„Die heiligsten Gliedmaßen unseres leidenden Jesu in demütigster Verehrung von ganzem Herzen besungen und dem angesehenen Herr Gustav Düben, Musikdirektor Seiner allerdurchlauchtigsten Majestät des Königs von Schweden gewidmet.“ (Dieterico Buxtehude)
Von Ingobert Waltenberger.
Diese als Zyklus von sieben Kantaten angelegte magisch schöne Komposition will in chorischen und solistischen Gesängen jeweils ein bestimmtes Glied vom Körper des Gekreuzigten verehren: Füße, Knie, Hände, Seiten, Brust, Herz und Antlitz. Wie Dirigent Pierlot resümiert, „vermitteln der Schrecken und die Verzweiflung über das Leiden Christi, aber auch der Trost durch und die Freude über sein Opfer am Kreuz ein bittersüßes Gefühl, das für die Zeit charakteristisch ist.“
Instrumentale Sonatas, gefühlvolle Arien und affektgeladene Concerti (hier vokal und instrumental gemischt) lassen den Hörer in eine völlig andere Welt abseits unseres argumentativen Rationalismus und der geschäftig actionreichen Tagesläufe eintauchen. Zwei Sopranstimmen (Maria Keohane, Hanna Bayodi-Hirt), ein (Contra)Alt (Carlos Mena), ein Tenor (Jeffrey Thompson) und ein Bass (Matthias Vieweg) singen die auf dem mittelalterlichen Gedicht „Salve mundi salutare“ (=Oratio rythmica) des Arnulf von Löwen basierenden Texte in lateinischer Sprache. Buxtehude verfasst die Texte selbst, „wobei er darauf achtete, möglichst den Vorgaben Luthers bezüglich der rechten Versenkung in die Passion Christi zu folgen, mit Demut und Einfühlung in das Leiden des Gekreuzigten.“ (Philippe Pierlot). In der Form der Concerto-Aria-Kantaten folgt eine Arie über ein strophisches Gedicht einem eröffnenden geistlichen Concerto. Die kleine Instrumentalbesetzung beschränkt sich auf zwei Violinen, fünf Gamben, einen Kontrabass, eine Theorbe und Orgel.
Symbolik und rhetorische Figuren stellen eine besondere Eigenart des Werks dar. „Der Kantatenzyklus basiert auf der heiligen Zahl sieben, welche der Oratio rythmica zugrunde liegt. Wenn der durch die Zahl drei symbolisierte Begriff des Göttlichen im Text auftaucht, wird dies von Buxtehude durch den Übergang zu einem Dreiertakt, durch die dreifache Wiederholung eines Satzes oder durch den Einsatz dreier Stimmen musikalisch versinnbildlicht. In der Herzkantate gibt es eine Doppelsymbolik zu bestaunen: die drei Stimmen legen nahe, dass der biblische Text von Christi selbst gesprochen wird, dessen Doppelnatur durch die Verwendung von hohen und tiefen Stimmen verdeutlicht wird. Hier stehen zudem die fünf besetzten Gamben für den Menschen und die fünf Gliedmaßen seines Körpers, Kopf, Arme, Beine sowie die fünf Sinne.“
Buxtehudes Kantate „Gott, hilf mir“ vervollständigt die CD. Hier werden Elemente eines Dialogs zwischen Gott, der betrübten Seele und der Gemeinschaft der Gläubigen miteinander kombiniert.
Das Ricercar Consort unter der musikalischen Leitung des belgischen Dirigenten und begeisterten Nachwuchsförderers Philippe Pierlot und die allesamt himmlisch glutvoll singenden Solisten sind Garanten für eine Einspielung, die keine Wünsche offen lässt. Die Aufnahmetechnik entspricht höchsten audiophilen Standards. Ein ideales Oster-Album für alle angestammten Freunde Alter Musik, die Abwechslung zu ihren Bach-Passionen suchen. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass die mystische Kraft der Musik, die barocke Pracht der Gesänge, die Komplexität des Kontrapunkts gemischt mit der Einfachheit der melodischen Eingebung auch musikalisch Interessierte und Neugierige aller Art begeistern könnten. Referenzstatus!
Vergleichseinspielung der „Membra Jesu Nostri“ ist die ca. 30 Jahre alte, wesentlich elegischer angelegte, etwas flacher klingende Aufnahme mit den English Baroque Soloists, dem Monteverdi Choir unter der Leitung Sir John Eliot Gardiners.
Dietrich Buxtehude
Membra Jesu Nostri
Ricercar Consort, Philippe Pierlot
Mirare (Harmonia Mundi) 2019
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