Der abstrakte Expressionismus als „Speerspitze der freien Welt“ – Jackson Pollock, die CIA und ihre geheime Kunstförderung. Rezension von Martin Schmidt.
Europas Befreiung vom Nationalsozialismus, die durch die Alliierten unter großen Verlusten, besonders auf sowjetischer Seite, erkämpft wurde, wurde von vielen als Zeitenwende empfunden. Eine Neuordnung der Welt, die auf Kooperation und Völkerverständigung basiert, schien in greifbare Nähe gerückt. Der damit verbundene utopische Begriff der „Stunde Null“ ist vor allem Ausdruck der Sehnsucht nach einem unbelasteten Neubeginn, der in eine lichte Zukunft weist. Aber natürlich war es unmöglich, mit der Zäsur, die durch das Kriegsende und die kurze Zeit später geführten Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse markiert wurde, ein weißes unbeflecktes Blatt auszurollen. Die fortlaufende Geschichte notierte sich vielmehr, um im Bild zu bleiben, auf einem Bogen Altpapier, der alle vergangenen Bezeichnungen in sich aufgehoben hatte und dessen Überschreibung die früheren Markierungen zwar verunklärte, die aber dennoch in der DNA des Neubeginns integriert blieben.
Ebenso wenig gab es für die Künste eine Stunde Null. Und auch die Protagonisten des amerikanischen abstrakten Expressionismus, der in der Nachkriegszeit wie vom Himmel gefallen schien, übermalten auf einem riesigen Bogen Altpapier in nicht geringem Maße auch die Werke der europäischen Emigranten, deren Eigenleben in den Bildern amerikanischer Künstler somit präsent blieb.
Kunstfreunde bei der CIA?
Die Geschichte der europäischen und nordamerikanischen Nachkriegskunst ab der zweiten Hälfte der 1940er Jahre wird meist verkürzt als Gegensatz zwischen der Abstraktion des freien Westens und dem sozialistischen Realismus des totalitären Ostens erzählt. Das impliziert die Auffassung, dass die Kunst der unter dem Einfluss der Sowjetunion stehenden Länder im Gegensatz zu der des Westens staatlich gelenkt wurde. Doch wie meist, macht auch hier Verkürzung zwar anschaulich, unterschlägt aber, dass die Freiheit abstrakten Gestaltens im Westen nicht nur gewährt, sondern auch politisch instrumentalisiert wurde. Ein Beispiel dafür liefert die geheime Förderung des abstrakten Expressionismus durch die CIA. Wie, mag sich manche/r verwundert die Augen reiben – Kunstfreunde beim amerikanischen Auslandsgeheimdienst? Auch die gab es sicherlich, aber der Zweck der Übung war ein propagandistischer, die Überlegenheit des demokratischen Systems anhand seiner kraftvoll-ungezügelten und unreglementierten Kunstproduktion herauszustellen. Und dafür brauchte es einen „Stil“, der als ureigene amerikanische Ausdrucksform dargestellt und beworben werden konnte.
Die Marke Pollock
Onofrio Catacchio widmet sich in seiner Bilderzählung „Pollock – Streng vertraulich“ einem der exponiertesten Vertreter der wilden Malerei der Nachkriegszeit. Jackson Pollock, der die Methode des Drippings, des Tröpfelns verdünnter Farbe auf am Boden liegende Leinwände, wirklich popularisiert und die bewegte Körperlichkeit des Mal-Aktes in seiner optischen Fixierung zur Protagonistin seiner Kunst gemacht hat, wird von der CIA auserkoren, unwissentlich an vorderster Front im Kampf um die kulturelle Hegemonie zu stehen. Catacchio erzählt, wie der CIA-Agent Dan Adkins auf den Künstler angesetzt wird, ihn kennenlernt, sein Vertrauen erwirbt, darüber an seinen Chef berichtet und wie dieser alkoholkranke, an sich selbst leidende Maler ihm sogar sympathisch wird, obwohl zunächst das einzige, was er „an dem Mann mag, seine Liebe zum Jazz“ ist. Die Figur des Agenten ist fiktiv, aber eine kluge Entscheidung Catacchios, um die Fakten, die er in seiner Graphic Novel unterbringt, in den Rahmen einer persönlichen Sichtweise einzubetten.
Die genauen Umstände und Details der Einflussnahme der CIA auf die amerikanische Kunstwelt sind bis heute nicht in allen Verästelungen freigelegt, aber unstrittig ist, dass Ausstellungen in Galerien ermöglicht, Zeitschriften gefördert und mit der geheimen Finanzierung des Congress for Cultural Freedom (CCF), gegründet 1950, ein Forum geschaffen wurde, das die Idee der kulturellen Freiheit als Beweis der Überlegenheit des westlichen Systems durch Kongresse und Publikationen international propagierte.
