Kolumne von Susanne Falk.
Ich wollte doch nur lesen. Nichts sonst. Doch sobald ich den Buchdeckel auch nur anhebe, fängt irgendetwas oder irgendjemand an zu streiten, zu miauen oder gar an der Tür zu klingeln. Hilfe!
In meiner Kindheit gab es eine Zeit des Tages, die in unserem Hause heilig war. Uns Kindern war sie herzlich wurscht, aber für meine Mutter war es die eine Stunde am Tag, in der wir ruhig zu sein hatten, damit sie lesen konnte. Interessanterweise war es eigentlich gar nicht notwendig, ruhig zu sein, denn es hätte auch eine Bombe neben ihr hochgehen können und meine Mutter hätte kaum aus ihrem Buch aufgeschaut, so sehr konnte sie sich in die Geschichten versenken – eine Eigenschaft, um die ich sie bis heute beneide.
Ich bin wahnsinnig leicht abzulenken. Die Augenblicke, bei denen ich in den „Flow“ gerate, sind selten und finden ausschließlich beim Schreiben statt und nie beim Lesen. Dabei lese ich gerne, aber was soll man tun, wenn der Kater sich mit Enthusiasmus aufs Buch legt, damit ich ihm den Bauch kraule oder irgendwer an der Tür klingelt, weil er den Gaszähler nicht finden kann oder ganz, ganz dringend mit mir über Gott reden möchte? Wobei – den Kater schubse ich dann dezent aufs Sofa zurück und den Gaszähler finden die netten, überaus gläubigen Herren und Damen an der Tür sicher besser als ich. Zu Gott haben die ja auch gefunden. Und trotzdem sitze ich hinterher da und kann mich nicht mehr auf mein Buch konzentrieren. Weil es immer noch etwas anderes gibt, was mich ablenkt, aus dem Konzept bringt oder auf falsche Fährten führt: Netflix!
Haben Sie schon die neue Staffel von „La legge di Lidia Poët“ gesehen? Ich schon! (Ist großartig, kann ich nur empfehlen!) Oder was ist mit Amazon Primes Sitcomklassiker „Frasier“, alle elf Staffeln, nicht zu vergessen die Reboot-Folgen? (Die alten sind natürlich besser, was vor allem an David Hyde Pierce liegt. Der Mann ist ein Genie und die Chemie zwischen ihm und Kelsey Grammer macht die beiden zu einem der größten Comedy-Duos aller Zeiten…) Ich kenne sie alle! Jede gute oder auch nur halb gute Serie, die irgendwo gestreamt wird, habe ich ziemlich sicher gesehen. Es sei denn, sie enthält heftige Gewaltszenen. Da steig ich meistens aus. („Scandal“ wäre so schön ohne die völlig unnötigen Folterszenen… Da hat es mich dann doch zu sehr gegraust.)
Sie sehen schon, worauf das hinausläuft. Während ich das Internet leerschaue, stapeln sich fantastische Bücher auf meinem Fensterbrett (sonst ist nirgendwo Platz), die ich alle noch nicht gelesen habe. Das sind, grob geschätzt, 3000 Seiten Neuerscheinungen, die ich unbedingt haben wollte, zu denen nochmal gut und gerne 3000 Seiten Fachliteratur für mein aktuelles Buchprojekt hinzukommen. Und was tue ich? Streamen bis der Arzt kommt.
Vielleicht sollte ich mit meinen Kindern einen Deal machen. Mama bekommt ihre Stunde Lesezeit am Tag, wenn sie dafür ihren Laptop freiwillig abgibt. Erst wenn fünfzig Seiten gelesen wurden, darf man mir den Laptop zurückgeben. Mir schwant, dass das funktionieren könnte, immerhin kommt mir dieses Prinzip bekannt vor. Da war doch mal etwas mit Handyzeit und Leseaufgaben aus der Schule…? Egal, es klingelt schon wieder an der Tür.
Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.
My Books! „Sacred Reading Time„. Column by Susanne Falk
I just wanted to read. Nothing else. But as soon as I lift the cover of a book, something or someone starts arguing, meowing, or ringing the doorbell. Help!
In my childhood, there was a time of day in our house that was sacred. We kids didn’t care much about it, but for my mother, it was the one hour of the day when we had to be quiet so that she could read. Interestingly, it wasn’t even necessary for us to stay quiet because even if a bomb had gone off next to her, my mother would hardly have looked up from her book. She could immerse herself in stories so deeply — a skill I envy her for to this day.
I get distracted incredibly easily. The moments when I get into the „flow“ are rare and happen exclusively while writing, never while reading. Yet I love to read, but what can you do when the cat enthusiastically plops himself on the book so I’ll rub his belly, or when someone rings the doorbell looking for the gas meter or urgently wanting to talk to me about God? Well — the cat I gently nudge back onto the sofa, and the very polite, devout people at the door surely find the gas meter better than I could. After all, they’ve already found God. And still, afterward, I sit there unable to focus on my book anymore. Because there’s always something else that distracts me, throws me off track, or leads me astray: Netflix!
Have you seen the new season of „La legge di Lidia Poët“? I have! (It’s fantastic, highly recommended!) Or what about Amazon Prime’s sitcom classic „Frasier“, all eleven seasons, not to mention the reboot episodes? (Of course, the old ones are better, largely thanks to David Hyde Pierce. The man is a genius, and the chemistry between him and Kelsey Grammer makes them one of the greatest comedy duos of all time…) I’ve seen them all! Every good or even halfway decent series available for streaming, I’ve most likely watched. Unless they contain extreme violence — then I usually skip them. („Scandal“ would have been so great without the completely unnecessary torture scenes… I just couldn’t stomach it.)
You see where this is going. While I’m busy streaming the internet dry, fantastic books are piling up on my windowsill (there’s no room elsewhere), all of which I haven’t read yet. That’s roughly 3,000 pages of new releases I just had to have, plus another 3,000 pages of academic literature for my current book project. And what am I doing? Streaming until I drop.
Maybe I should make a deal with my kids. Mom gets her hour of reading time a day if she voluntarily gives up her laptop. Only after fifty pages have been read can they give the laptop back to me. I have a hunch this might work — it sounds familiar, after all. Wasn’t there something like this with screen time and reading assignments from school…? Never mind, someone’s at the door again.
Pingback: Der Podcast am Sonntag: „Meine Bücher! Heilige Lesezeit“ |