Kolumne von Susanne Falk.
Man redet nicht schlecht über Kollegen, nie. Das ist für mich ein unumstößlicher Grundsatz. Man darf deren Bücher verreißen, aber wie im Fußball, so spielt man auch in der Literatur immer nur auf den Ball bzw. auf das Buch und nicht auf den Mann. Doch dann war da diese eine SMS…
Ich darf Ihnen kurz Lisa vorstellen. Lisa war von 2013 bis 2016 recht regelmäßig die Babysitterin unseres jüngsten Kindes und ohne Lisa gäbe es sicher weder mein Buch Nummer 3 noch Buch Nummer 4 und auch nicht gewisse Teile von Buch Nummer 5. Lisa war mein Fels in der Brandung und die wundervollste Babysitterin, die sich eine schreibende Mutter nur wünschen kann. Unser Kind hat sie sehr geliebt und sie unser Kind. Ohne Lisa keine Literatur.
Lisa ist kürzlich selbst Mutter geworden und in einem möglichen Anfall von Nostalgie und großem Verständnis hat sie mir eine SMS geschickt, die im Wesentlichen ironisch aufzählte, unter welchen unmöglichen Bedingungen und Entbehrungen Frauen für gewöhnlich schreiben, Zitat: „Brote schmieren, Kinderarzt, Eltern pflegen, Kita-Ausfall, Läuse, Wäsche waschen, Klo putzen, Wäsche aufhängen, kurz was schreiben, Essen kochen, Einkauf für die Nachbarin, bei den Hausaufgaben helfen, Kotze wegwischen.“ Im Gegensatz zu Männern, genauer gesagt einem Mann: Benjamin von Stuckrad-Barre. Zitat aus seinem SPIEGEL-Interview vom 19.4.23: „Sie haben sich zum Schreiben auf die Seychellen zurückgezogen.“ Antwort Stuckrad-Barre: „Ja, wenn es um Berlin geht, schreibt man besser am Strand.“
Als ich das las, bekam ich (und das ist nicht übertrieben) einen fünfminütigen, hysterischen Lachkrampf. Die deutsche Autorin Mareice Kaiser hat diesen Text in Umlauf gebracht, sie trifft damit einerseits voll ins Klischee und andererseits einen sehr wunden Punkt. Natürlich schreiben auch diverse Männer inmitten des Familienchaos‘. Aber der Kontrast zwischen angekotzter Küche und den Seychellen als Arbeitsplatz beim Bücherschreiben ist einfach unschlagbar. Und wahr. Leider. Ich kann Ihnen versichern, ich wäre jetzt auch lieber auf den Seychellen, statt mit dem Teenager Leserbriefanalyse zu üben und verschütteten Orangensaft von der Wand zu wischen. (Hab ich selbst verschüttet. Es gibt so Tage…)
Lisa wusste das, denn sie hat mich in all diesen durch Alltagskram verhinderten, kreativen, verzweifelten Momenten nicht nur gesehen, sondern unterstützt. Immer. Im Grunde brauchen alle schreibenden Eltern eine Lisa. Scheiß auf die Seychellen, ich würde bedenkenlos all mein Geld zusammenkratzen, wenn ich dafür nochmal für ein Jahr lang Lisa engagieren könnte. Doch die Zeiten sind vorbei und mein Mantra von damals gilt auch heute noch: Kinder werden groß und Bücher werden fertig. Aber weil das nun ohne Lisa gehen muss, darf ich dann bitte, bitte im Gegenzug auch mal Sätze sagen wie: „Ja, ich musste für die Arbeit an einem Buch über eine frustrierte Mutterfigur dringend Distanz zwischen mich und meine Familie bringen, also habe ich mich zum Schreiben auf die Seychellen zurückgezogen.“??? Gibt es so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit überhaupt? Die einen geben Interviews und die anderen wischen Fluten von Orangensaft und Selbstmitleid von den Wänden… Ach, Lisa, du fehlst!
P.S.: Am Ende habe ich erfahren, dass Stuckrad-Barre auch ein Familienleben hat. Und plötzlich dämmert mir, dass auch er eine Lisa haben muss. Also war ich auf das Falsche neidisch. Nix da, Seychellen. Ich will Ihre Lisa, Herr Stuckrad-Barre!
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