Kolumne von Susanne Falk.
Ich werde alt. Das ist eine reine Feststellung. Ich meine das weder positiv noch negativ. Nachdem ich meinen Kindern in größter Corona-Krisen-Heimbespaßungs-Langeweile gestattet hatte, einen Actionfilm auszusuchen, landeten wir bei Mission Impossible I. (Blutige Stellen wurden übersprungen.) Als Ethan Hunt die Floppy Disk rausholte, fingen mein Mann und ich beide zu kreischen an. Er vor Vergnügen, dass man so etwas noch einmal sehen durfte, ich vor Entsetzen, weil ich alt genug war zu wissen, was eine Floppy Disk war.
Ich bin nicht nur alt genug, Mission Impossible im Kino gesehen zu haben, ich hatte auch das Vergnügen, den Künstler Adolf Frohner, 2007 unerwartet verstorben, persönlich kennenzulernen, nämlich im Rahmen einer Ausstellung unter dem Titel „Verteidigung der Mitte“, die 2001 im Wiener Kunstforum Bank Austria lief und die ich als Museumsaufsicht drei Monate lang bewachen durfte.
In dieser Zeit kam ich nicht nur den Werken Adolf Frohners auf die Spur, deren teils rohe Gewaltdarstellungen durchaus Aufreibendes und Schreckliches enthielten, sondern ich hatte zusammen mit den anderen Aufsichten das Vergnügen, Frohner persönlich zu begegnen. Der Mann, der als Wiener Aktionist begann und sich dann (man will fast sagen: rechtzeitig) von seinen Kollegen wie Mühl und Nitsch löste, war einer der ausgeglichensten Künstlertypen, denen ich je begegnet bin. Uns Aufsichten trat er mit Respekt, Neugierde und ausgesuchter Freundlichkeit entgegen. Wann immer er seine Ausstellung selbst besuchte, kam er zu uns und fragte schelmisch nach den Reaktionen der Besucher auf seine Werke. Wahrheitsgetreu schilderten wir die Empörung der Hofrathsgattinen über entblößte Frauenleiber, worüber er sich sichtlich freute, und die Freude der Touristen über eine Collage, auf der sie ein Portrait Kaiserin Sissis erkannten, was ihn maßlos ärgerte. Er ging mit uns durch die Ausstellung, beantwortete alle unsere Fragen (auch die vermeintlich dummen) und wirkte neben all den gekreuzigten, gemarterten, schmerzverzerrten Leibern, die er dargestellt hatte, unglaublich ausgeglichen. Auf die Frage meines Kollegen, wie das denn zusammenginge, Kunst und Persönlichkeit, die doch so gegensätzlich wirkten, antwortete Frohner vergnügt, er lasse eben das Dunkle in seiner Kunst. So sei er im Leben (weitgehend) frei davon.
Mein 24-jähriges Ich hat das damals enorm beeindruckt. Man konnte also Künstler sein, in seinen Werken manisch, exzessiv und ausufernd, und trotzdem oder gerade deswegen ein netter Mensch. Ich musste also nicht am Leben leiden, sondern konnte meine dunkle Seite in Kunst verwandeln, um letztlich frei zu werden. Mein gesamtes Literaturstudium (auch ausufernd lang und von Leiden durchzogen) hatte nicht im Entferntesten das bewirkt, was dieses Fünf-Minuten-Gespräch mit Adolf Frohner bewirkt hatte. Anders als der eingangs genannte Filmklassiker ohne Mehrwert hat dieses Gespräch Spuren hinterlassen. Ein Geschenk an einen jungen Menschen, von dem er gar nichts wusste und das mich bis heute begleitet.
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