Kolumne von Susanne Falk.
Kürzlich musste das kleine Kind in der Volksschule ein Referat über ein Herkunftsland seiner Familie halten. Er wählte Deutschland, weil ich, seine Mutter, nun einmal daher komme. Und, seien wir ehrlich, Niederösterreich wäre vielleicht die zu naheliegende Wahl gewesen, geografisch gesehen. Vorstellen sollte er auch eine berühmte deutsche Persönlichkeit. Da fingen dann die Probleme an.
Natürlich gibt es viele berühmte Menschen in der deutschen Geschichte, die einem schon nach zehn Sekunden (oder auch 45 Minuten) einfallen, die historisch eher unbelastet sind, vorwiegend Künstler. Mehrheitlich Frauen. Also gut, Clara Schumann. Mir fiel erst einmal nur Clara Schumann ein. Haben Sie eine Ahnung, wie schwierig es ist, eine Person zu finden, die kein Antisemit, kein Sexist, kein halber Österreicher war? Beethoven können Sie gleich mal vergessen, den beanspruchen die Wiener für sich. Luther kommt in katholischen Landen nicht gar so gut an und hatte zudem eine sehr bedenkliche Einstellung gegenüber Frauen, also eher 15. Jahrhundert und nicht 21. Und Antisemiten kann Österreich selbst genügend aufbieten, denn abartige Dummheit ist kein deutsches Alleinstellungsmerkmal.
Meine Frage an das Kind, ob es denn etwas über Clara Schumann erzählen möchte, kam in etwa so gut an, wie wenn ich ihm angeboten hätte, Brokkoliauflauf auf einem Kindergeburtstag zu servieren. Theoretisch ist es Essen, aber… Dabei spielt das Kind sogar Klavier! Er schlug wiederum Angela Merkel vor, die würden die anderen Kinder wenigstens kennen. Da blutete kurz mein Soziherz, aber das ist Bluten ja gewohnt, also legte ich keinen Protest ein. Auf die Frage, wer denn eigentlich der oder die berühmteste Deutsche von allen sei, konnte ich ihm auch keine befriedigende Antwort geben. Goethe? Schiller? „Mama, die kennst nur du.“ Kurzer Ohnmachtsanfall bei der Mutter. „Der XXX hat gesagt, der bekannteste Deutsche sei Hitler.“ Hysterischer Anfall bei der Mutter und der kurze Verweis auf die geografische Verortung von Braunau am Inn. „Hat denn irgendein Deutscher mal was Gutes gemacht?“
Puh. Ein zehnminütiges Referat in der Volksschule kann eine mittelschwere Identitätskrise auslösen. Am Ende redeten wir gut eine Stunde über die Schrecken der Nazizeit. Danach war das Kind zwar über alles Wichtige im Bilde, aber hochgradig deprimiert. Schließlich schlug ich ihm Gutenberg vor.
Erklären Sie mal einem Kind des digitalen Zeitalters das Bahnbrechende an der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern. Mich hat das eine weitere halbe Stunde gekostet. Dann hatte es das Kind verstanden und stellte richtiggehend fest, dass erstens die anderen Kinder großteils gar nicht gerne lesen und zweitens er keine halbe Stunde Zeit habe, um zu erklären, was bewegliche Lettern seien.
Die Lösung fiel uns schließlich beim Aufräumen vor die Füße, als ein überdimensioniertes Röntgenbild hinter dem Regal hervorkam, mein Knie zeigend. Also wurde es Wilhelm Conrad Röntgen, nach kurzer Diskussion mit seinem polnischen Freund David, der darauf hinwies, dass Marie Curie hier auch einiges zu dem Thema beigetragen hatte. Röntgenbild aufs Plakat geklebt, Ende der Diskussion. Aber die Identitätskrise dauert bis heute an…
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