Von Ingobert Waltenberger.
„Wecke mir die Träume wieder, die ich in der Kindheit träumte. Wenn die Sonne wieder scheint, wird der Rasen doppelt grün.“ Regenlied von Klaus Groth
Regentropfen, dunkel treibende Wolken, dann wieder Sonnenstrahlen, die sich in den smaragdgrünen Wellen des Wörthersees reflektieren, böige Fallwinde, die vom nahen Windischberg auf die Pörtschacher Landspitze treffen, eine melancholisch durchwehte Sommerruh. Das könnten einige der vielen Eindrücke gewesen sein, die Johannes Brahms in den Sommern 1878 und 1879 erlebt hat. Während der Zeit entstand nämlich die erste (erhaltene) Sonate für Violine und Klavier in G, Op. 78. Ein musikalisches Fotoalbum gegen Erinnerungsschwund, aber auch eine klingende Hommage an die heiter mediterran gestimmte Landschaft. Die Komposition ist im Ursprung wohl eng mit dem unheilbar an Tuberkulose erkrankten Sohn Clara Schumanns, Felix, und seinem Tod im Frühjahr 1879 verknüpft. Vorher hatte Brahms Clara die Eingangstakte zum Adagio der Sonate in einem Brief an Clara geschickt. Dürfen Trauermarsch als auch der melodisch rhythmische Bezug zum Regenlied als musikalisches Abbild der Todesnachricht gelten? Im Rondo gewinnen wieder lebhaftere Eindrücke von der bisweilen (un-)erträglichen Leichtigkeit des Seins die Oberhand.
Das musikalisch so ungleiche und dennoch in großer gegenseitiger Achtsamkeit spielende Duo Elmira Darvarova (Violine) und Zhen Chen (Klavier) bietet eine unglaublich bewegte, stimmungsdichte Interpretation. Wie hier die Themen ineinandergreifen, bisweilen im Gefecht der kunstvollen Durchführungen zwischen den Fingern zu zerrinnen scheinen, rasch die Perspektive wechselnd in Licht und Schatten tauchen, all das fügen Darvarova und Chen zu einem organisch an- und abschwellenden Gesang. Bisweilen umflort ein leichter Nebel die melodische Linie, nur damit sie im nächsten Moment kristallin wie ein Blitz aus den Wolken hervorschießt, klar, selbstbewusst, majestätisch.
Die Darvarova hat ein gutes Händchen für Brahms, die Flüchtigkeit der vielen Stimmungen mit hoch sich aufschwingenden Portamenti, jeweils spezifisch adaptiertem Bogenstrich und dynamischem Feintuning einfangend. Eine eindringliche Erzählerin auf ihrem Instrument, zu dem der Pianist Zhen Chen die plastisch perlende Grundierung liefert. Da purzeln die Noten im welligen Fluss, der gezielte Einsatz des Pedals wirkt aquarellierend, dem die Violine einen härteren, akzentuierteren Strich hinzufügt.
Die Sonaten in A-Dur Op.100 und in d-Moll, Op. 108 sind in diesem Sinne Höhepunkte kammermusikalischer Zwiesprache, kraftvolle Zeugnisse einer künstlerischen Aneignung. Ein 100 Punkte Album ohne Abstriche!
Elmira Darvarova/Zhen Chen
Johannes Brahms für Violine und Klavier; Scherzo in C
Solo Musica 2019
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