Von Stefan Pieper.
Das Licht ist gedimmt. Auf der Bühne des Freien Theaters Pumpenhaus herrscht Unruhe, aber keine, die den Raum sprengt – eine, die ihn auf geheimnisvolle Weise verdichtet. Die Musikerinnen und Musiker des Ensembles Mosaik bewegen sich, fast unmerklich, zwischen ihren Instrumenten. Kameraobjektive fixieren sie, übertragen ihre Präsenz in Echtzeit auf eine Leinwand, wo die Grenzen zwischen Akustik und Optik verwischen. Was ist hier Musik? Was ist Bild? Was ist Kontrolle, was Improvisation? Alles fließt ineinander, ein pulsierendes Gebilde aus Klang, Raum und Körper. Das Stück „Backslash“ entfaltet sich – mehrschichtig, unvorhersehbar. Das Publikum ist still, fast hypnotisiert. Die Augen wandern, die Ohren lauschen, die Sinne geraten in Bewegung. Hier, beim Klangzeit-Festival Münster, passiert mehr als ein Konzert. Hier verschwinden die Mauern zwischen individueller Kreativität und kollektiver Interaktion. Kein Anfang, kein Ende – nur der ständige Austausch.
Klanginstallationen und multisensorische Erlebnisse
„WE MYSELF & I“ – unter diesem Motto versammelte das runderneuerte Klangzeit-Festival nicht nur eine beachtliche Zahl an Künstlern und Ensembles, sondern stellte sich selbst als Beispiel dafür dar, wie individuelle Identität und gemeinschaftliches Schaffen sich gegenseitig befruchten können. Seit 25 Jahren wird das Festival für Gegenwartsmusik im Umfeld der Musikhochschule gefeiert, gegründet von Menschen, die an die Kraft der Neuen Musik und die Stärke guter Kooperationen in Münsters Kulturszene glauben. Die Gesellschaft für Neue Musik sorgt seitdem für die nötige Kontinuität – und auch dieses Jahr zeigte das Festival, was passieren kann, wenn alle an einem Strang ziehen.
Hauptspielorte waren diesmal das Theater im Pumpenhaus und die Hawerkamp-Halle, ein idealer Ort für Klanginstallationen. Dort stellte die Klangkünstlerin Heide Bertram ein interaktives Klangbad auf die Beine: Lautsprecher, im Kreis angeordnet, ließen Stimmen in unterschiedlichen Konstellationen erklingen, je nachdem, wo man gerade stand. Dazu gesellte sich eine Nebelinstallation, die kleine, chaotische Klangwolken mit Synthesizern erzeugte – ein Erlebnis für die Sinne, das das Publikum auf subtile Weise zur Bewusstseinserweiterung einlud. Und wie sich zeigte, wurde diese Einladung von vielen dankbar angenommen – die Spielstätten waren gut besucht.
Keine Grenzen: Zwischen Komposition und Improvisation
Grenzen zwischen Komponiertem und Improvisiertem? Im Klangzeit-Festival spielen solche Unterscheidungen kaum eine Rolle. Besonders eindrucksvoll war das Posaunenprojekt „Bonecrusher“ unter der Leitung von Matthias Muche. Gemeinsam mit Anke Lucks, Moritz Anthes, Adrian Prost und weiteren großartigen Posaunistinnen und Posaunisten schuf Muche in der rauen Atmosphäre der Hawerkamp-Halle ein archaisches Klangmonster, das durch die Knochenmühle gedreht wurde.
Auch Erhard Hirt, seit Jahrzehnten eine der zuverlässigsten Größen in Münsters Musikszene, setzte ein klangliches Ausrufezeichen. Mit seinem Trio „Extended Guitars“, verstärkt durch die New Yorker Gitarristen Nick Didkovsky und Hans Tammen, zog er das Publikum im Pumpenhaus in eine labyrinthische Klangwelt, die an Komplexität kaum zu überbieten war. Das war nichts für schwache Nerven, aber ein Genuss für alle, die den Mut hatten, sich auf dieses Experiment einzulassen.
