirksamen Schauspielerlehre von Konstantin Stanislawskij. Frank Castorf ist einer der letzten Repräsentanten dieser Tradition. Soeben zeigte er an der Bayerischen Staatsoper in München angesichts der Oper Aus einem Totenhaus von Leoš Janáček, wie die Kunst eines erfahrenen Sprechtheaterregisseurs auch auf die Oper angewandt werden kann. Der ironisch-dialektische Witz und die Grandezza, mit der Castorf und Denić die Gefangenenlagerparabel durchziehen, überzeugt musikdramatisch und rüttelt politisch auf.

Die Oper der Angst

Wenn sich der Komponist Leoš Janáček entscheidet, Ende der Zwanziger Jahre Dostojewskijs Aufzeichnungen aus einem Totenhaus von 1862 als Oper zu gestalten, zeigt das, welche Angst die zwischen Russen und Deutschen eingeklemmten Tschechen vor der Zukunft verspürten; nicht ganz zu Unrecht, wie sich zeigen sollte. Die Oper Aus einem Totenhaus, im tschechischen Original Z mrtvého domu, schildert ein russisches Gefangenenlager des neunzehnten Jahrhunderts angesichts des entstehenden Archipel Gulag in der Sowjetunion. Allerdings konnte sich weder Dostojewskij, als er die Hölle des neunzehnten Jahrhunderts beschrieb, noch Janáček, als er das Grauen vor den zeitgenössischen Gefangenenlagern in der UdSSR in eine feinnervige Musik fasste, jene Welt vorstellen, die in der Sowjetunion und in Deutschland bald entstehen sollte.

Aus einem Totenhaus: Bo Skovhus (Šiškov), Statisten der Bayerischen Staatsoper / Fotos © Wilfried Hösl

 

Der Gulag war ursprünglicher als Auschwitz

Auschwitz auf der Opernbühne kann nicht funktionieren. Das hat auch die Aufführung von Mieczysław Weinbergs Oper Die Passagierin 2015 in Frankfurt wieder bewiesen. Frank Castorf zeigt als Opernregisseur in München die Stärke, auf jedwede Anspielung zu verzichten, die auf die Konzentrationslager der Nazis oder den späteren Archipel Gulag verweist. Das setzt der Zuschauer in seinem Kopf von selbst zusammen. Aleksandar Denićs Bühnenbild ist eine drehbare Hütte mit russischem Adler, Kinoplakaten, Hasenstall und einem Elektrozaun, der allenfalls an die DDR-Grenzbefestigungen erinnert. Geschickt wird mit einem sowjetischen Pepsi-Plakat darauf angespielt, wie amerikanisiert die Sowjetunion von Anfang an war. (So zeigt Susanne Schattenberg auf S. 346 ihrer neuen Biographie von Leonid Breschnew das Photo von einem Besuch des Generalsekretärs in der Pepsi-Cola-Fabrik in Noworossijsk im Jahre 1974; wir werden das Buch in Kürze hier im Feuilletonscout vorstellen.)

Aus eine Totenhaus: Statisterie der Bayerischen Staatsoper, Matthew Grills (Kedril / Schauspieler), Bo Skovhus (Šiškov), Callum Thorpe (Don Juan) / Fotos © Wilfried Hösl

 

Das gemütliche Konzentrationslager

Die Sänger Peter Rose, Evgeniya Sotnikova, Charles Workman und viele andere geben ihr Äußerstes, vor allem darstellerisch, um die perverse Logik einer solchen Gegenwelt fühlen zu lassen, um darzustellen, was nicht darstellbar ist. Das Bayerische Staatsorchester unter Simone Young neigt sehr zum Symphonischen, vermittelt aber eine Partitur, die ein seltsames Konglomerat von Grauen, Härte, Feinnervigkeit, der Sensibilität einer vergangenen Epoche und böhmischen Tanzrhythmen enthält. Geschickt wird eine Videokamera eingesetzt, die das Vorgehen auf der Hinterbühne zeigt, auch in Großaufnahmen der verzerrten Gesichter. Die Allgegenwart der Kinoleinwand auf der Szene nervt, und sie soll nerven. Für uns, die wir die Aufzeichnungen von Solschenizyn, Schalamow und das Grauen von Auschwitz studieren mussten, wirkt dieses Konzentrationslager zwar nachgerade gemütlich, doch es birgt das äußerste Grauen, das noch kommen sollte, unübersehbar in sich.

Aus einem Totenhaus
Aufführungen am 3., 5. und 8. Juni sowie am 30. Juli 2018.
Im Herbst am 19., 21.und 26.Oktober 2018

Bayerische Staatsoper
Max-Joseph-Platz 2
80539 München

 

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