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Kalt: Der neue Krimi von Jo Nesbø „Ihr Königreich“

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LiteraturRezension von Barbara Hoppe.

Am Ende zählen nur zwei Dinge: Die Familie steht über allem. Und: Ein Opgard handelt nicht. Die Opgards – das sind in erster Linie Carl und Roy. Ihre Eltern verloren sie 15 Jahre zuvor, als beide gerade sechzehn und siebzehn Jahre alt waren. In der engen Geitesvingen-Kurve des Grundstücks rutschte der Cadillac mit den Eltern in den Abgrund. Die Leichen konnten geborgen werden. Das Auto nicht. Ein Glück für die Brüder, denn nicht alles ist so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Das musste auch der ermittelnde Polizist Simon Olsen erfahren, der kurze Zeit darauf verschwand. Kurt, sein Sohn und nun ebenfalls Polizist, bleibt misstrauisch und fängt erneut an, in der Vergangenheit zu graben. Umstände, die Roy, den Älteren, alarmieren.

Denn in der Zeit, als Carl, der blonde Sonnyboy, zum Studieren in den USA war, blieb zu Hause alles ruhig. Roy bewohnt den elterlichen Hof auf dem kargen Berg über dem kleinen Ort Os und betreibt seine Tankstelle im Ort, wo er gelegentlich auch übernachtet.

Jo Nesboe Ihr Königreich
Cover: Ullstein Verlag

Doch schließlich kehrt Carl zurück. Und mit ihm die dunklen Schatten der Vergangenheit. Im Gepäck hat er ein Spekulationsfiasko, seine Frau Shannon aus Barbados und hochfliegende Pläne für ein Spa Hotel auf dem Grundstück der Eltern, das dem Ort den Aufschwung bringen soll. Für den Baugrund aus „blank gescheuerten Granit“, umgeben von heidebestandenen Hügeln, hat Shannon eine futuristische Wohlfühloase entworfen. Die finanziell ambitionierten Pläne, das ungelöste Rätsel um Simon Olsen, die hartnäckigen Gerüchte um Missbrauch in der Familie Opgard, Liebeleien und Schlägereien versetzen die Dorfbevölkerung in Unruhe. Wer ahnt etwas über den Tod der Opgard-Eltern? Wer zweifelt zu stark an dem Hotelprojekt? Wer begehrt wen? Wer will wie viel Geld? Und was macht der dänische Geldeintreiber im Ort?

Jo Nesbø entwickelt sein gewaltiges Bruderdrama, in dem er die Leserschaft in die Ich-Perspektive Roys hineinzieht. Sinnigerweise gibt er Carl und Roy in ihren zweiten Namen – Abe und Calvin – einen Teil ihrer Rolle, die sie innerhalb der Familie einnehmen. Abel, der geliebte und charismatische Sohn, und Calvin, der Asketische, Arbeitssame, dessen Lebensaufgabe zu sein scheint, den Jüngeren zu beschützen. So dauert es nicht lange und auch der Leser sieht ungerührt in einem weiteren Mord die Lösung von Problemen. Polizisten bleiben Nebendarsteller. Kalt sind in diesem Krimi nicht nur die Temperaturen. Da sind Fluchten ins lieblichere Kristiansand im Sørland, im Süden des Landes, nur eine schwache Ablenkung. So karg wie die Landschaft rund um Os, so wenig ausgeprägt ist auch das Gewissen der Brüder. In ausführlichen Rückblenden erfährt man, wie es zu dem kam, was ist. Zwei Brüder gegen den Rest der Welt. Und am Ende zählt doch nur eines: Die Familie steht über allem.

Jo Nesbø
Ihr Königreich
Ullstein Verlag, Berlin 2020
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Der Beitrag erschien ebenfalls am 31. Oktober 2020 in „Das Wochenende“ der FAZ Rhein-Main, Frankfurter Neuen Presse und Frankfurter Rundschau.

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