Von Ingobert Waltenberger.
Es gibt Musiker, die mit ihrer Radikalität erstaunen, manchmal sogar verstören. Nikolaus Harnoncourt war lange Zeit einer dieser polarisierenden Künstler, eine andere ist die Geigerin Isabelle Faust. Bei der Aufnahme von Schuberts Oktett spielt sie auf ihrer Stradivarius „Sleeping Beauty“, ihr vibratoarmes bis –loses Spiel kultivierend. Die sachliche, gleichsam distanzierte Phrasierung sowie eine spezielle Bogentechnik können ihren Ursprung bei den Meistern der Originalklangbewegung nicht verleugnen. Nicht primär die Sinnlichkeit des Tons ist es, die des Zuhörers Aufmerksamkeit bannen soll, sondern das Freilegen der Strukturen und ihrer sehnigen Kraft, die überaus bewusste Artikulation von Binnenphrasen und Nebenthemen. Die Violine erinnert dabei bisweilen eher an eine Glasharmonika oder Flöte, so gerade und spitz setzt Frau Faust (hohe) Töne an. Dass bei vielen Interpretationen mit Instrumenten aus der Zeit der Entstehung eines Werks eher die vordergründig für Dramatik zugänglichen Sinne gereizt und befriedigt werden als die lyrisch verträumten, da bildet auch die vorliegende Aufnahme mit einer im Vergleich zu anderen Einspielungen übersteigerten bzw. überdehnten Temporegie und selten aber doch kraftmeiernden Akzenten keine Ausnahme. Der fünfte Satz des Oktetts D. 803 hingegen scheint wiederum ein kosmisches Zeitmaß zu beschwören.
War ich mit Isabelle Fausts Interpretation des Violinkonzertes von Felix Mendelssohn-Bartholdy wegen des „dünnen Tons“ so ganz und gar nicht glücklich, so hat die Neuaufnahme des Schubertschen Oktetts ganz gewiss seine guten Seiten. Insgesamt überzeugt Isabelle Faust, die wahrscheinlich so etwas wie die künstlerische Gesamtleitung innehatte, und ihre überwiegend exzellenten „Reisebegleiter“ (Anna Katharina Schreiber Violine; Danusha WaskiewiczViola, Kristin von der Goltz Cello, James Munro Kontrabass, Lorenzo Coppola Klarinetten, Teunis van der Zwart Horn und Javier Zafra Fagott) letztlich durch die Gewissenhaftigkeit der Balance zwischen Bläsern und Streichern und einer trotz aller spaßiger Ironie gleichsam am Kipppunkt ins Geheimnisvolle/Ungeheure befindlichen Stimmung und Spannung des eigentlich als Divertimento angelegten Werks. Auch treffen die Musiker sehr gut die Vielfalt an „Einfällen, Gefühlslagen, Klangeindrücken und Feinfühligkeiten in der Instrumentierung.“ Die breit aufgefächerten Stimmungen reichen von einer ausgelassenen Heurigenpartie bis zu gespenstischem Gewitterdonner im Freischütz.
Isabelle Faust ist sich der „expressiven Unebenheiten“ der historischen Instrumente bewusst, die sie ganz gezielt in den Dienst eines „Parlando-Stils“ – Poesie und Prosa gleichermaßen verkörpernd – stellt. Ganz sicher wird in diesem Album kein Schubertklischee à la „Dreimäderlhaus“ strapaziert. Vielmehr kann die Komposition und ihre Interpretation Aufschluss über die Entwicklung des Symphonikers Schubert geben.
Das Oktett in sechs Sätzen mit einer Spieldauer von gut einer Stunde kann als einer der gewichtigsten Beiträge des damals 27-jährigen Schubert zur Kammermusik des 19. Jahrhunderts gelten. Im Gegensatz zum Beethovenschen Septett fügte Schubert ohne Einstimmung des Auftraggebers Ferdinand Graf Troyer eine Violine hinzu, sodass er über ein komplettes Streichquartett samt Kontrabass zu den drei Bläserstimmen verfügte.
Die CD bietet nicht zuletzt ihrer anregenden Infragestellung aller Hörgewohnheiten aber auch des verspielten Miteinander wegen eine erfrischende Begegnung mit einem altbekannten Meisterwerk. Sie schließt mit zwei aus den Fünf Menuetten mit sechs Trios D. 89 von Franz Schubert n einer Bearbeitung für Oktett durch Oscar Strasnoy.
Isabelle Faust
Franz Schubert: Oktett
harmonia mundi 2018
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Schöner, aufs eigene Hören Lust machender Text. Gut, wenn ein Rezensent gleichsam Hör-Empfehlungen gibt, die Wahrnehmung lenkend schärft. Und gut auch, dass vor lauter Reverenz gegenüber den Aufführenden auch hier der geniale Urheber nie aus dem Blick gerät! Merci beaucoup!
PS: Das neue Werbegedöns auf der Feuilletonscout-Seite, die Unruhe beim Blättern und Lesen – wehe, man kommt mit dem kräftigen Finger auf einen Button der Inserierenden – nervt erheblich. Muss das denn sein?
Lieber Herr Radtke, vielen Dank für Ihre netten Worte bezüglich des Beitrags. So soll es sein! Bitte sehen Sie dem Feuilletonscout den Versuch mit Werbung nach. Sollte sich das Modell nach einer gewissen Zeit nicht rentieren, wird es auch wieder abgeschafft. In diesem Fall würde der Bruch mit der Ästhetik und Usability im Widerspruch zum Ertrag und Lesevergnügen stehen.