Kolumne von Susanne Falk.
Die Sagrada Familia in Barcelona, der Berliner Flughafen oder der Gehsteig vor unserem Haus: Es gibt Dinge, die werden scheinbar nie fertig. Wobei die Nachfolger Gaudis gegenüber den Bauarbeitern in unserer Gasse echt einpacken können, wenn es um die Verschleppung von Bautätigkeiten geht. Seit Monaten leben wir jetzt mit einem Pressluftbohrer vor dem Fenster. Das ist aber alles nichts im Vergleich zu dem, was die Wiener einst so vor den Toren ihrer Stadt errichtet haben, weder in zeitlichen noch in räumlichen Dimensionen.
Das Schloss Neugebäude war mal umgeben von Wald, Wiesen und Feldern. Heute liegt es im Stadtteil Simmering, der, sagen wir es offen, von allen Wiener Stadtteilen nicht unbedingt durch herausragende bauliche Ästhetik hervorsticht. Die einzigen Steine, die in Simmering Touristen anlocken, sind Grabsteine. Hier liegt der bekannte Wiener Zentralfriedhof. Das Schloss Neugebäude, das durchaus das Zeug zu einem echten Touristenmagneten gehabt hätte, wurde dagegen nie fertig. Seit über 450 Jahren ist es eine Baustelle. Schon Maria Theresia bediente sich hier an allem, was ihr lieb und teuer erschien. Die Säulen der berühmten Gloriette in Schönbrunn stammen ursprünglich aus Schloss Neugebäude, das mal als Gartenschloss angelegt war und zur Belustigung der Habsburger hätte dienen sollen, speziell Kaiser Maximilians II., der im 16. Jahrhundert die irrwitzige Idee hatte, hier ein solches Schloss zu errichten. Wirklich dauerhaft leben wollte er hier nicht. Der riesige Gebäudekomplex, der heute ganz anders aussieht als ursprünglich geplant, verfügte nie über eine Küche und war auch nicht beheizbar. Essen wurde vom nah gelegenen Schloss Kaiserebersdorf herbeigeschafft, das heute die Justizanstalt beherbergt.
Maximilian II. starb 1576, da war das Schloss noch eine Baustelle und sein Sohn, Rudolf II., konnte sich nur mehr begrenzt für das Bauvorhaben seines Vaters erwärmen. Bevor es also je in voller Pracht errichtet war (oder man ihm überhaupt einen echten Namen gegeben hatte), verfiel es auch schon wieder und wurde im Verlauf seiner Geschichte als Munitionsdepot, Militärlager oder Fabriksgebäude genutzt. Und immer wenn man etwas abgebaut hatte, schützte man den Rest der riesigen Anlage vor Wind, Wetter und Verfall. So kam es etwa zu einem gigantischen Satteldach, das so nie geplant gewesen war. Die Nazis haben hier schließlich eine Außenstelle von Mauthausen eingerichtet, eine Fabrikshalle der Saurer-Werke, bei der sie auch viele Zwangsarbeiter einsetzten – eines der schrecklichsten Kapitel dieses an Geschichte reichen Ortes.
Nach 1945 verfiel es dann zusehends. Heute bietet es Raum für allerlei Events, von Van-Helsing-Partys über Mittelaltermärkte bis zu Hochzeitsfeiern. Inzwischen steht es unter Denkmalschutz, womit der Abriss abgewendet wurde. Pläne zum Umbau gibt es viele, Geld allerdings wenig und, seien wir ehrlich, was der Wiener in 450 Jahren nicht fertig bekommen hat, kann locker noch einmal 450 Jahre weiter vor sich hingammeln.
Dennoch – steht man vor den alten Mauern, betritt die nie fertig gestellte, manieristische Grotte, wandelt durch die historischen Pferdeställe oder misst die irrwitzig lang gezogene Anlage mit den Augen ab, kann man sich diesem Ort schwerlich entziehen. Es ist eine besondere Mischung aus überbordender Geschichte, Pomp, Verfall, Schrecken und stetem Neubeginn, die Schloss Neugebäude so einzigartig machen.
Das Schloss ist nur einmal im Monat mittels einer Führung zugänglich.
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