Rezension von Ingobert Waltenberger.
Das Album, das gesund und unsterblich macht! Ein barockes Kaleidoskop von Kammermusik und musikalischer Heilmittel: 1 roter Faden, 6 Musiker, 20 Instrumente, 27 unterschiedliche Besetzungen.
So tröstlich und hoffnungsfroh steht es auf dem neuen Album von “La Ninfea”, auf deutsch Seerose, zu lesen. Die barocken Bremer Stadtmusikanten mit dem klingenden Namen „La Ninfea“ haben die CD im Mai 2019 im Sendesaal von Radio Bremen aufgenommen, lange bevor der Virus Corona uns nur annähernd in die missliche Lage mit viel Leid, Ausgangssperren, Quarantäne gebracht hat, wie das jetzt der Fall ist.
Das Ensemble legt also punktgenau ein für unsere Befindlichkeit passendes Programmalbum vor, „das sich musikalischen Fragen und Antworten zur Heilung widmet, Toasts auf die Gesundheit ausspricht, sich der Medikation von Spinnenbissen verschreibt, von der melodramatischen Beschreibung einer Gallenblasenoperation, Countrydances von Heilpflanzen und Loblieder auf die Genesung berühmter Herrscher singt.“
Das famose Ensemble „La Ninfea“ (Barbara Heindlmeier Blockflöte, Christian Heim Viola da Gamba, Blockflöte; Marthe Perl Viola da Gamba; Simon Linné Theorbe, Barockgitarre, Renaissancelaute, Cister; Andreas Küppers Cembalo, Orgel) hat lange in den Archiven gestöbert, um dieses abwechslungsreiche, humorvolle, mit aller seriösen Leidenschaft musizierte Album mit musikalischen Rezepten zur Genesung und Heilung eines imaginären Kranken präsentieren zu können. Der Tenor Mirko Ludwig wurde engagiert und das Aufnahmeprojekt einer musikalischen Hausapotheke mit Musik u.a. von Purcell, Holborne, Lully, Marais, Charpentier, Farnaby und Kircher konnte starten.
Erzählt wird mit vokalen und rein instrumentalen Stücken der Verlauf einer Krankheit eines in diesem Fall glücklichen Patienten, weil er sich am Schluss angeheitert über die Genesung freuen kann und wir mit ihm. Gerahmt wird das Programm von zwei Trinksprüchen. In Henry Purcells „Here‘s a health“, von Mirko Ludwig emphatisch deftig vorgetragen, stimmen wir in ein Prost ein, das nicht enden soll bis all unser Wein leer ist. Also trinkt aus und lasst nichts stehen, sondern reicht es schnell von Hand zu Hand – und macht eifrig und tapfer weiter.
Trotz Schnaps ist das Leben aber halt so, wie es ist. Anthony Holbornes „Last will and testament“ wurde als Mixed Consort bearbeitet. Es ist der Moment, wo die Krankheit sich ankündigt, bevor in „The sick tune“, Zwischenmusik aus Shakespeares „Viel Lärm um nichts“, der Virus zuschlägt. Rein musikalisch versteht sich, die Noten vermehren sich noch und nöcher, bis sie in fiebrigen Schauern von Sechzehntelnoten abreißen. Es ist zum wahnsinnig werden. „La Follia“ als eine von „La Ninfea“ lange gerührte Variationentinktur von Corelli, Vivaldi, Martin y Coll u.a. zeigt unseren Siechen in heftigem Fieber – oder – wer weiß – Liebeswahn? Da in der nächsten Nummer “Io son ferito“ die unsichtbaren Wunden geleckt werden, darf Mirko Ludwig auf ein von “La Ninfea” selbstkomponiertes Stück anstimmen: „Ich zittere und sterbe, doch sieht man die Verletzung nicht. Meine Feindin zeigt sich bewaffnet. Was würde es nützen, das grausame Spiel gegen sie zu richten. Wo nur sie mich heilen kann, die mich verletzt hat.“
Gegen Leiden solcher und anderer Art empfehlt uns die CD-Apotheke “Rosalis” zur Stärkung, einen von Giles Barnaby im 17. Jahrhundert gebrauten Likör aus Sonnentau, verschiedenen Gewürzen, mit Goldflöckchen versetzt. Sein Fast-Zeitgenosse Athanasius Kircher glaubt ein klingendes “Antidot Tarantulae” zu kennen. Der Empfehlung der Musiker, der Hörer möge sich eifrig von Giftspinnen beißen lassen, damit endlich erwiesen ist, ob das Hören der Musik heilend wirkt, werde ich nicht folgen. Da tanze ich schon lieber wild und hemmungslos die zwei süditalienischen Tarantelle (Tracks 8 und 9).
Die nächste Medizin “Oil of Barley” (=Gerstenöl) wiederum ist breit wirksam und hilft bei einer Unzahl an echten und eingebildeten Wehwehchen. Reich an Vitamin E ist so ein Starkbier nicht nur gesund, sondern auch sättigend. Nach ausgiebigem Konsum ist auf jeden Fall ein Schläfchen genehm, das La Ninfea mit “Sommeil” aus Lullys Oper “Persée” versüßt.
Nützen alle diese schön anregenden bis herb-alkoholischen Scharlatanerien nichts, muss das Chirurgenmesser für eine Blasenstein-Operation her. Marin Marais hat zu so einer Tortur mit “Le Tableau de l’opération de la taille” die lautmalerisch anschauliche Musik geschrieben. Dem Geschundenen werden – Narkose gab es nicht – die Arme und Beine mit seidenen Stricken gebunden. Schnitt, Blut, Pinzette, der Stein wird gezogen und dem Patienten versagt beinahe die Stimme.
Werte Leserinnen und Leser, Sie haben es erraten, an Grausamkeit ist kaum noch eine Steigerung möglich, weshalb wir jetzt tänzerisch beschwingt mit “Les Relevailles” und “Suitte” von Marin Marais in die angenehmere Phase der Heilung eintreten. Bei Genesung eines Herrschers gab es sogar ein Volksfest, das natürlich ohne Musik nicht auskam. Marc-Antoine Charpentier lässt uns mit seiner “Idylle sur la retour du santé du Roy” an so einem Event für Louis XIV. teilhaben.
Ein Countrytanz und Tobias Hume’s “Good again” sind absolute gute Laune Bringer, bevor das Album mit Henry Purcells tönender Weisheit “He that drinks is immortal” schließt. “Wer trinkt ist unsterblich und kann nicht verfallen, da Wein doch ersetzt, was das Alter verbraucht. Wer sich stetig feucht hält, zerfällt nicht zu Staub.”
Eines ist sicher, beim Anhören der von allen Beteiligten mit musikantischer Lust und barocker Sinnenfreude getragenen CD wird vieles besser, ist ein Stück an Leichtigkeit gewonnen und dem bitteren Ernst ein kleines Schnippchen geschlagen.
Music is the Cure!
oder La Ninfeas musikalische Hausapotheke
Perfect Noise (Harmonia Mundi), 2020
CD kaufen
Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.