Der katalanische Regisseur und Medienkünstler Carlus Padrissa und die Theatergruppe La Fura dels Baus zaubern in der Felsenreitschule aus Mozarts Bühnenmusik zu Thamos eine Opernperformance eigenen Stils. Von Stephan Reimertz.
In den siebziger Jahren schrieb Mozart eine Schauspielmusik zu dem fünfaktigen Stück Thamos, König von Ägypten des Diplomaten und Dichters Tobias Phillip von Gebler. Dieser war ein Aufklärer wie er im Buche steht. Unter Maria Theresia und Joseph II. setzte er sich für die Humanisierung des Strafrechts ein. Seine Dichtungen wären heute vergessen, hätte er nicht Mozart mit der Bühnenmusik zu seinem letzten Stück beauftragt. Dennoch wäre Gebler auch ohne die Nähe zu dem Komponisten unseres Andenkens sicher. Er war es, der das Toleranzpatent Kaiser Josephs II. von 1781 entwarf.
Aufklärerisch und katholisch
Carlus Padrissa und das Ensemble La Fura dels Baus verzichten auf die Sprechtexte in Geblers Thamos. In der Inszenierung in der Salzburger Felsenreitschule, die am Donnerstag die Mozartwoche eröffnete, erklingen aus Mozarts Thamos-Musik allein Chöre und Zwischenaktmusiken. Indes behält das Team in groben Zügen die Handlung der altägyptischen Hofintrige mit ihrem staatlich und erotisch glücklichen Ausgang bei. Eine symphonische Ouvertüre, eine Arie, ein Logenlied Mozarts ergänzen die musikalische Gestalt, ebenso wie die beiden Arien des Sarastro aus der Zauberflöte, mit sattem Bass und vorzüglicher Textverständlichkeit von René Pape vorgetragen, die Arie der Pamina Ach, ich fühl’s, auf ägyptisch gesungen von Fatma Said, und einer Arie aus Zaide.
Poetisch und revolutionär
Ein Opernregisseur kann alles – wenn er’s kann. Dem Genie von Carlus Padrissa und La Fura dels Baus verdanken wir es, wenn die extrem unterschiedlichen Versatzstücke dieser neuen Operperformance doch eine Einheit bilden und in ihrem selbsterfundenen poetischen und musikalischen Stil überzeugen. Für ihre nicht einmal zwei Stunden währende Traumsequenz haben die Katalanen eine neue Theatersprache gefunden, die wie selbst geträumt ist. Über allem liegt das übergroße Auge der Vorsehung in seinem die Trinität symbolisierenden Dreieck. Jeder kennt dieses Versatzstück des Alten Ägyptens aus der katholischen Kirche. Auch vor Versklavung und Missbrauch des Menschen in der Gesellschaft von heute verschließt sich dieses Auge nicht. Wir sehen menschliche Wesen abgepackt, entseelt und erniedrigt. Die Sänger des Bachchores Salzburg, Tänzer und Akrobaten zeigen den Menschen in Glanz und Elend. Allein in einer Fortschreibung des aufklärerischen Impetus von Gebler und Mozart erschöpft sich die vielgestaltige Produktion lange nicht.
Vieldeutig und klar
Mozarts Kompositionen kontrastieren algorithmischer Musik (Programmierung: Ubez Capablo), wodurch beide eine neue Qualität gewinnen. Die Spezialeffekte, mit denen Thomas Bautenbacher dem ebenso faszinierenden wie vertrackten Raum der Fürsterzbischöflichen Felsenreitschule überraschende Effekte abgewinnt, variieren das Thema Stein und Metamorphose (Video/Licht: Frank Aleu). Besonders fesseln Luft-Akrobaten die Aufmerksamkeit. Lyrik von Alicia Aza wird statt der Obertitel während der reinen Instrumentalstücke eingeblendet und verlangt dem Publikum einiges an Multitasking ab. Dennoch ist die Dramaturgie sehr konzentriert, besonders wenn man sie mit der verquirlten Inszenierung der Bassariden von Henze vergleicht, die bei den Sommerfestspielen 2017 am selben Ort die Zuschauer weit mehr forderte.
Unbekanntes und Altbekanntes
Die mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra rollt der nie gesehenen Opernvision mit der Camerata Salzburg einen breiten symphonischen Teppich aus. Mancher mag sich an die Sommerfestspiele 2010 erinnern, als Ivor Bolton Zwischenaktmusiken und Schlussmusik aus Thamos bei einer Mozart-Matinée aufführte. Boltons Dirigat war sehr viel härter und straffer. Parra erinnert in ihrer Mozart-Auffassung dagegen an die Generation von Böhm und Karajan und setzt mit dem Altgewohnten einen Kontrapunkt zur revolutionären Inszenierung. Wie ein Traum, der aus Unbekanntem und Altbekanntem gemischt, der fern und doch ganz real ist, als eine Art Meta-Zauberflöte, so konnte den meisten Besuchern der Premiere diese Produktion erscheinen. Es war allerdings schade für Salzburg, dass an diesem so außergewöhnlichen Abend einzelne Plätze leer blieben und trotz der vielen Bravo-Rufe am Ende die Mehrheit eher dem vermeintlich Bekannten, wie Sarastros Arien, zusprachen.
Oper, neu gedacht und neu gemacht
Nutthaporn Thammathi singt die Titelrolle des Thamos. So wie jeder Sänger in seine Muttersprache wechselt, trägt Thammathi Passagen auf Thai vor. Immer wieder erreicht das Befremdliche größte Intensität. Auch der Bassist Bastian Thomas Kohl und die Mezzosopranistin Silke Redhammer zeigen, sie sind weit mehr als Sänger, sondern Sänger-Darsteller dieser wegweisenden Opern-Neuschöpfung. Der Vergleich zur Zauberflöte der letzten Sommerfestspiele liegt auf der Hand. Hier wie dort versucht die Regie, Mozart neu zu erfinden. In beiden Produktionen wird das Maschinenwesen im Vorstadttheater des achtzehnten Jahrhunderts thematisiert. Dennoch unterscheiden sich die Inszenierung der US-Regisseurin Lydia Steier und von Carlus Padrissa und La Fura dels Baus wie Tag und Nacht; wie der öde Alltag eines mit Klischees verstellten banalen Lebens von der Nacht des Zaubers, der Poesie und Inspiration.
La Fura dels Baus sollte man im Auge behalten. Am 10. Februar kommt an der Münchner Staatsoper ihre Inszenierung von Ernst Křeneks Zwölfton-Oper Karl V. heraus. Wir dürfen gespannt sein.
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Weitere Termine: 28.1. und 1.2.2019
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