Ein Kommentar von Stephan Reimertz.
Jonny hat es in München schwer. Nicht nur, weil ihm das h fehlt, sondern auch, weil sein Antlitz einmal schwarz ist und einmal weiß und weil es so oder so stört. Dabei ist der Dichter-Komponist, der sich die Figur des Jonny ausgedacht hat, ein ganz Großer gewesen. Wenn ich hier aus meiner begeisterten Besprechung der Inszenierung von Jonny spielt auf letztes Jahr am Gärtnerplatz zitieren darf: „Das sind wir: Unsere Tanzsucht, unsere Künstlermetaphysik, unser Glaube an die Kraft des Individuums, unsere Neigung, fernste Kulturen miteinander vereinen zu wollen, vor allem unser seltsamer Gegensatz von forciertem Modernismus und tiefinneren konservativen Bedürfnissen – das sind wir Deutschen!
Nicht anders als in seiner epochalen Oper Karl V. ist dem Denker-Komponisten Ernst Křenek auch hier eine frappante Coincidentia oppositorum gelungen, in der er den paradoxen Charakter des Reiches auf den Punkt bringt. So sind seine beiden Hauptwerke Jonny und Karl durchaus aufeinander bezogen; in beiden Opern ist der Musikant sein eigener Librettist und legt einen Operntext vor, der in seiner beziehungsreichen Prägnanz weit über dem Gewohnten steht.“ Der Name Ernst Křenek kann für das erste Drittel des Zwanzigsten Jahrhunderts neben jenen von Richard Strauss, Giacomo Puccini und Franz Lehár genannt werden als einem der Tonfürsten des Theaters. Mit Karl V. hat er uns unsere Reichsoper geschenkt; das faszinierende geschichtlich und philosophisch ebenso wie musikalisch bedeutende Werk konnten wir in München vor drei Jahren in der Staatsoper in einer spektakulären, maßstabsetzenden Inszenierung von Juan Carlos Olivares Padilla aus Barcelona und seiner Truppe La Fura dels Baus sehen.
Und letztes Jahr inszenierte Peter Lund am Gärtnerplatztheater Křeneks, wenn man so will: Kleine Reichsoper Jonny spielt auf. Das originelle Stück ist als Jazzoper deklariert, indes weit von dem entfernt, was man in den USA darunter verstehen würde. An der MET fiel Jonny 1929 durch. Die Uraufführung zwei Jahre zuvor in Prag aber war ein Triumph gewesen. Der Siegeszug der schmissigen erotischen Künstlerkomödie begann. Nur München tat sich schwer damit. Titelheld Jonny ist ein Afroamerikaner aus Alabama, USA. Das gefiel den bereits 1929 in München stark vertretenen Nazis nicht. Die Aufführungen am Gärtnerplatztheater wurden immer wieder gestört, bis die Oper 1933 nach der „Machtübernahme“ als „Entartete Musik“ verboten wurde. Fast neunzig Jahre später versuchte es das Gärtnerplatztheater noch einmal mit Jonny. Aber, wie sagt Ernst Jünger so treffend? „Die Plakate wechseln, die Mauer dahinter bleibt immer dieselbe.“ Wieder störte Jonnys schwarzes Antlitz. Einstens sprachen sie von „Verniggerung“, heute von „Blackfacing“.
Roman Staudt, Pressesprecher des Staatstheaters am Gärtnerplatz, berichtet mir auf Nachfrage: „Im Frühjahr 2022 wurden alle geplanten Vorstellungen von Jonny spielt auf gegeben. Allerdings wurde die Inszenierung ab der dritten Vorstellung aufgrund des extremen Drucks von außen geändert, die Darstellung des Blackfacings wurde nicht mehr gezeigt. Die im Herbst getroffene Entscheidung, die Produktion abzusetzen, hat Josef E. Köpplinger bei der Pressekonferenz zur Spielzeit 2023/2024 im Sinne der Kunstfreiheit als Fehler eingeräumt. Allerdings gaben der Schutz der Protagonisten und auch Theatermitarbeiter:innen, die Angst vor den extremen Reaktionen hatten, den Ausschlag für die Entscheidung.“ –extremer Druck von außen…Schutz der Protagonisten…Angst vor den extremen Reaktionen… Ist das das Land, das wir wollten?
