Kolumne von Susanne Falk.
Ich war fünfzehn und es war Chris de Burgh. Mein Vater hatte eine Freundin und mich dankenswerterweise bis nach Kiel gekarrt. Nun standen wir drei dort und sangen und klatschten mit und waren so richtig, richtig glücklich. Das ganze dauerte zweieinhalb Stunden, ohne Vorband wohl gemerkt. Der Mann war eine 1,68 Meter große Naturgewalt auf der Bühne und brachte problemlos tausende unterkühlte Norddeutsche zum Jubeln, Weinen und Schreien. Man kann sich kein besseres erstes Konzert wünschen.
Wenn ich das heute erzähle, ernte ich dafür nur mitleidige Blicke. Chris de Burgh war nie cool. Coole Leute sind bei Bowie oder vielleicht bei Nirvana das erste Mal im siebenten Konzerthimmel gelandet, doch wer ging denn schon ab zu „Don’t Pay the Ferryman?“. Aber das war uns egal, wir waren „High On Emotion“. Chris de Burgh war ein wahnsinnig guter Live-Performer und ist es wahrscheinlich noch. Und, ganz ehrlich, man kann mit seinem ersten Konzert weit weniger Glück haben. Freundin R. verschlug es zum Beispiel zu David Hasselhoff. Daraus erwachsen bis heute zahlreiche Anekdoten, etwa wenn sie in meiner Gegenwart nach einer verlegten Brille oder Schlüsseln sucht und dabei die Frage „Na, Looking for Freedom?“ aufkommt. Dabei ist Freundin R. eine musikalisch sehr versierte Frau mit eigener Jazz-Radiosendung.
Die Frage nach dem ersten Pop- oder Rock-Konzert ist eine beliebte Kennlernfrage auf Partys. Dank Corona gibt es weder die noch Konzerte und ich frage mich, was wohl die heute Fünfzehnjährigen einander in rund zehn Jahren fragen werden. Wann warst du zum ersten Mal auf Zoom? Wann bist du von daheim ausgezogen? Wir denken viel über unsere Alten nach, über unser Leben zwischen Homeoffice und Homeschooling, aber dass eine ganze Generation das Jungsein aufschieben soll, das geht oft an uns vorbei. Ein Jahr ist unendlich lang wenn man ein Teenager ist.
Es gibt so viele erste Male im Leben, gute und schlechte. Das erste Mal im Leben allein verreist? Großartig! Die erste Strawberry-Magherita? Die blieb zum Glück auch die letzte (übelster Kater ever!). Dem ersten Mal in der Oper folgten viele weitere Male. Apropos Oper: Meine erste Opernaufführung überhaupt war ausgerechnet „Anna Bolena“ von Donizetti. Das ist zum Einstieg in die Opernwelt reichlich außergewöhnlich, hat sich aber als voller Erfolg herausgestellt. Toll gesungen, toll gespielt, großartige Kostüme und eine Geschichte zum Mitfiebern und Mitleiden – bis zum bitteren Ende.
Wenn ich also demnächst (wann auch immer das sein wird) auf einer Party nach meinem ersten Konzert gefragt werde, antworte ich voll Stolz mit Chris de Burgh und stelle dann die Gegenfrage: Was war deine erste Oper? Ist die Antwort die überaus gängige „Zauberflöte“ oder gar „Hänsel und Gretel“ dann trumpfe ich gekonnt mit Donizetti auf! Und: Welches war Ihr erstes Mal?
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