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Kulturtipp: Heute Abend JazzVocals, Voktett Hannover, Slixs – Musik von J. S. Bach bis Michael Eimann im Deutschlandfunk Kultur

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Beim Vokalfest Chor@Berlin zeichnete Deutschlandfunk Kultur die A-capella-Nacht auf. Dr. Ingobert Waltenberger war bei dem Konzert am vergangenen Samstag live dabei. Nachhören können Sie es heute ab 20.03 Uhr.

Zum neunten Mal gibt es schon das Festival Chor@Berlin des Deutschen Chorverbandes mit Konzerten, Workshops, Diskussionsrunden und Mitsingaktionen. Zur A-cappella-Nacht wurden ein Chor im klassischen Sinn und zwei hervorragende Vokalensembles geladen. Von sehr gut Berlinerisch, über deutsche Spitze bis zu Weltklasse.

   

JazzVocals

Die JazzVocals mit zehn  Männer- und zwölf Frauenstimmen unter der musikalischen Leitung von Matthias Knoche gaben mit dem Song „Heaven or Hell“ von Osmo Ikonen das  Motto für all die Emotionen wieder, die in dieser Nacht von den Sängerinnen und Sängern so eindrücklich in fantasiereichen Gesang und Laute aller Art gegossen wurden. Die JazzVocals habe ich zu Beginn des Jahres schon in einem Konzert im Französischen Dom am Gendarmenmarkt gehört. Sie beherrschen einen perfekten Schmelzklang, der den dargebotenen Jazzstandards, ihre Pop- und Folk-Musikbearbeitungen einen angenehm groovigen (Hintergrund-)Sound verleihen. Am meisten haben mich die Nummern „Blue“ von Joni Mitchell (arr. Malene Rigtrup), „Waterfalls“ von TLC und die Bearbeitung des Deutschen Volkslieds „Es saß ein Wildvögelein“ von Martin Ismael überzeugt. Beim irischen Volkslied „Dobbin‘ Flowery Vale“ legte sich eine großartige junge Chorsolistin so richtig ins Zeug und bewies, wie viele hochbegabte junge Leute heute wieder mit Leidenschaft und Hingabe Chorgesang hegen und pflegen. Allerdings nützt sich der eher im mittleren dynamischen Bereich gehaltene Chorwohlklang im Verlauf des Konzertes doch ab. Zu eintönig sind manche Bearbeitungen. Auch könnten Stimmgruppen mehr Kontur zeigen. Deren Balance fällt – wie so oft bei wenig ausgebildeten Bass- und Altstimmen – ganz eindeutig zugunsten der Soprane und Tenöre (die ein Sonderlob verdienen) aus. Mir war zudem bisweilen die Artikulation zu wenig prägnant und deutlich. Dem Chor fehlt zur weiteren Professionalisierung auch eine Bewegungsregie. Die in den Farben schwarz, grau, weiß und gelb individuell gekleidete Choristinnen bewegen sich während der Musik mehr oder weniger locker, auf jeden Fall halt irgendwie und nicht immer kongruent zur Musik. Als Zugabe gab es „Kyrie Eleison“ von Mr. Mister

   

Voktett Hannover

Das Voktett Hannover setzt sich aus ehemaligen Studierenden der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover zusammen. Die vier Sängerinnen und Sänger konnten 2018 den ersten Preis des Deutschen Chorwettbewerbs in der Kategorie „Vokalensemble“ einheimsen. Schon beim ersten Chor von Peter Cornelius „Lieb, dir ergeb ich mich! aus dem Zyklus Op. 18 werden die hohen Tugenden des Ensembles offenkundig. Acht hochindividuelle Stimmen mit markanten Timbres und solistischem Können wissen den Chorklang spezifisch je nach Werk und Atmosphäre fein differenziert einzufärben. Sie haben verstanden, dass die Dramaturgie der Vokalmusik über die Jahrhunderte hinweg nicht zuletzt aus der Präzision der Textbehandlung herrührt. Besonders begeistern der erste Tenor von Steffen Kruse und der zweite Bass von Friedemann Gottschlich. Besonders letzterem eine hochkarätige Solokarriere vorherzusagen, fällt nicht schwer. Und dennoch beherrschen auch sie in wahrer künstlerischer Meisterschaft, sich in die Möglichkeiten des Gesamtensembles zu fügen. Die erste Sopranistin Esther Tschimpke litt an einer kleinen Indisposition, was zu Beginn des Konzerts harte Tonansätze und Intonationstrübungen mit sich brachte und ließ sich nach der dritten Nummer von einer Kollegin „ansagen“. Im Laufe des Abends konnte sie mit ihrem ätherisch klaren, instrumental geführten Sopran aber überzeugen.

