Die Heidenheimer Opernfestspiele in der schwäbischen Alb zeigen mit Wagners quirligen, kontrovers diskutierten „Tannhäuser“ was Opernerleben sein kann, sein muss:
Oper für Alle, Kultur für Alle! (Hilmar Hoffmann)
Von Barbara Röder.
Hey was ist das für ein Kerl! Aufgepasst Ladies, Tannhäuser ist der Venusgrotte entkommen. Jetzt legt er richtig los. Erst ist er abgehauen von der Burg, von seinen Sangesbrüdern, um sich zu amüsieren. Sehnsüchte ausgelebt hat er. Seine Süchte aber bleiben übrig, wenn das Publikum auf Tannhäuser trifft. Die Spielsucht, die große Langeweile und die Sucht, dass es woanders besser ist!
Die diesjährigen Heidenheimer Opernfestspiele auf der schwäbischen Alb setzen in ihrer recht plakativen Tannhäuser Inszenierung von Georg Schmiedleitner auf das Hier und Jetzt. Gespielt wird in der mittelalterlichen Stauferburg. In die Ruine des Rittersaals bugsiert Bühnenkreator Stefan Brandtmayr ein „Drive-in Motel der Lust“. Sündiges Rot ist die Devise der „Tannhäuser“-Stunde. Hier hängt er ab, der Held, oder Antiheld Wagners. Ein ödes Leben, eine öde Existenz hat er und lungert vor dem Spielautomaten herum. Aber wird nach seiner Rückkehr aus Rom eine kolossale Wandlung machen. Wenn die Wartburggesellschaft, hier als 50er-Jahre Song-Contest inszeniert, dem Sängerwettstreit lauscht, poltert Tannhäuser dazwischen. Als flegelhafter Provinz-Elvis mit weißen Cowboyboots und goldenem Adidas-Trainingsanzug hat er das Wagner Postulat von 1849 „Als Brüder sollt ihr Alle, die ihr da lebt Euch erkennen, und frei, frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen“ für sich beansprucht. (Kostüme, Cornelia Kraske) Diesen Wahlspruch formulierte Richard Wagner, der bei der Uraufführung des Werkes 1845 in Dresden noch auf der Suche nach sich selbst war, als bekennender Freigeist. Den Tannhäuser wollte er sein Leben lang verbessern. 1849 formulierte er das abgewandelte Motto der französischen Revolution als Kampfansage gegen alle Biedermeier Stickigkeit und Prüderie.
In seiner innig gesungenen Romerzählung, die James Kee neben uns in der ersten Reihe aus dem Publikum heraus präsentiert, ist er dann ein anderer geworden. Reumütig, klug. Das ist beeindruckend heutig was Kee mit profundem Tenorglanz bietet. Begnadet schön singt Birger Radde den Wolfram. Das „Lied an den Abendstern“, ein hoffnungsverlorener Abgesang tönt wahrhaftig aus dem Geiste des Liedgesangs heraus interpretiert. Ein Höhepunkt! Elisabeth ist keine zarte, unbedarft Liebende, sondern eine selbstbewusste Frau. Leah Gordon gibt diese hochdramatisch mit leichtem Übervibrato. Wenn sie furios auftrumpfend „Dich teure Halle“ die Publikumstreppe herabsteigend, hin zur Festgesellschaft auf der Bühne wandelt, sind alle gebannt. Anne Schuldt (Venus) singt mit sinnlich-dunklem Timbre eine gut situierte, um die Aufmerksamkeit Tannhäusers kämpfende Edelhostess. Beniamin Pop punktet mit einen bassoralen, gut geführten Herrmann. Aus dem exzellent harmonierenden Ensemble, Martin Mairinge (Walther von der Vogelweide), Stefan Stoll (Biterolf) Christian Sturm, (Heinrich der Schreiber), Gerrit Illenberger (Reinmar von Zweter) sticht die helle, fein intonierende Stimme von Heidi Baumgartner (Junger Hirt) hervor. Vorzüglich vorbereitet klingt der Tschechische Philharmonische Chor Brünn. Marcus Bosch dirigiert ausgeklügelt und facettenreich. Seine hochkonzentrierte Gestaltungskraft springt direkt auf die farbig und homogen spielenden Stuttgarter Philharmoniker über.
Den Erlösungsschluss verwehrt uns Schmidtleitner. Männer sind für ihn Opfer ihrer Begierde und Fantasie. Wolfram und Tannhäuser, die einst um die Gunst von Elisabeth buhlten, scheitern komplett in Sachen Liebe und in ihrer Vorstellung wie ein Geliebte zu sein hat. Wolfram erdrosselt in einer puren Übersprungshandlung Tannhäuser. Dann setzt er seinem Leben ein Ende. Es gibt keine Erlösung durch ein Weib à la Wagner. Elisabeth und Venus verlassen gemeinsam Arm in Arm zu jeglicher Sünde und zum Shoppen bereit den traurigen Tannhäuserkosmos in Richtung Sonnenuntergang.
Die Heidenheimer Opernfestspiele mit dem innovativen Team um den künstlerischen Leiter und Dirigenten Marcus Bosch verbinden Aufbruch mit Tradition. Wir hören einen musikalisch-poetisch beglückenden „Tannhäuser“, der laut Programmheft als Singspiel konzipiert ohne den mystischen Abgrund gut funktioniert. Ein Richard Wagner „Open Air“ Experiment das vollends gelungen ist.
Zwei Ausflugstipps rund um und in Heidenheim: Plätze, die man unbedingt gesehen haben muss:
1. Die mächtige Abtei Neresheim unweit von Heidenheim. Das heutige Benediktinerkloster wurde 1747 bis 1792 nach Plänen von Balthasar Neumann erbaut. Viele berühmte Pilger sind hier vorbeigekommen. Johann Wolfgang von Goethe auf seiner Italienreise und vielleicht auch Tannhäuser auf dem Weg von und nach Rom? Die Abteikirche, ein Meisterwerk der europäischen Barockbaukunst beherbergt wundersame Decken- und Kuppelfresken in denen der von Rom begeisterte Freskenmaler Martin Koller der „Ewigen Stadt“ ein künstlerisches Denkmal gesetzt hat.
2. In einem ehemaligen Jugendstilbad ist das Kunstmuseum Heidenheim untergebracht. Es verfügt über die Picasso Plakate Sammlung Christoph Czwiklitzer. Es ist die weltweit vollständigste Plakate-Kollektion des Künstlers Pablo Picasso. Ein besonderes Erlebnis ist es, abzutauchen in diese alten und dennoch aktuellen Themen über Liebe, Friede und Krieg, dargestellt auf Plakaten.
Kunstmuseum Heidenheim
Marienstraße 4
DE-89518 Heidenheim a.d.Brenz
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