Aus der Schmökerecke empfiehlt der Feuilletonscout für einen mörderisch-guten Lesemarathon die Fälle des Alois Kauz. In „Gommer Sommer“ und dann im „Gommer Winter“ verwandelt Autor Kaspar Wolfensberger das beschauliche Goms in eine Mördergrube. Für einen gelungenen Krimiwinter. Von Barbara Hoppe.
Fall eins: „Gommer Sommer“
Alois Walpen, genannt Kauz, hatte sich den Start in den Sommerurlaub eigentlich anders vorgestellt. Der Zürcher Kommissar verbringt traditionell seine Ferien in seiner Heimat Goms, im nordöstlichen Wallis, wo das mächtige Weisshorn über das Tal schaut, die Rhone, die hier „Rotten“ heißt, entspringt und auch Zermatt mit seinem Matterhorn nicht weit ist.
Doch seine Ferienlaune wird ihm wenige Stunden vor der Abfahrt gründlich vermiest. Dr. iur. Doris van Hooch wirft ihn hochkant aus dem Polizeidienst. Die neue Kommandantin der Zürcher Kantonspolizei reorgansiert in bester Manier einer blasierten Unternehmensberaterin den Polizeiapparat in Kauz‘ Augen allzu forsch, ohne Ahnung von seiner Arbeit zu haben. Nun heißt es für ihren Kritiker: noch ein halbes Jahr Sold und dann ist die Polizeilaufbahn für den Endfünfziger endgültig vorbei. Doch Urlaub ist Urlaub und Kauz macht sich mit seinem alten BMW-Motorrad auf den Weg. In Goms wartet ein alter umgebauter Speicher auf ihn und natürlich sein Vermieter und Freund, Wendelin Imfang. Aber auch diese Freude wird ihm vergällt. Wendelin Imfang hängt tot am Balken im unteren Speicher. Was wie Selbstmord aussehen soll, entpuppt sich schon bald als Mord.
Was nun folgt, ist ein rundum gelungener, stimmiger und stimmungsvoller Polizeiroman, mit viel Lokalkolorit und sympathischen Figuren. Kaspar Wolfensberger gelingt das Kunststück, erfrischend normale Menschen zu zeichnen, mit denen man gern auf Mördersuche geht. Freundlich geht es hier zu. Die zurückhaltende Hilfe des Kommissars a.D. ist gern gesehen und auch die anfangs etwas granteligen Gommer tauen zunehmend auf. Und während Kauz zwischen Wiesen, Tälern und Höhen unter blauem Himmel wandert, flankiert von den Dörfern des Ober- und Mittelgoms und durchschlängelt von dem kleinen roten Zug der Matterhorn-Gotthard-Bahn, setzt sich die Lösung des Falls Stück für Stück zusammen. Windige Immobilienmakler, kräuterkundige Alte, ein verunfallter Gemeindeschreiber, eine Gemeindepräsidentin, die etwas verschweigt, mysteriöse Osteuropäer, naive Sennerinnen, jähzornige Bauern, ein Luxusresort, das den Blick aufs Weisshorn ein für allemal versperren würde und nicht zuletzt ein weiterer Mord – alles findet seinen Platz in diesem spannenden und durchaus komplexen Walliskrimi. Kaspar Wolfensberger entwirft zwischen Gemütlichkeit, deftigem Essen und der rauen Herzenswärme der Walliser Bergbewohner eine Schweiz, in der es sehr modern zugeht. Das Sahnehäubchen sind jedoch die zahlreichen, wie beiläufig eingestreuten schwyzerdütschen Einsprengsler wie Chriitersuppä, äns flott oder nëi. So gelingt es diesem Kriminalroman spielend, ja fast unmerklich, die Leser mit seiner sympathischen Personnage, der reizvollen Landschaft und dem tragischen Mordfall charmant und unprätentiös einzuwickeln und nicht mehr loszulassen.
Kaspar Wolfensberger
Gommer Sommer
Der erste Fall für Kauz
Kampa Verlag, Zürich 2020
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Der Artikel erschien ebenfalls als Literarisches Reiserätsel in Das WOCHENENDE! (Frankfurter Neue Presse, Frankfurter Runschau und FAZ Rhein Main Zeitung) am 25. Juli 2020.