Vielleicht war es wirklich so, dass die Marke Pollock der CIA deshalb so wichtig erschien, weil er weder ein Emigrant aus Europa war noch bei einem solchen gelernt hatte. Der uramerikanische „Cowboy“ aus Cody/Wyoming studierte an der Arts Students League in New York bei dem Maler Thomas Hart Benton, der ein bedeutender Vertreter des Regionalismus war, einer Spielart des Realismus. Benton sei, so Pollock später, eine starke Persönlichkeit gewesen, die er habe überwinden müssen. Andere bekannte Künstler des abstrakten Expressionismus waren hingegen Emigranten oder auch schon Einwanderer vor dem Krieg gewesen, wie Willem de Kooning (aus den Niederlanden) oder Mark Rothko (aus Lettland, das damals zu Russland gehörte). Nennen muss man in diesem Zusammenhang auch einen wichtigen Inspirator der sogenannten New York School, den Maler Arshile Gorky, der armenischer Herkunft war.
Emanzipation amerikanischer Kunst
Der nationalsozialistische Aderlass aber, der an den Wissenschaften und Künsten vorgenommen worden war und Scharen von Forschern und Kulturschaffenden in die Emigration getrieben hatte, verstärkte nochmals den kulturellen Druck auf die amerikanischen Künstler. Viele Emigranten kamen in die Vereinigten Staaten und versuchten, in ihrer neuen Heimat mit durchaus wechselndem Erfolg ein Auskommen zu finden. Im Gepäck hatten sie nicht nur die Erleichterung, dem Terror entkommen zu sein, sondern auch ihr solides künstlerisches Selbstbewusstsein, sahen sie sich doch zu Recht in einer starken Tradition der Moderne, die inzwischen weithin anerkannt war, auch in den USA. Die amerikanischen Künstler standen deshalb lange im Schatten der europäischen Kunst, als deren Zentrum die Stadt Paris galt. Einer Kunst, die auch im 1929 gegründeten Museum of Modern Art so überaus präsent vertreten war.
Die Marke Pollock konnte also für zweierlei bürgen. Zum einen zeigen, dass sich die amerikanische Kunst endlich von Europa emanzipiert hatte. Das Wichtigste aber war, zu demonstrieren, dass im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und Freiheiten kein Künstler behindert oder gar zu irgendetwas verpflichtet werden konnte, dass nicht seiner eigenen Intention entsprang.
Der abstrakte Expressionismus als „Speerspitze der freien Welt“
Catacchio stellt überzeugend dar, wie der Maler sein Innerstes im wahren Wortsinn auf die am Boden liegende Leinwand gießt. Einige doppelseitige Illustrationen unterlegt er mit Dripping-Strukturen, die unterstreichen, wie sehr Pollock sich als Bestandteil der Bilder empfand und ihnen gleichzeitig ein völliges Eigenleben zusprach. Schlaglichtartig behandelt er wichtige Stationen in Pollocks Leben und Karriere, etwa seine Ausstellung im November 1943 in Peggy Guggenheims Galerie Art of This Century, die seine schnell wachsende Popularität einläutete. Catacchio thematisiert auch Pollocks schicksalhafte Begegnung und Heirat mit der Malerin Lee Krasner oder den 1951 entstandenen Film von Hans Namuth und Paul Falkenberg, in dem der Künstler beim Malen gezeigt wird und in dem er Auskunft über seine Auffassung vom Bildermachen gibt. Der Autounfall, den Jackson Pollock in betrunkenem Zustand verursachte, kostete ihn und die junge Edith Metzger am 11. August 1956 das Leben. Nur seine Geliebte Ruth Kligman kam schwerverletzt davon. Dies präsentiert Catacchio als letzte Erinnerung des fiktiven Agenten Dan Adkins, der sich eingesteht, keine Antwort auf die Frage gefunden zu haben, wer Jackson Pollock wirklich war.
Onofrio Catacchios komprimierte Erzählweise und sein etwas kantiger, aber einprägsamer Stil vermögen den Leser hineinzuziehen, in die gleichermaßen rätselhafte Persönlichkeit des Künstlers wie die bizarre Geschichte der Einflussnahme der CIA, die mit verdeckten Mitteln indirekt Künstler förderte, die oft selber mit dem Kommunismus sympathisierten, dessen Attraktivität mit der Propagierung der autonomen Kunst ja gerade vermindert werden sollte. Gleichzeitig lief sich der Senator Joseph McCarthy als „Kommunistenjäger“ warm, dessen Name Synonym für die Zeit dieser ersten Hochphase des Kalten Krieges werden sollte. Der britische Kunsthistoriker David Anfam, ein Kenner der Materie, bezeichnet die Intervention des Geheimdienstes in Sachen abstrakter Expressionismus als die beste Investition, die die CIA jemals getätigt habe.
Natürlich hätten die Künstler auch ohne die diskrete Einflussnahme ihren Weg gemacht, aber vielleicht wäre der internationale Siegeszug der abstrakten Nachkriegskunst doch gemächlicher verlaufen. Das Ganze bleibt ein Lehrstück über eine Systemkonkurrenz, deren ideologische Schärfe sich nur wenige der ehemaligen Alliierten vorher hätten ausmalen können.
Onofrio Catacchio
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