Städtische Kultur trifft freie Szene: Ein kreatives Miteinander
Schon seit den Anfängen des Festivals ist das Zusammenspiel zwischen der städtischen Kulturlandschaft und der freien Szene ein zentrales Element von Klangzeit – und auch in der aktuellen Ausgabe war dies zu spüren. Besonders herausragend: das Ensemble Compagnia, hervorgegangen aus dem städtischen Sinfonieorchester. Mit einem faszinierenden Auftragswerk präsentierte das Streichquartett im Theater Münster eine Darbietung, die zeigte, wie erfrischend und aufregend Neue Musik auch in kleiner Besetzung sein kann. Ein Zuschauer brachte es auf den Punkt: „Es ist großartig, dass wir im Theater Münster nicht nur das große Orchester hören, sondern auch engagierte Quartette, die diese Musik zum Leben erwecken.“
Es zeigt sich immer wieder, wie viel Potenzial in der Stadt vorhanden ist – man muss es nur bündeln. Eine, die das wie keine andere kann, ist Anja Kreysing. Sie ist eine der versiertesten Spezialistinnen für Live-Improvisationen zu Stummfilmklassikern und zaubert immer wieder überraschende Ergebnisse hervor. Ihr Workshop beim Klangzeit war ein Highlight für viele junge Teilnehmende, die lernten, zu einem Experimentalfilm aus den 40er Jahren zu improvisieren. Und es gab noch viele weitere Workshops, die auf spannende Weise aufzeigten, was alles möglich ist – und Lust auf mehr weckten.
Die Zukunft des Klangzeit-Festivals: Visionen und Herausforderungen
Das Klangzeit-Festival widmet sich nicht nur neuen Klängen, sondern bringt auch Pionierwerke der musikalischen Moderne auf die Bühne. Ein Paradebeispiel dafür: Mauricio Kagels „Staatstheater“. Diese Aufführung, choreografisch in Szene gesetzt und gemeinsam mit dem Ensemble Concord realisiert, zeigte, dass auch die Werke der Neuen Musik voller Humor und überraschender Momente stecken können. Solche Inszenierungen sind es, die dem Publikum zeigen, dass Neue Musik nicht sperrig oder abgehoben sein muss – sie bietet immer wieder die Chance, alte Vorurteile über Bord zu werfen.
Die Zukunft des Festivals bleibt spannend – besonders im Hinblick auf die Finanzierung. Hanna Fink, eine der treibenden Kräfte hinter Klangzeit, erklärte: „Wir sind stark auf Förderungen angewiesen, da die Einnahmen aus dem Publikum nicht ausreichen. Deshalb sind Kooperationen unverzichtbar. In der Zukunft wollen wir noch stärker auf lokale Partner setzen, die uns unterstützen. Wir hoffen sehr, dass es mit der Nummer 13 weitergeht.“
Doch wer sollte daran zweifeln? In Münster gibt es genug engagierte Menschen, die genau wissen, was sie tun und wohin sie wollen. Die vielfältige und erfrischend diverse Kulturszene der Stadt hat genug Potenzial, und das Klangzeit-Festival ist ein wichtiger Teil davon. Es ist mehr als ein Musikfestival – es ist ein kreatives Spielfeld, das immer wieder neue Möglichkeiten eröffnet.
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Klangzeit-Festival Münster: Music that breaks boundaries
The dimmed lights in the Pumpenhaus Theater set the stage for a mesmerizing atmosphere. Musicians from Ensemble Mosaik move almost imperceptibly among their instruments, captured by cameras that project their presence onto a screen, blurring the lines between sound and image. Music, visuals, control, and improvisation merge into a pulsating entity of sound, space, and movement. The piece “Backslash” unfolds with layered unpredictability, immersing the audience in a shared experience beyond a typical concert.
This year’s Klangzeit Festival, under the theme “WE MYSELF & I,” brings together artists to explore the synergy between individual identity and collective creation. Celebrating its 25th anniversary, the festival highlights how new music and collaborative energy can reshape Münster’s cultural scene.
Key venues include Pumpenhaus and Hawerkamp-Halle, where installations invite the audience into immersive experiences. At Hawerkamp, Heide Bertram’s sound bath encircles visitors with voices, complemented by a mist that enhances the sensory exploration. This festival offers more than performances—it creates spaces where boundaries between composed and improvised, individual and collective, fade. A crucial element of Münster’s vibrant cultural landscape, the Klangzeit Festival continues to connect diverse artistic expressions, fostering a community of innovative music and shared creativity.