 
Foto © Voktett Hannover
 

Das Vokett hat das musikalisch hoch anspruchsvolle Programm aus der demnächst erscheinenden CD „Liebesweisen – geistliche und weltliche Bekenntnisse“ gewählt. Höhepunkte waren die „Hymne á Saint Martin“ von Vaclovas Augustinas, die wunderbare „Hymn to St. Cecilia“ von Benjamin Britten und „See, See the Sheperds‘ Queen“ von Thomas Tomkins. Dieser im elisabethanischen Zeitalter komponierte, so typisch britisch witzige Chor besingt eine Bitte an die Königin Elisabeth, die Kulturausgaben nicht zu kürzen. Es scheint sich in der Kulturwelt weniger zu ändern als vermutet, denkt der Schelm. Der Konzertbeitrag der tollen Hannoveraner klang mit „Rakastava“, einem langen melancholischen Gesang eines unglücklich Verliebten, dem seine Geliebte entschwindet, von Jean Sibelius sowie mit Felix Mendelsohn-Bartholdys „Denn er hat seinen Engeln befohlen“ etwas schwerfällig aus.

   

Slixs

Den absoluten Höhepunkt des Abends bildete der Auftritt von SLIXS, einem deutschen A-cappella Sextett, deren Mitglieder aus Berlin, Dresden, Leipzig und Halle stammen. Katharina Debus, Michael Eimann, Gregorio D’Clouet Hernández, Karsten Müller, Thomas Piontek und Konrad Zeiner heißen diese sechs „Vocal Bastards“, allesamt Stimmwunder und charismatische Persönlichkeiten. Sie sprengen mit ihrer Tonkunst und Bühnenshow alles, was bisher an purer Vokalartistik möglich schien. Eine Naturgewalt an Energie und Konzentration, fegt dies glorreiche Sechs über die Bühne und fesselt das Publikum von der ersten Sekunde an. Das Publikum im ausverkauften Saal scheint nach der Pause wie ausgewechselt, jeder fühlt und ahnt bei einer Weltklasseperformance dabei zu sein. 

Beim ersten Hinhören könnte angenommen werden, Slixs sei eine deutsche Abwandlung der texanischen A cappella Gruppe „Pentatonix“. Wäre ja auch nicht schlecht, die stimmlich so virtuosen Amerikaner haben nicht nur die Latte hoch gelegt, sondern immerhin schon 10 Millionen Alben verkauft. Ich finde Slixs sind aber noch inventiver, origineller und vielleicht auch witziger, weil die Arrangements und Eigenkompositionen des Bandleaders Michael Eimann schlichtweg genial eine verschwenderische Fülle an Erfindung, klangmalerischer Pracht und Sprachmagie aufweisen. Worte, Laute, Rhythmus und Sound verschmelzen hier zu einer höheren Einheit.

Auch sie promovieren ein CD-Programm, „Playgrounds“ (zum 10. Geburtstag des Ensembles 2016 entstanden), somit ihre ganz persönlich musikalische Spielwiese mit „Vocal Percussion, Lautmalerei, Soul, Groove, Funk und World Music in Eigenkompositionen“, wie im Programm zu lesen ist. Stopp: Auch Johann Sebastian Bach, Prince und Rag‘n Bone Man sind nicht ganz unbescheiden mit von der Partie.

   

Michael Eimann ist nicht nur Komponist und Sänger, sondern auch ein begnadeter Entertainer und Conférencier, bisweilen ein Witzbold, der hasengleich ironisch humorige bis schlüpfrige Haken schlägt. In seinen Songs „Come on“, „Slixs“, „It is the Rain“, „Le Dormeur du Val“ nach einem Gedicht von Arthur Rimbaud „That‘s When it‘s Love“, „“Just you“ und Humanizoo“ hat dieser Macho-Tausendsassa seiner kleinen, aber exklusiven  Goldkehlchenschar alles an vertrackt schöner Artistik maßgeschneidert in die Gurgel tätowiert. Da ploppen Regentropfen, wird trompetet und posaunt, ereignen sich Urlaute aus „800 Mrd. Jahren an männlicher Entwicklungsgeschichte“.  Augenzwinkern oblige. Klassikfans kamen mit der subtilen Vertonung von Goethes „Wanderers Nachtlied“, aber besonders mit den exquisiten Arrangements der Variation 7 aus Bachs „Goldberg-Variationen“ BWV 998 und des „Präludium und Fuge“ in c-Moll BWV 549 voll auf ihre Kosten. Ich bin überzeugt, der Meister aus Eisenach hätte seine Freude mit Eimanns Aneignungen und der überragenden Interpretation von Slixs gehabt. Kein Wunder , dass das Ensemble schon mehrfach die weltweit höchste Auszeichnung für Vokalkunst, den CARA, den Contemporary A Cappella Recording Award, abgeräumt  hat.

Für mich war persönlich war dieser Auftritt von Slixs von den hunderten Konzerten, Opern und sonstigen Musikevents, die ich in Norddeutschland in den letzten sieben Jahren erlebt und beschrieben habe, einer der intensivsten, atemberaubendsten und am positiv überraschendsten. Am Ende gehst Du raus und wunderst Dich, wo die Wolkenkratzer des Broadway abgeblieben sind. Absolute Weltklasse gibt es bisweilen wohl auch an der Spree!

 

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