Kolumne von Susanne Falk.
Italien? Natürlich. Ostsee? Selbstverständlich. Frankreich? Ja, ja und ja. Und Amerika? Auch dies ein Ort, an den in Gedanken zu reisen mit ewigem Sehnen verbunden bleiben wird. Lesen ist Reisen im Kopf, sagt man. Was ist dann erst das Schreiben?
Eigentlich wollte ich ja fernsehen, musste aber schon wieder um 20.15 Uhr ins Bett. Den Abendfilm bekam ich als Kind unter der Woche nicht zu sehen. Also stapfte ich wutentbrannt und unter viel Getöse die Treppe hinauf in mein Zimmer, legte mich ins Bett und schaltete das Kopfkino ein. Das funktioniert bis heute bestens: Langweile ich mich, fällt mir meistens rechtzeitig ein, dass ich die besten Kinofilme, die tollsten Geschichten und die größten Abenteuer in meinem eigenen, zugegeben merkwürdigen Schädel spazieren trage. So hätte aus mir auch leicht eine Drehbuchautorin werden können. Dass es bei Buchautorin endete, ist wahrscheinlich reiner Zufall.
Vor meinem inneren Auge spielten sich schon als Achtjährige ganze Serien ab, in denen ich eine Räuberbande in den britischen Wäldern anführte (als eine Art weiblicher Robin-Hood-Verschnitt), im alten Rom für das Recht auf Freiheit und gegen Sklaverei kämpfte und natürlich um die Welt reiste, bevorzugt an Bord riesiger Segelschiffe. Jede Reise im Kopf war dabei verbunden mit der Lust am Ausbruch aus bestehenden Verhältnissen und der Sehnsucht nach dem Unerreichbaren. In Gedanken durchs antike Italien zu spazieren war leicht und kostete nicht viel mehr, als ein paar ruhige Augenblicke vor dem Schlafengehen. Und selbstverständlich war ich, in vollkommen logischer Egomanie, immer die Hauptdarstellerin. Das konnte kein müder Fernsehfilm, keine TV-Serie je bieten.
Je eingeübter die Fantasie war, desto leichter fiel die Reise. War der Plot erst fertig gesponnen, konnte ich mich mühelos darin bewegen, neue Figuren hinzuerfinden oder die Handlung variieren. Ich war damit wohl schon Autorin, bevor ich je auch nur ein Buch gelesen, geschweige denn eines geschrieben hatte. Ganz so, wie Kinder dies eben tun. Sehnsüchte ließen sich in der Fantasie ausleben, bunt, detailreich und so oft wiederholt, bis alles perfekt passte. Noch heute schreibe ich so, wobei ich den Spielplatz in meinem Kopf heute den Figuren überlasse. Ich selbst trete nur noch äußerst selten ins Bild, bin aber, einer Regisseurin gleich, immer zugegen und zuweilen überrascht, wenn die Figuren die vierte Wand durchbrechen und sich direkt an mich wenden. Meistens ist dann gerade irgendetwas schief gelaufen beim Schreiben und die Figuren fangen an zu meckern. Das kann mitunter wahnsinnig nervtötend sein und man bringt diese besser schnell wieder zum Schweigen, weil sonst der Sehnsuchtsort im Kopf zum Unort wird.
Schreiben war und ist Vergnügen. Es ist ausgelebte Vorstellungskraft, kaum limitiert, stets verfügbar, immer Rückhalt gebend. Findet es nicht statt, nimmt die wilde Bilderflut in mir manchmal überhand. Dann staut sich darin etwas, dass sich Luft verschaffen muss und notfalls an anderer Stelle nach außen dringt. Das kann in Verdruss umschlagen oder, weit besser, in Anfällen von kreativem Backwahn, mit diversen Kuchen, Torten oder Keksen als Endprodukten. Nur war die Küche nie ein Sehnsuchtsort für mich. Es musste immer weiter sein, heller, größer, geheimnisvoller und fremder. Schreibende sind Reisende, die gleichzeitig die Straßen bauen, auf denen sie sich vorwärtsbewegen. Und es gibt kein größeres Vergnügen, als sich kurz an den Straßenrand zu stellen und zu beobachten, wie uns andere auf demselben Weg folgen, an die gleichen Orte, getrieben von genau derselben Sehnsucht.
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