Die neue Bewegung bedroht Kultur, Freiheit und Demokratie und hat schon erhebliche Zerstörung angerichtet. Und schon einmal wurde eine deutsche Republik mit ihren eigenen Mitteln von Fanatikern und deren Opportunisten ausgehebelt. Angesichts der bevorstehenden Landtagswahl in Bayern sollte die Politik über Maßnahmen zur Sicherung der Kunst- und Meinungsfreiheit nachdenken. Wer dieser Tage das neue Programm des Gärtnerplatztheaters zugeschickt bekommen hat, sucht Jonny darin vergeblich. Auch die Weißwaschung seines Antlitzes nützte Jonny in München nichts. Auf den dritten Versuch einer Aufführung am Gärtnerplatz kann er warten, bis er schwarz wird.
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Good-bye, Jonny
Jonny has a hard time in Munich. Not only because he lacks the h, but also because his face is black at one time and white at another, and because it is annoying either way. Yet the poet-composer who came up with the character of Jonny was quite a great one. If I may quote here from my enthusiastic review of the production of Jonny spielt auf last year at Gärtnerplatz: „That’s us: Our dance addiction, our artist metaphysics, our belief in the power of the individual, our tendency to want to unite the most distant cultures, above all our strange contrast of forced modernism and deep-rooted conservative needs – that’s us Germans!
Not unlike his epochal opera Charles V, the thinker-composer Ernst Křenek has also succeeded here in creating a striking Coincidentia oppositorum, in which he gets to the heart of the paradoxical character of the empire. Thus his two main works, Jonny and Karl, are definitely related to each other; in both operas the musician is his own librettist and presents an operatic text that is far above the ordinary in its relational conciseness.“ The name Ernst Křenek can be mentioned for the first third of the twentieth century alongside those of Richard Strauss, Giacomo Puccini and Franz Lehár as one of the sound princes of the theatre. With Charles V, he gave us our imperial opera; we were able to see this fascinating work, which is as important historically and philosophically as it is musically, in Munich three years ago at the Staatsoper in a spectacular, standard-setting production by Juan Carlos Olivares Padilla from Barcelona and his troupe La Fura dels Baus.
And last year Peter Lund staged Křenek’s, if you will: Little Imperial Opera Jonny spielt auf at the Gärtnerplatztheater. The original piece is declared a jazz opera, but it is far from what would be understood as such in the USA. Jonny failed at the MET in 1929. The premiere two years earlier in Prague, however, had been a triumph. The triumphant advance of the snappy, erotic comedy of artists began. Only Munich had a hard time with it. The title character, Jonny, is an Afro-American from Alabama, USA. This did not please the Nazis, who were already strongly represented in Munich in 1929. Performances at the Gärtnerplatztheater were repeatedly disrupted until the opera was banned as „degenerate music“ in 1933 after the „takeover“. Almost ninety years later, the Gärtnerplatztheater tried again with Jonny. But, as Ernst Jünger so aptly put it? „The posters change, the wall behind them always remains the same.“ Again, Jonny’s black face interfered. Once they spoke of „verniggering“, today of „blackfacing“.
Roman Staudt, press spokesman of the Staatstheater am Gärtnerplatz, tells me when asked: „In spring 2022, all planned performances of Jonny spielt auf were given. However, the production was changed from the third performance onwards due to extreme pressure from outside, and the portrayal of blackface was no longer shown. At the press conference for the 2023/2024 season, Josef E. Köpplinger acknowledged the decision made in autumn to cancel the production as a mistake in terms of artistic freedom. However, the protection of the protagonists and also theatre staff:inside, who were afraid of the extreme reactions, tipped the scales in favour of the decision.“ -extreme pressure from outside…protection of the protagonists…fear of the extreme reactions… Is this the country we wanted?
The new movement threatens culture, freedom and democracy and has already caused considerable destruction. And already once a German republic was undermined by fanatics and their opportunists with their own means. In view of the upcoming state elections in Bavaria, politicians should think about measures to safeguard the freedom of art and opinion. Anyone who has been sent the new programme of the Gärtnerplatztheater these days will not find Jonny in it. Even the whitewashing of his face did not help Jonny in Munich. He can wait for the third attempt at a performance at Gärtnerplatz until he turns black.
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