Kolumne von Susanne Falk.
Allen Ernstes? Die Welt steht in Flammen (wortwörtlich), Krieg, Seuchen, Wassermangel, Flüchtlingskrise, Gaskrise – und Deutschland diskutiert über Winnetou? Es scheint, als wäre man in Zentraleuropa immer noch imstande, sich sein eigenes Sommerloch zu graben. Na gut, dann stürzen wir uns zum Abschluss dieses Sommers gleichfalls ins Loch hinein: Reden wir über Karl May.
Was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, wird Sie nicht unbedingt erfreuen, aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Sie gealtert sind. Daran ist ja primär mal nichts schlecht, das Alter hält mitunter ja auch Weisheit und Erkenntnis bereit und nicht nur kaputte Knie. Aber es bedeutet auch, dass das, was wir in unserer Jugend so groß und bedeutend fanden, mit uns altert – und das selten gut.
Wenn jetzt darüber diskutiert wird, ob Karl May sich rassistischer Klischees und einer bedenklichen Sprache bedient, dann lautet die Antwort schlicht ja. Hat er immer schon, ist uns früher nur dank mangelnder Sensibilisierung nicht so aufgefallen. Allerdings war Karl May vor allem ein Kind seiner Zeit und nicht explizit ein Rassist. Muss man Karl May deswegen jetzt in die Giftkiste packen? Braucht es kommentierte Ausgaben? Soll man das Original belassen, wie es war oder soll man es sprachlich „säubern“, um es weiter publizieren zu können? Darauf gibt es nicht nur keine eindeutigen Antworten, es sind auch die falschen Fragen.
Jede Literatur hat ihre Zeit und die von Karl May scheint nun endgültig abgelaufen zu sein. Das ist weit weniger traurig, als man denken könnte. Schon ich habe Karl May nicht mehr wirklich gerne gelesen (im Gegensatz zur Generation meiner Eltern) und ich werde diesen Monat 46 Jahre alt. Meine Kinder, 14 und 10, interessiert Karl May nicht die Bohne. Die haben vollkommen andere Lektürebedürfnisse. Karl May wird mit meiner Generation (wahrscheinlich endgültig) zu Grabe getragen. Das ist in Ordnung. Und gilt auch für viele Werke anderer Autorinnen und Autoren, die schlecht altern. (Also die Werke selbst, nicht unbedingt die Autorinnen und Autoren…) Auch eine Pippi Langstrumpf hat ihre beste Zeit hinter sich. Es gibt andere literarische Vorbilder für die Kinder von heute. Kirsten Boies kleiner Ritter Trenk mit seiner kongenialen Partnerin Thekla ist sehr viel zeitgemäßer und fand bei meinen eigenen Kindern viel mehr Anklang als etwa Michel aus Lönneberga oder gar Winnetou. Auch der Kanon an Kinderliteratur erneuert sich irgendwann und nur weil die Generation der heutigen Literaturkritiker noch mit Karl May aufgewachsen ist, muss das ja nicht mehr für alle nachkommenden Generationen so bleiben. Die dürfen sich ihre eigenen Vorbilder suchen und das muss kein Ureinwohner Nordamerikas sein, der in seiner Weltsicht weit mehr über uns Deutsche als über die echten Ureinwohner Nordamerikas aussagt.
Wenn Sie das stört, nun, dann haben Sie zwar mein volles Verständnis, aber ich werde Ihnen trotzdem jetzt sanft meine Hand auf die Schulter legen und sagen: Lassen Sie los! Es gibt wichtigere Probleme in der Welt, die es zu lösen gilt. Und, by the way, Karl-May-Spiele sind zwar schön und gut als Familienevent, aber auf Rügen gibt es schon seit vielen Jahren die Störtebeker-Festspiele – quasi dasselbe in Grün, nur ohne Cowboys und Indianer und taugt sicher auch zum Ersatz für Bad Segeberg. Sie müssen es nur zulassen. Glauben Sie mir, das ist gar nicht so schwer.
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Lieber Herr Grosse,
es ist ja auch nicht so, dass diese Literatur von einem Tag auf den anderen verschwindet, aber sie wird über kurz oder lang weniger gelesen werden. Speziell „Pippi in Taka-Tuka-Land“ enthält da so einiges, was nicht mehr State of the Art ist und auch gerne aus den Kinderzimmern wieder verschwinden darf. Und dass Michel vor seinem Papa ständig in den Tischlerschuppen fliehen muss, weil er sonst verhauen wird, ist auf den zweiten Blick vielleicht auch nicht mehr so gut zu vermitteln. Anderes von Astrid Lindgren altert deutlich besser, etwa „Kalle Blomquist“.
Aber es kommt der Tag, an dem man selbst „Harry Potter“ neu bewerten wird, etwa die unglaublich autoritären Strukturen in einer Bildungseinrichtung wie Hogwarts, die sehr viele Anleihen am britischen (Eliten-)Bildungssystem nimmt. Beides weist großen Reformbedarf auf.
Ich finde es aber richtig, dass man seinen Kindern keine Literatur vorenthält. Die sind schließlich auch mündige Leserinnen und Leser und wissen, was ihnen gefällt und was nicht. Ich denke einfach, mit den sich wandelnden Generationen verändern sich auch die Vorstellungen davon, was und worüber man noch lesen möchte. Das werden unsere Kinder einfach selbst entscheiden. Vielleicht braucht es uns dazu gar nicht so sehr.
Herzlich, Susanne Falk
Liebe Susanne Falk,
das Übrige lasse ich unkommentiert, widerspreche Ihnen aber in einem Punkt: Pippi und Michel. Vom Alter her ist die Konstellation bei uns familiär ähnlich, doch Astrid Lindgrens Werke standen bei unseren Kindern ganz hoch im Kurs. Die Filme, die Bücher, die CDs.
Ahoi! Daniel Grosse